Beckeraachen

Kunstwechsel


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Kühe in der zeitgenössischen Kunst

Kühe in der zeitgenössischen Kunst
Gibt es im amerikanischen Comic ein Rind wie den Hasen Bugs Bunny? Warum hat es Andy Warhol interessiert, einen Kuhkopf hundertfach in verschiedenfarbigen Siebdrucken als Bildtapete zu realisieren? Warum machte es Roy Lichtenstein Spaß, die Ansicht einer wohlgenährten Kuh in einer Folge von Bildern von einem realistischen Abbild zu einer mondrianschen Abstraktion zu stilisieren? Es mag schon vor 50 Jahren auch in amerikanischen Großstädten den Ruf nach veganer Ernährung, die Kritik am Missbrauch der Rinder und der Nahrungsmittel, für die sie gebraucht werden, gegeben haben. 1964 war in Kuba der französische Biochemiker André Voisin gestorben, den Fidel Castro eingeladen hatte, die Erkenntnisse aus seinem Buch „Die Produktivität der Weide“ in einer Kampagne nutzbar zu machen, die die Produktion von gesunder Milch sicherstellen sollte. Der kubanische Künstler Saidel Brito nannte 1994 8 lebensgroße farbige Keramiken in der Form von Kuhköpfen, die auf dem Boden „schwimmen“ die „Voisin“-Emigration“.
In der Weltgeschichte der Kunst sind viele Bilder von Kühen erhalten. Das Haustier wurde als Göttin und Nährmutter verehrt – Prithivi in Indien, Hathor in Ägypten, Io in Griechenland – und hat sich über die Jahrhunderte eine Aura erhalten, der die Menschen mit Achtung, Ehrfurcht und Dankbarkeit begegnen.
Den amerikanischen Maler Mark Tansey hat 1981 in dem monumentalen Bild „Innocent Eye Test“ interessiert, wie Kühe sich anschauen, wenn sie einander in einem anderen Medium begegnen: er malte eine lebensgroße Kuh, die im Mauritshaus in Den Haag auf eine andere in jenem berühmten großen Bild „Der junge Stier“ (236 x 340 cm) des Paulus Potter von 1647 schaut. 2 Epochen Auge in Auge in Vorbereitung einer Paarung: das Goldene Zeitalter, in dem das Landleben mit den heimischen Haustieren dem Stadtleben harmonisch zugesellt war, und die Turing-Galaxis, die ihr Ende vorbereitet.
Die Fotografin Ursula Böhmer hat mich angeleitet, über Kühe nachzudenken, als sie ihr Buch und eine Ausstellung in Düren präsentierte. Sie hat Kühen in Europa in die Augen geschaut – in etwa 4 m Entfernung – und bedauert, nicht mit ihnen sprechen zu können. Neurobiologen, die das Bewusstsein des Menschen als Netzwerk von Synapsen definieren, können ein anderes bei Kühen bis heute nur vermuten. So bleibt, ihre Blicke, ihre Laute, ihre Bewegungen zu lesen und Schlüsse daraus zu ziehen. FLUXUS hat die Kuh in seinen Aktionen nicht ausgelassen. Wolf Vostell führte eine hoch schwangere Kuhn in die Ausstellung „Happening und Fluxus“ von Harald Szeemann in der Kölner Kunsthalle 1970, um sie dort ihr Kalb gebären zu lassen. Die „Wächter“, gerufen, Mutter und Kind vor der Freiheit der Kunst zu schützen, führten die Kuh zurück in ihren Stall in Kürten.


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Der Hase – Koons und Beuys

Der Hase – Jeff Koons – Joseph Beuys
1974 fand die Performance „Coyote“ in der New Yorker René Block Galerie statt, in der Joseph Beuys sich mit einem Tier befreundete, das so symbolhaft für Amerika steht wie das Känguru für Australien – und – ich wage hinzuzufügen – der Hase für Deutschland. Im gleichen Jahr erschien das kleine Auflagenobjekt „Amerikanischer Hasenzucker“ mit einem Farbdruck eines Hasen, der an einem Teich Wasser schleckt, und einigen Zuckerwürfeln: ein unscharfer Appell: Gib dem Hasen (Affen) Zucker!
In meinem Exkurs zu dem Rabbit von Jeff Koons habe ich die Frage: Warum ein Hase? übergangen, weil ich sie bei der Lektüre der amerikanischen Würdigungen der Skulptur anlässlich ihrer Versteigerung überhaupt nicht gefunden habe. Dabei hätten die Vergleiche mit den Ready mades von Duchamp doch klarstellen müssen, dass jener unter keinen Umständen Gegenstände von kultureller symbolischer Bedeutung gewählt hat. Kann man also den Rabbit mit dem Urinoir vergleichen? Ist die Herkunft der Figur, die Koons unter den Inflatables entdeckte, vergessen? Kennzeichnet es die großstädtische Konsumgesellschaft Amerikas, dass ihre Kinder Hasen, Kaninchen, Bären und Kühe nur noch als Comics und Inflatables kennen?
Joseph Beuys hat im November 1965 in der Düsseldorfer Galerie Schmela in einem Raum, in den das Publikum nur durch Fenster hineinschauen konnte, „einem toten Hasen die Kunst erklärt“; er trug ihn in seinen Armen und hielt die Zwiesprache eines Schamanen (der Kopf goldfarbig und mit Honig gesalbt) mit einem „Jenseitigen“, der wiedergeboren wird. Er gab dem Hasen eine Bedeutung, die tief in die Kulturgeschichte der Völker hinabreicht – und machte als fluxus-Künstler feierlich darauf aufmerksam, dass der gesunde Menschenverstand jener, die draußen zuschauten, am wenigsten geeignet ist, die Kunst zu verstehen.


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Tadeusz „Beider Sizilien“

Norbert Tadeusz „Beider Sizilien (Mare)“ 2006 400 x 600 cm

In der dunkel leuchtenden Marine „Beider Sizilien“ steht die Zeit still: es ist Nacht, der Himmel feuerrot. Menschen hängen am Himmel, der Schaum der Welle, die ein Surfer schlägt, liegt über einem Schlauchboot mit verängstigten schwarzen Flüchtlingen, eine weiße Nackte räkelt sich auf einer Luftmatratze, Männer, Frauen, Kinder schwimmen, drohen zu ertrinken. Würde die Zeit bewegt, so stürzte ein gewaltiges Reitpferd aus der Mitte kopfüber in das Meer und risse alle hinab in die Tiefe.

Das „Königreich beider Sizilien“ (der Insel mit Palermo und des Festlandes um Neapel) ist das der Könige Ferdinand III. und des IV. von 1816 bis 1861. 400 Jahre zuvor herrschte dort Alfonso von Aragon, und ein unbekannter Künstler, Spanier oder Provençale, schuf um 1446
im Palazzo Sclafani ein Fresko (600 x 642 cm), das 1944 abgenommen wurde und heute in der Galleria regionale des Palazzo Abatellis gezeigt wird: „Der Triumph des Todes“ – ein Meisterwerk der spätgotischen Malerei. Das bewehrte Skelett auf seinem galoppierenden Pferd füllt den Vordergrund des großen Bildes und verdrängt die zahlreichen getroffenen, getöteten, verschmähten, verschonten Würdenträger und Müßiggänger, die es bis an die Ränder füllen. Nur Picassos „Guernica“ ist so von einem Pferd bestimmt wie dieses Bild. Der Spanier kannte es: „Ich habe den „Trionfo“ von Palermo gesehen“ schrieb er an Guttuso. Im Film „Palermo Shooting“ von Wim Wenders nimmt es an der Handlung teil. Tadeusz hat es bewundert.
In Sizilien ist die griechische Antike allgegenwärtig. Vergil beschreibt in der Aeneis, wie der zürnende Zeus glühendes Pech in schwarzen Strudeln an die Ufer des Meeres wirft, die stygischen Flüsse hervorbrechen lässt und Blitze auf die Schiffe der Menschen schleudert. In solchen Apokalypsen können auch Menschen und Pferde vom Himmel fallen. Zorn und traumatische Angst sind über die Strandidylle geworfen. Das Pferd, das in „Beider Sizilien“ das Bild beherrscht, fällt, stürzt und sein Reiter mit ihm. Es bestimmt dramatisch die Strömungen der Komposition, in denen sich Menschen und Gegenstände bewegen. Der Bildraum ist die Bühne eines Welttheaters, einer großen Oper.

Tadeusz nutzte das Foto eines Flüchtlingsbootes vor Malaga, das durch die Weltpresse ging. Tausende sind seitdem in die Staaten Europas eingesickert oder ertrunken. Die Dissonanz der Bilder von lebenden und toten Strandenden und Urlaubern an den Ufern Italiens und Griechenlands bleibt unerträglich.
2011 ist Norbert Tadeusz 71-jährig gestorben. Die Ausstellung „In Memoriam“ im Kunstraum Fuhrwerkswaage Köln erinnert an ihn und andere Künstler des Rheinlandes, die jüngst gestorben sind.


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Jeff Koons Der Osterhase

Der Osterhase im Treibhaus des Kunstmarktes – Jeff Koons „Rabbit“
Albrecht Dürers Aquarell eines Fellhasen hing als wohlfeiler Kunstdruck im Wohnzimmer meiner Eltern. Den Hasen von Jeff Koons, den am 15. Mai der Kunsthändler Mnuchin für 91 Mio. $ in New York ersteigerte, hätten sie für eine Witzfigur aus der Werkstatt von Cape Kennedy gehalten. Sie hätten nicht erkannt, dass dieser 1m große stählerne Hase die virtuose Kopie eines INFLATABLES, einer aufblasbaren Figur ist, die Koons, als er noch am Tresen des Museums für moderne Kunst Menschen einlud, Mitglied im Museumsverein zu werden, in seiner Wohnung in East 4th Street mit 100 anderen inflatables sammelte – in einer Präsentation zwischen Spiegeln, die er „Entering the Objective Realm“ nannte. Seit die bekannte Galeristin Ileana Sonnabend ihn vertrat, sind die 4 Stahlkopien, die er 1986 herstellte, zu steigenden Preisen in die Hände von Millionären geraten. Saatchi in London kaufte eine für 40.000 und verkaufte sie für 950.000 $. Der Händler Gagosian verkaufte seine für 1 mio. Er bedauert es heute.
Die Versteigerung eines der 4 Hasen am 15. Mai gab den New Yorker Kunstkritikern Anlaß, das ausgestellte Werk zu preisen: die „ “incredible balance ….between the tremendous specificity of the casting—the fine detailing of the crimps, the puckers of the plastic—with its abstraction: the blankness of the face, the missing printing on the vinyl,…..The tension that he creates between fine detail on the one hand, and a blankness on the other, is incredibly mesmerizing.” (Rothkopf) Die Figur sei nicht nur Duchamp auf den Kopf gestellt, ein Wegwerfobjekt verwandelt in ein „silver dynamo, a sparkling expensive orb – a luxury purchase – kitsch and beauty.“ Schaue man zurück auf Michelangelo, so sei dies ein ‘anti-David“,
Der Kritiker preist zu Recht die Qualität des Stahlgusses: Man muss die Gießerei bewundern, der es gelingt, ein weiches Vinylvolumen so zu kopieren, dass alle Details sichtbar bleiben. Aber die New Yorker Lobredner projizieren diese Leistung so in die Kunstgeschichte, als hätten Brancusi und Michelangelo ihre Skulpturen ebenso herstellen lassen – und lassen gern aus, dass das berühmte Urinoir von Duchamp das Objekt selbst war und so sehr missachtet wurde, dass es verloren ging und nur noch in einer Fotografie und zahlreichen Repliken weiterlebt.
Als europäischer Kunsthistoriker habe ich in den 60er Jahren die pop art als stark wirksamen Reflex der amerikanischen Konsumgesellschaft bewundert und braune Einkaufstüten von Warhol und Lichtenstein für 40 DM gekauft. Jeff Koons schafft es, den internationalen Kunstmarkt und die winzige Minderheit der Milliardäre in eine Sphäre dieser Gesellschaft zu heben, in der sie traumhafte Züge annimmt. Der Gegenstand der Aufregung macht traurig: der arme Osterhase!


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Kunst ABC

K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Ihre Redakteure waren mutig genug, jeden Samstag einen Artikel des jungen Leiters der Neuen Galerie zu publizieren. Wenn das Aachener Publikum sein Museum – die Neue Galerie-Sammlung Ludwig – drei Jahre lang ertragen hatte, so verdiente es Aufklärung und Bildung in einem Sektor seines Lebens, die ihm Schullehrer schuldig geblieben sind. Damals entstand das Fach der Museumspädagogik.
Das digitale Zeitalter hatte noch nicht alle erfasst. Ich schrieb die Artikel des KUNST-ABC auf Papier und brachte sie jeden Montag in die Redaktion. Wer einen Kulturkalender suchte, war auf die Lokalzeitungen angewiesen. Sie waren wichtig. Heute stehen sie am Rand der digitalen Netzwerke. Die Redaktion der Aachener Volkszeitung hat sich 2019 für das Kunst ABC in der eigenen Zeitung 1973 nicht mehr interessiert.
Jetzt habe ich 117 dieser Artikel redigiert und vom 14. Januar bis zum 16. Mai – jeden Tag einen – in wordpress, Linkedin und Tumblr publiziert.
Die digitale Geschichte der Kunstvermittlung haben die alten Träumer der 70er Jahre im Silikon Valley begonnen, mit dem „Whole Earth Catalog“ in der Hand. Für sie war das Internet eine alternative Schule, eine “bastion for people to direct their own education,” Sites, Foren und Chatrooms bemühten sich, Künstler und Kunstliebhaber im Netz zu vereinen: „WetCanvas” 1998 die Maler – “Café Guerbois,” genannt nach Manets und Renoirs Café in Paris – „Deviant Art!” 2000 für digitale Künstler “where comments simply saying things like ‘cool!’ and ‘nice!’ were frowned upon,” – “People wanted in-depth comments and feedback, with constructive criticism” – Conceptart.org, 2001 “to educate and connect artists.”
Der gewaltige Impetus der Aufklärung, der kunst- und museumspädagogische Konzepte und Praktiken vorantrieb, ist ebenso erlahmt wie die Kraft der Künstler, den Käfig eines Systems offen zu halten, der sie, die Galerien, die Museen, den Kunstmarkt und die Kunstkritik umschließt. So sind auch diese 117 Artikel des Kunst ABC eine Erinnerung und zugleich der Versuch, einen Stein in einen See zu werfen und zu hoffen, dass die Wellen, die er erzeugt, dürstende Ufer befruchten.
Meine Kenntnisse der art communities verdanke ich Kelsey Ables in “The Rise and Fall of Internet Art Communities” in ARTSY 19. 4. 2019
Abb. Bruce Nauman Model for Trench and Four Buried Passages“ 1977 New York Museum of Modern Art


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Jugendstil

K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.
Kunst ABC AVZ 22. 5. 1976
J U G E N D S T I L – A R T N O U V E A U
Die Jugend schiebt das 20. Jahrhundert mit einem mächtigen Schub der Kreativität an. „Jugend“ heißt die Zeitschrift, die seit 1896 erscheint, „Jugendstil“ nennen alle eine Gestaltungsweise, die in der Architektur, im Kunstgewerbe, in der Werbung, in der Kunst um sich greift. Der Hamburger Siegfried Bing gründet 1896 in Paris den „Salon de l´Art Nouveau“, und in Italien spricht man vom Liberty-Stil nach dem Londoner Kaufhaus, das in den 90er Jahren asiatische Textilien bekanntmacht – wie Bing japanische Holzschnitte in Künstlerkreisen verbreitet. Jugendstil ist dekorativ, ornamental, erfasst alle Disziplinen vom Gemälde bis zum modischen Kleid. Jugendstil lässt die historisierenden Stile in Bau und Gewerbe, die Versenkung in Gotik und Renaissance hinter sich und öffnet sich – im Kolonialzeitalter – der Welt. Der Niederländer Jan Toorop entdeckt auf der Insel Java die Stockpuppen und die reiche Ornamentik der Batiktextilien und gibt sie Henry van de Velde weiter, der in Brüssel Jugendstil-Häuser entwirft. Die Malergeneration von Van Gogh und Gauguin hatte bereits Bildräume bis auf die Fläche des Vordergrundes reduziert, ihre Nachfolger organisieren die Bildflächen in Zellen, befreien sie von Gegenständen und entwickeln ein freies Spiel von Arabesken, die Emotionen transportieren. Edward Munch erfand ornamentale Ausdrucksformen (im „Schrei“ z. B.), die eine psychologische Intensität erreichten, wie sie Sigmund Freud in seiner „Traumdeutung“ 1900 zu schildern versuchte. Die Künstler schwelgen in dieser neuen Freiheit. Richard Muther spricht angesichts der Bilder des Wieners Gustav Klimt von „wollüstiger Gourmandise“. Sie konzentrieren sich nicht gern auf ein Medium wie die Malerei, sondern folgen der arts-and-crafts-Bewegung, die das Kunsthandwerk zu erhalten suchte, und breiten sich dort aus, wo das Kunstgewerbe die Industrie sucht: Im Design, im Druck, in der Werbung, in der Herstellung von hochwertigen Gebrauchsartikeln aus Glas, Porzellan und Keramik. Die Illustrationen und Titelseiten des jung gestorbenen Aubrey Beardsley befruchten die Buchkultur in ganz Europa. Henry van de Velde richtet Bing in seinem Pariser Galerie 1896 4 Räume ein, die Aufsehen erregen.
Die europäische Gesellschaft dieser Zeit genoss ihren Reichtum. Die Kunst gemalter Bilder und Skulpturen reichte ihr nicht, sie suchte sie in den Büchern, auf den Plakaten der Straße, an den Veranden, Alkoven, Karyatiden der Häuser, auf Mosaiken, in den Salons der Haute Couture, in den Gläsern aus Murano und den Lampen von Tiffany. Jugendstil waren die Plakate von Toulouse-Lautrec und Alphonse Mucha, Buchillustrationen von Beardsley, Emil Orlik, Heinrich Vogeler, Möbel von Henry van de Velde, die Kirche der Sagrada Familia und die Häuser von Antoni Gaudi in Barcelona, die gusseisernen Giebel der Metro-Eingänge von Hector Guimard in Paris, Hortas Wohnhäuser in Brüssel, Louis Sullivans Hochhäuser in Chicago, Rennie Mackintoshs Kunstakademie in Glasgow, Joseph Maria Olbrichs Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt, Berlages Börse in Amsterdam. In dieser Zeit hießen die Kunstzeitschriften „Art and Decoration“, „L´Art Décoratif“, „Deutsche Kunst und Dekoration“, „Dekorative Kunst“, „Pan“, „Simplizissimus“, „Ver Sacrum“. Es ist die Zeit der Dandys und Suffragetten, Sarah Bernhardts und Sigmund Freuds, Strindbergs und Stefan Georges, eine „Mischung aus Dekadenz und Snobismus“ (so Nikolaus Pevsner), die in eine „Ornamenthölle“ abzugleiten drohte. Die psychedelischen Künstler der 70er Jahre haben gerade diese Seite wiederentdeckt.
Henry van de Velde gehörte zu denen, die die überschäumende Ornamentik zu zähmen, zu funktionalisieren versuchte. Er erfand den „Yachting Style“, das Design der Jachten, die „Stromline“, die die schnelle Bewegung erlaubt. Mit ihm beginnt die Geschichte des Designs.
Abb. Alphonse Mucha La Danse Plakat Paris 1898


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Die Brücke

K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.
Kunst ABC AVZ 1. 2. 1975
„D I E B RÜ C K E“
Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff waren schon Gymnasialschüler in Chemnitz (Rottluff ist der Name eines Vororts) und immatrikulierten an der Technischen Hochschule in Dresden, um Architektur zu studieren. Fritz Bleyl regte dort Kirchner als ersten an, sich in der zeitgenössischen Kunst umzusehen und sich an Bildern, Zeichnungen und Holzschnitten zu versuchen. Heckel und Schmidt-Rottluff kamen 1904 und 05 nach, und die 4 entwickelten ein Gruppenbewusstsein. Sie nannten sich „Die Brücke“ und entwarfen 1906 ein Manifest: „Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine Generation der Schaffenden wie der Genießenden rufen wir alle Jugend zusammen und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohleingesessen älteren Kräften.“ Sie verachteten die Bourgeoisie, aus der sie kamen, sie lebten und malten freizügig als Bohemiens, schockierten die Dresdener mit libertinen Darstellungen eines Aktmodells, das sie gemeinsam bezahlten, und setzten dem Akademismus einen „Dilettantismus“ und „Primitivismus“ entgegen, beriefen sich auf das Vorbild des Paul Gauguin, studierten begeistert im Dresdener Völkerkundemuseum afrikanische und pazifische Skulpturen und verwandelten ihr Atelier in ein exotisches Zelt. Ihre Holzschnitte zeigen die Vorbilder in den Schnittführungen, in der Aufteilung der Farbflächen, in der Enträumlichung. In den Gemälden suchten sie den großen Klang einfacher Grundfarben. Otto Müller regte sie 1910 an, trockene Leimfarbe direkt auf Sackleinen aufzutragen. Schmidt-Rottluff konzentrierte sich auf das Schnitzen exotisch anmutender fetischhafter Figuren. Die Dresdener Stadtwohnung verwandelte sich in die Insel einer zeit- und raumentfernten Frühkultur. Sie arbeiteten: zwischen 1905 und 1913 sind 1.500 Holzschnitte entstanden, eine 1. Wanderausstellung machte sie 1907 bekannt, danach organisierten sie und beteiligten sich an etwa 40 weiteren. Emil Nolde, Max Pechstein, der Schweizer Carl Amiet, der Finne Axel Galén-Kallela, der Holländer Kees van Dongen stießen zu ihnen. Die Berliner Sezession wies ihr Ansinnen, sie als Gruppe auszustellen, 1910 zurück, so gründeten die Brücke-Maler und ihre Freunde die „Neue Sezession“, die Pechstein präsidierte und die Künstler des Münchener „Blauen Reiters“ Macke, Marc und Kandinsky aufnahm. Bis zum Kriegsbeginn war Berlin die Hauptstadt der zeitgenössischen Kunst. Die Brücke-Künstler blieben der Stadt treu. Heute sind sie dort im Brücke-Museum vereint. 1913 löste sich die Gruppe auf. Kirchner hatte eine Brücke-Chronik publizierte, die die Freunde irritierte. Nach dem Krieg blieben sie geachtet. In der nationalsozialistischen Ausstellung „Entartete Kunst“ 1936 im Münchener Haus der deutschen Kunst stand über ihren Bildern „Verniggerung der Kunst“. Ihre Werke hängen heute in vielen Museen der Welt und erreichen in Auktionen hohe Preise.
Abb. Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Otto Mueller beim Schach, 1913, Öl auf Leinwand, 35,5 × 40,5 cm „Brücke“-Museum, Berlin


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Der Blaue Reiter

K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.
Kunst ABC AVZ 8. 2. 1975
D E R B L A U E R E I T E R
München war 1910 eine blühende Kunstmetropole, die Stadt des Jugendstils (nach der Zeitschrift „Die Jugend“). Er zeigte sich in der Architektur, dem Kunstgewerbe, der Illustrations- und Gebrauchsgrafik, und seine florale Ornamentik bot Bilder, in denen die Gegenstände, die darzustellen waren, unter dem Dekor zu verschwinden drohten. Das verselbstständigte Ornament konnte als Klang, als Melodie gelesen werden, in die der Betrachter einstimmte.
Die Russen Wassili Kandinsky, Alexej Jawlensky und Marianne Werefkin studierten und arbeiteten hier seit 1896, der Schweizer Paul Klee und der Böhme Alfred Kubin seit1898, Franz Marc lernten sie in der Kunstakademie kennen. Auf Marc und Kandinsky blieb die Ästhetik des Jugendstils nicht ohne Wirkung. Der eine entwickelte seine Vorstellung von einer „mystisch innerlichen Konstruktion“ der Bilder, der andere eine symbolistische Farbtheorie. 1909 organisierten sie die 1. Ausstellung der „Neuen Künstlervereinigung“ mit Werken von Kandinsky, Werefkin, Jawlensky, Kubin, Gabriele Münter, Adolf Erbslöh, Carl Hofer, Alexander Kanoldt. 1910 öffneten sie sich den Franzosen: eine Einzelausstellung von Henri Matisse und eine 2. Gruppenausstellung der Pariser „Fauves“ André Derain, Maurice Vlaminck, Georges Rouault, Kees van Dongen und Kubisten Georges Braque und Pablo Picasso. Kandinsky hatte bis dahin in stark farbigen, locker gemalten Bildern die russische Folklore verarbeitet (er hatte mit ethnologischen Interessen den Ural bereist), und auch Marianne Werefkin und Alexander Jawlensky folgten Anregungen des russischen Kunstgewerbes und der Textilkunst, ermutigt durch den befreienden Einfluss der französischen „Fauves“. Kandinsky begann 1909 mit „Kompositionen“ und „Improvisationen“ und erreichte 1910 einen Grad der Lösung von Gegenständen erreicht, der ihm den Ruf einbrachte, das 1, abstrakte Bild gemalt zu haben. 1912 verließ er mit Münter, Marc, Kubin und Jawlensky die Neue Künstlervereinigung, um in der Galerie Thannhauser den „Blauen Reiter“ zu präsentieren, eine Ausstellung, die ein Almanach mit dem gleichen Namen und Kandinskys Buch „Über das Geistige in der Kunst“ begleitete. Sie wurde in mehreren deutschen Städten gezeigt. Kandinsky und Marc verschlossen sich der politischen Epoche, in der sie lebten: den Vorboten der. russischen Revolution und des 1. Weltkrieges. „Es gibt keine soziologische oder physiologische Deutung der Kunst. Ihr Wirken ist durchaus metaphysisch.“ schrieb Marc. Anders als die Expressionisten der Dresdener „Brücke“ verharrte die Münchener Gruppe in einem romantischen Idealismus, der den neuen Menschen in einem verklärten Kosmos ersehnt. Marc, der dieser Utopie in Landschafts- und Tierbildern am reinsten Ausdruck gab, starb im Krieg. Der „Baue Reiter“ löste sich auf, Herwarth Waldens „Der Sturm“ wurde zum Sammelpunkt der Bewegung in Deutschland.
Abb,.Wassili Kandinsky „Das bunte Leben“ 1907 Lenbach-Haus München


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Expressionismus

K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.
Kunst ABC AVZ 25. 1. 1975
E X P R E S S I O N I S M U S
Kunst des Ausdrucks gegen Kunst des Eindrucks, Impressionismus; nicht mehr Studium, Analyse, Wiedergabe der Außenwelt, sondern Erforschung der Innenwelt, Selbstdeutung. Nicht mehr die Evolutionsforschungen von Charles Darwin, sondern die Psychoanalyse von Sigmund Freud. Expressionismus breitete sich in Europa und Nordamerika aus. Herwarth Walden hat wohl als erster 1911 die Bezeichnung benutzt, um ein Lebensgefühl zu definieren, das seit 1905 nicht nur in der Bildkunst, sondern ebenso in Musik und Literatur sichtbar wiude. Die Bezeichnung umgreift die „Fauves“ um Matisse und die Kubisten um Picasso um Picasso in Paris, Boccioni und die Futuristen in Mailand, in Wien Oskar Kokoschka und die „Kunstschau“, und in München Wassili Kandinsky und den „Blauen Reiter“, in Dresden die Künstler der „Brücke“, in Berlin Herwarth Walden und die Galerie „Der Sturm“. Ihren Bildern ordnen wir die Worte Formzertrümmerung, Anarchie, Chaos, Verlust von Inhalt und Bedeutung, Abstraktion als Ergebnis befreiter Handbewegungen beim Malen, Rekonstruktion von Formen aus Scherbenhaufen, Findung und Erfindung neuer Inhalte und Bedeutungen, Entwicklung neuer gegenständlicher Formensprachen zu. Das Ungenügen an überkommenen Bildsprachen reflektiert die Müdigkeit der europäischen Völker am Ende eines 40-jährigen Friedens, in der sich soziale und politische Spannungen zu Hysterien und Neurosen großen Ausmaßes steigerten. Unter den Expressionisten waren die Deutschen antibürgerlich, anarchisch, „voll sadomasochistischer Leidensfähigkeit“ (Werner Hofmann), die Italiener hochgespannt, pathetisch, utopisch, die Franzosen unpolitisch, ausgleichend, ästhetisch experimentell. Expressionismus ist Großstadtkunst; die Künstler schildern die aufblühenden Metropolen Mailand, Paris, Wien, Berlin, ihr pulsierendes Leben, ihre Randzonen des Luxus und des Elends. Natur, Land, Meer malen sie als „Hieroglyphen“ (Ernst Ludwig Kirchner) ihrer Träume und Sehnsüchte: die Alpen, die Ostsee bei Rügen, die Nordsee vor Norwegen. Emil Nolde folgt Gauguin in die Südsee. In diesem Lebensgefühl entsteht eine „Barbarisierung“, ein Selbstgefühl des „Übermenschen“, der Ordnungssysteme zerstört, des kraftvollen „Wilden“ („Fauve“), der den Skulpturen der Afrikaner und Ozeanier Verehrung zollt, die „lodernden“ Gewänder auf frühmittelalterlichen Fresken und Miniaturen, Einblatt-Holzschnitte des 15. Jahrhunderts und die visionären Gemälde des El Greco bewundert. Die Pariser „Fauves“ ziehen deutsche Künstler und Sammler an, Ihre Schüler Max Purrmann, Rudolf Levy und Oskar Moll verbreiten ihre Lehre, 1909 stellte Henri Matisse seine Bilder in München und Berlin aus. Er schöpfte aus der Erbschaft der französischen Impressionisten, die in der Epoche kultureller Feindschaft seit 1871 in Deutschland verpönt waren. Matisse stieß also in Berlin und München auf „Barbaren“, die in der erstickenden Atmosphäre der Vorkriegszeit ihr Selbstverständnis suchten. Ihnen genügte nicht zu malen: Kokoschka und Barlach schrieben Theaterstücke, Kandinsky und Klee begannen früh, ihre Werke durch subjektive Deutungen, Tagebücher, programmatische Texte und Manifeste zu ergänzen. Im 3. Reich wurden sie verfolgt, ihre Werke entsprachen nicht dem „gesunden Volksempfinden“, wurden aus den Museen entfernt und in der Schweiz versteigert. Die „Barbaren“ sind heute die „Klassiker“ der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Abb. Ludwig Meidner Die brennende Stadt 1912


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Multiple

K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.
KUNST ABC AVZ 26. 10. 1974
M U L T I P L E
Die Reproduktion eines Kunstwerkes erhält dem Original, das reproduziert wurde, seinen Eigenwert, die Reproduktion ist nicht mehr als eine Kopie. Dagegen besteht ein vervielfältigtes Kunstwerk aus der Zahl seiner Wiederholungen. Modelliert der Künstler einen Druckstock, so sind alle Drucke Originale und ihr Wert nimmt nur ab mit der Anzahl, die er druckt. Der modellierte Druckstock ist altertümlich; Maschinen ersetzen ihn. Der Künstler füttert sie mit Daten, die Maschine stellt die Zeichnung, das gemalte Bild, die Skulptur her – einmal: ein Original, tausendfach: ein Multiple.
Laszlo Moholy-Nagy hat um 1930 telefonisch Daten weitergegeben, nach denen ein Techniker eine Farbzeichnung hergestellt hat – eine abstrakte geometrische Komposition. Er ging nicht davon aus, dass viele Menschen sich dafür interessierten; das Blatt wurde kein Multiple. Aber es war ein industriell hergestellter Gegenstand, den ein Künstler entwarf, ohne ihm Zeichen seiner subjektiven Handschrift mitzugeben. In den Gruppenstilen des Konstruktivismus und der Op Art sind etliche solche 2- oder3-dimensionalen Multiples entstanden. Und der Souvenirmarkt hat eine Fülle von Kunst-Nippes produziert,
Es kann genügen, dass ein Künstler gestattet, Gegenstände herzustellen, die so aussehen, als wären sie von ihm. Das bekannteste Beispiel der 60er Jahre ist ein Papierkorb aus Plexiglas, den man bei der Edition M. A. T. erwarb und mit beliebigen Büroabfällen füllte. Erst dann war der französische Künstler Arman bereit, ihn zu autorisieren. Denn mit solchen mit alten Milchkannen oder zerbrochenen Celli oder anderem Kulturabfall gefüllten Behältern war er bekannt geworden. Die Konzeptkunst und viele neue Techniken der Vervielfältigung haben dazu beigetragen, den Wert von eigenhändig hergestellten unwiederholbaren Kunstobjekten zu vermindern – oder aber als Raritäten unermesslich zu steigern.
Abb. Arman, Poubelle, Mülleimer, Edition MAT, 1964