Beckeraachen

Kunstwechsel


Hinterlasse einen Kommentar

47. Kalendergeschichte – Abraham und Sara am 28.12.2020

heute hat Abraham Sara aus Norwegen abgeholt. Sie lebten als Kinder am Horn von Afrika, flohen vor Plagen, die die Bibel und andere Zeitungen beschreiben, nach Europa, trennten sich; Sara verschlug es nach Trondheim, Abraham nach Aachen.

Sie waren seit langem ein Liebespaar und hatten sich auf der deutsch-dänischen Grenze getroffen, um im Standesamt von Tondern, dem nordeuropäischen Las Vegas, zu heiraten. Jahre vergingen. Abraham lernte deutsch, wurde Bäcker und kaufte ein Auto. Heute hat er Sara mit dem Auto abgeholt.

Eine Pest liegt in diesen Tagen schwer über den Kontinenten der Erde. Die Staaten Europas bewachen ihre Grenzen und warnen ihre Bürger sie zu verlassen; sie haben ihnen sogar dringend empfohlen, in den Weihnachtstagen in ihren Wohnungen zu bleiben und, ehe sich auf zahllose Beerdigungen vorzubereiten, das Heilmittel einer Spritze zu erwarten, die in großen Mengen hergestellt wird.

Sara, eine junge Frau vom Horn von Afrika, ist in Norwegen von Trondheim mit dem Zug zum Flughafen von Bergen gefahren, hat, ohne der norwegischen Sprache mächtig zu sein, ohne Papiere, die ihre Gesundheit bescheinigen, Zugang zu einem niederländischen Flugzeug gewonnen, das sie zum Flughafen von Schiphol vor Amsterdam brachte (sie spricht auch nicht Niederländisch), und am Empfang der Fluggäste stand Abraham und nahm sie in die Arme. Sprachenunkundig hatte er den Beamten erklärt, dass er seine Frau abholt, und niemand hatte ihm zu widersprechen gewagt. Alle glaubten dem Afrikaner aus Deutschland, dass er und diese Frau verheiratet und gesund sind.

Auf dem Parkplatz wartete Noah, ihr Freund, auf sie, und sie fuhren glücklich, ohne dass sie irgendjemand hinderte oder Papiere zu sehen verlangte, über die Grenze vor Aachen in das Land, das man an ihrer Autonummer erkennen konnte. Um Mitternacht kamen sie in Abrahams kleiner Wohnung in Burtscheid an, und er bereitete ein kleines Abendmahl auf den neuen Novellenherd zu und verteilte Bierflaschen.

 Diese Geschichte hat biblische Züge, die an die Flucht der Familie Josephs aus Bethlehem nach Ägypten erinnern. Angesichts der zahllosen Sperren, die die europäischen Staaten Länder aufgebaut haben, um sich gegen das Corona Virus zu verteidigen, erscheint sie mir wie ein Wunder.


Hinterlasse einen Kommentar

Weihnachtsschnauzen

50. Kalendergeschichte

Weihnachtsschnauzen – buon natale coronare 2020

Dikscha und ich holen ihre Mutter vom Bahnhof ab. Sie kommt aus Bangalore. Ihr Mann hatte mich vor zwei Jahren angerufen und mir angeboten, meinen Rechner zu renovieren; er zeigte mir mit seinem Cursor auf meinm Bildschirm alle Fehler und bot mir an, sie für 300 $ zu beseitigen. Ich erschrak vor dem Cursor und habe schnell die App gelöscht. So lernten wir uns kennen. Dikschas Mutter besucht mit ihrer Tochter die Weihnachtsmesse der Gemeinde freier Christen in Aachen. Sie hatte sich das letzte Mal über den Zuwachs an Männerbärten gewundert, jetzt staunt sie über die Maulkörbe, die wir und alle anderen tragen. Wir schenken ihr einen mit dem Bild des Elefantenkopfes von Ganescha, dem liebenswerten Gott der Hindi. Es gab andere Götter mit Tierköpfen:  Hathor, die kuhköpfige, Zeus den Stier; und Reiseschriftsteller des Mittelalters berichten von Menschen mit Hundeköpfen.

Die Proportionen von Mund und Nase in den Gesichtern der Tiere und Menschen folgen dem, was sie essen und trinken; dass unsere neuen Masken Mund und Nase verdecken, muss nicht bedeuten, dass wir in Zukunft unsere Nahrung einatmen werden, um unseren schädlichen Konsumwünschen den Abschied zu geben, dass wir sie dauernd tragen müssen, um uns gegen verschmutzte Umweltluft zu schützen. Die Genies der Industrie werden den Gebrauch erleichtern. Sie werden neue Formen herstellen: mit verschließbaren kleinen Kappen zum Einführen von Strohhalmen, die das Trinken erlauben, mit kleinen Lautsprechern, die der Sprache die Dumpfheit nehmen und Hefthaken an den Backenknochen, um sie daran aufzuhängen.

Dikschas Mutter lacht und erzählt, dass Kosmetikstudios und Schönheitschirurgen in Indien damit beschäftigt sind, für Männer und Frauen zart perforierte Guttapercha-Masken von Gesichtern abzunehmen, so zu dehnen, dass vor Mund und Nase eine kleine Luftzone entsteht, sie mit einer feinen Maquillage zu glätten und an ihren inneren Rändern mit einer verträglichen Klebeschicht zu versehen, die erlaubt, die Maske lange zu tragen. Natürlich enthalten diese Masken auch kleine Lautsprecher mit Verstärkern, so dass auch Sängerinnen und Sänger damit umgehen können. Affen seien in Indien heilig, darum soll in Indien kein Mensch wie ein Affe aussehen. Der Import chinesischer und europäischer Masken wird nicht empfohlen.

Abb. Schedelsche Weltchronik 1493: Australischer Kynokephale

F R Ö H L I C H E   W E I N A C H T E N !


Hinterlasse einen Kommentar

ART Util

Vom Nutzen der Kunst

 2017 stand ich in der großen Vorhalle des Museums von Eindhoven und drückte die Beine gegeneinander. Ich suchte ein Pissoir und fand es zu meiner Überraschung in einer Ecke des Raumes. Ich war erleichtert – und sehr beschämt. Denn das Pissoir trug den Titel mit dem Namen einer Künstlerin, die ich kannte: Tanja Bruguera. Das „Pissoir“ war ein umgedrehtes „ready made“, eine Replik der berühmten „Fountain“ von Marcel Duchamp, ein Pissoir, das er 100 Jahre zuvor auf den Kopf gestellt hatte.

Die Ausstellung der Tanja Bruguera, zu der es gehörte, hieß „ARTE UTIL“ und begleitete  ein Lexikon „Towards the Usership of Art“ von Stephen Wright und ein Seminar über nützliche Kunst, das in diesen Monaten ebenso in Liverpool und San Francisco stattfand. Das Verhältnis zwischen Produzent und Konsument, zwischen Künstler und Betrachter nahm im digitalen Zeitalter neue Formen an,  Kunstwerke müssen nicht interesselos wohlgefallen, sondern gebraucht, genutzt werden. . Wright kritisiert in  seinem Lexikon „ Deaktivieren (ästhetische Aufgabe der Kunst)“,  die „Expertenkultur“, „die Faulheit (kreativ und ausdrucksstark)“, „Kunst als Eigentum (copyright ist nichts für Benutzer)“ , „Spezifische Sichtweise (sub specie artis)“. Der Betrachter wird Nutzer. Der Künstler verlässt den ästhetischen Raum, in dem er politische Freiheit genießt, und mischt sich in das Leben so ein, dass seine Werke mit solchen des öffentlichen Lebens verwechselt werden können. Siehe das „Pissoir“ der Tanja. Bruguera und ich. (Ich war froh, ihr hier nicht wiederbegegnet zu sein. Sie ist eine streitbare Kubanerin.).

So auch die YES MEN, 2 New Yorker, die seit 30 Jahren als art guerilla-Anarchisten die amerikanischen Medien beschäftigen. Sie produzieren nicht nur Fake News, sondern verführen TV und Zeitungen, über ihre Auftritte in Kongressen als Vertreter der World Trade Organisation zu berichten, in denen sie Großkonzerne wie Dow Chemical und Exxon angreifen, in einer Tagung über die katastrophalen Folgen globaler Erwärmung einen mannsgroßen „Survival Ball“ für Manager aus Plastik mit Sichtöffnung und 6 Armen bekanntmachten, der vor Stürmen, Erderwärmung, Flutwellen, aber auch Terroristen schützt.

Sie sind die bekanntesten unter den “Interventionists“. So hieß 2004 Nato Thompsons Aussteliung im Massashusets Museum of Contemporry Art mit weit verbreitetem Handbuch), und Stephen Wright konkurrierte mit einer Installation zum “use of Art” in APEX, Manhattan. Sie beriefen sich auf die Paiser „Situationisten“ der 60er Jahre mit ihrem Wortführer Gux Deborde. Das „Zentrum für politische Schönheit“ des Philipp Ruch hat sich in Berlin gebildet und zuletzt durch eine verkürzte Replik des  Mahnmals für die ermordeten Juden Europas   neben dem Thüringer Haus des AFD-Funktionärs Bernd Höcke große öffentliche Aufmerksamkeit erzielt.

Die Lobby der Künstler im politischen Raum ist klein, aber mächtig in ihrer Erfindungskraft“. Sie kann in zivilem Ungehorsam aufsehenerregend im öffentlichen Raum agieren, ihr gehört „die Straße“, sie kann Obdachlose in leerstehenden Fahrzeugen unterbringen, sie kann Jacken entwerfen, die Wohnungslosen als Zelte dienen, sie kann viel mehr als Graffiti auf leere Wände malen. Die „Interventionists“ boten in ihrer Ausstellung „tool boxes“, Werkzeugkisten. Es lohnt sich hineinzuschauen. Sie definierten Kunst, die für sozialen Wandel agitiert „using magic

tricks, faux fashion and jacked-up lawn

mowers,”