Beckeraachen

Kunstwechsel


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Bob Verschuerens Earthwork

40. Kalendergeschichte

Bob Verrschuerens  EARTHWORK

Als Bob Verschueren an dieser großen Kohlezeichnung arbeitete, stellten wir uns die Tonsur eines Mönches vor, die das Pfingstfeuer brennt die Haare um den nackten Schädel stehen ihm zu Berge; aber wir dachten auch an große und kleine Streichhölzer, die virtuos im Kreis geordnet sind; ein Schafgarben-Orakel oder Mikado:  oder aber wir stünden auf einer Anhöhe  und schauten auf eine Menge von nackten, geschnittenen Baumstämmen hinab, die gleich lang wären bis auf jene Stummel, die den Kreis innen säumten; alle wären zur Mitte gerichtet und würfen Schatten nach links. Diese Ansicht einer „Landschaft“ gefiel uns am besten. Warum? Es ist nicht selbstverständlich, dass unsere stereometrischen Augenpaare die Entfernung eines Gegenstandes in einer Abbildung bestimmen können. Ein Einäugiger scheitert unter Umständen. Verschueren weiß das, Er arbeitet nicht nahsichtig in Miniaturen, sondern in Naturlandschaften, „avec arbres et feuilles = mit Bäumen und Blättern = met bomen en bladeren = with trees and leaves“ so hieß die Ausstellung und ihr Katalog, die er 1992 mit Nils-Udo in der Brüsseler Galerie Atelier 340 ( bei Wodek „Président et Concierge“) vorbereitete. Die Skulptur, die er hier entworfen hat, sollte also ein großes Feld bedecken – wie den Garten des Ludwig Forums in Aachen; so signierte er das Blatt und fügte hinzu „Projet pour Ludwig Forum“.

Er würde einheimisches Buchenholz verwenden, um den Entwurf umzusetzen; Bambus, wenn er Japaner wäre. Hier wie dort würde er die Stämme tief in die Erde einlassen und oben schräg anschneiden. Als Japaner könnte er mit dem Gedanken spielen, die hohlen Stämme gestaffelt mit horizontalen Schlitzen zu versehen. Der Wind würde auf ihnen wie auf Orgelpfeifen Konzerte erzeugen. Hier, in den Buchenstäben, würde ein Sturm sanft pfeifen.

Stürme haben Verschueren in seiner Jugend fasziniert. Er hat sie Farbpigmente über Felder tragen lassen und so „wind paintings“ geschaffen.  Aber er war nicht musikalisch genug, um Äolsharfen, Windharfen, Klangkunstwerke zu entwerfen. Bis heute baut er spielerisch an vielen Orten dieser Welt Denkmäler mit großen Astbündeln und Kompositionen von mächtigen Baumblöcken, Ihm und den Kollegen seiner Generation ist es gelungen, Naturlandschaften als Handlungsräume für künstlerische Eingriffe bekannt zu machen. Die Entwicklung der Fotografie und Filmkunst hat ihnen geholfen. LAND ART und EARTH WORKS gehören zu jenen Bewegungen vor 50 Jahren, die eine neue Epoche der Ökologie einläuteten.

Das Projekt für Aachen musste denen von Alan Sonfist und Nils-Udo weichen.


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Zeichnen-Ritzerfeld

Hartmut Ritzerfeld

Zeichnen

Wenn einer nichts als zeichnen will, einen Stift mit einer weichen Graphitmine zwischen 2 oder 3 Finger klemmt, einen rauen Papierbogen auf dem Tisch ausbreitet, einen dicken schwarzen Punkt in die Mitte des Blattes setzt, so hat er dem, was er zeichnen wird, ein Auge gegeben, sein Auge. Er wird sich zeichnen und eine Antwort auf Fragen suchen, die er sich stellt. Der Stift gleitet zögernd gleichmäßig über den Bogen, nein, er zittert nicht, zum Rand hin läuft er aus und ohne Unterbrechung zurück, er sucht keine eleganten Schwünge, eher leichte gekritzelte, wie Kinder sie lieben. Der Zeichner entdeckt, dass er sich auf dem großen Bogen verliert, er beginnt sich zu suchen und entdeckt sich auf einem großen Volumen aus 2 Teilen, einem „Nilpferd“, das ihn von rechts nach links trägt. Er freut sich. (Ob er Dürers Nilpferd kennt?). So fühlt er sich: fortgetragen von einer mächtigen, stampfenden Kraft, die zu bändigen ihm mit einer locker geführten Leine nicht nötig erscheint. Der Reiter soll nicht klein sein, seine Beine reichen bis zum Boden, aber er ist leicht. Der Zeichner entdeckt, dass er selbst ein Tier ist mit Hundekopf und gestrecktem Ohr. Der Stift hat seinen Lauf an wenigen Stellen unterbrochen und endet in der Mitte dort, wo der Reiter auf dem Sattel sitzt.

Es fehlen Worte, um ein Psychogramm des Autors zu schreiben, ohne Gegenstände zu verwenden, die der Leser kennt. Hartmut Ritzerfeld hat diese Zeichnung in den achtziger Jahren neben vielen anderen schnell geschaffen, und ich habe die fröhliche Leichtigkeit bewundert, die ihn beflügelte. An den Belastungen des Lebens „ritt“ er vorbei und sprach am liebsten mit sich selbst. Er ist sozusagen der Künstlerkünstler geblieben, und manchmal spürte ich, dass wir, die wir der Kunst ihren Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen suchten. Ihm nicht mehr als Gelächter abgewonnen haben.

Zu einem Monolog können auch neuartige Medien dienen („Selfies“), aber die Arbeit zwischen Kopf, Hand, Stift und Papier ist das einzige Selbstgespräch, das Erkenntnisse vermittelt, wenn es entsteht.

Heute wird Hartmut Ritzerfeld in Büsbach 70 Jahre alt.


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Hacki zum 70.

Hacki zum 70.

38. Kalendergeschichte

Hartmut Ritzerfeld (Büsbach, Voreifel) ist es 1972 gelungen, bei Joseph Beuys in der Düsseldorfer Akademie zu studieren. In Aachen laufen seine Freunde aus Kornelimünster, Breinig, Friesenrath und Walheim (die „Eifelmaler“) in die Neue Galerie, um die Kunstwerke aus der großen weiten Welt anzuschauen. Dort will der Beuys-Schüler ausstellen und präsentiert sich dem jungen, unerfahrenen Leiter des Hauses. Dem Kölner wirbeln Bilder des just geborenen internationalen Kunstmarktes und die Erwerbungen des Aachner Sammlers Peter Ludwig durch den Kopf, die Hasenkamp täglich liefert. Er hat gerade seine zehnte Wechselausstellung eröffnet.  Ritzerfeld zeigt ihm viele kleine Bilder, die nichts, gar nichts mit dem verbindet, was an den Wänden des Hauses hängt, Er hat sie mit Pinseln, Stiften und Holzscheiten auf Kartons, Brettern, Fenstern und Türen entworfen. Sie sind ihm nicht viel wert und er tauscht das eine oder andere gern gegen eine Flasche Bier. Den Kurator, dessen Milieu von der Lust bestimmt ist, Werte zu schaffen, zu sichern und zu steigern, entsetzt die Gleichgültigkeit des Künstlers vor seiner Arbeit, bevor er ihrem Zauber erliegt. Als er ihm eine Ausstellung in der Neuen Galerie verweigert und jener nachfragt: Aber davor? In der Kolonnade? stimmt er zu. Tatsächlich lehnt Ritzerfeld etwa 10 Tage lang große und kleine Zeichnungen und Gemälde morgens an die Wände der Kolonnade und baut sie abends ab. Und damit jeder ihn als den Autor der Werke anerkennt, bleibt er bei ihnen, ergänzt sie und malt auf seinem Gesicht weiter. (In seiner Vita wird stehen: Einzelausstellung in der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig, Aachen)

Er spricht gern von Beuys und der Vorstellung, Kunst müsse von allen gemacht werden oder jeder sei ein Künstler; er wird diese Sprachhülsen durch andere Figuren ergänzen, die er liebt, wichtiger ist, dass er slch ernst nimmt und durchhält. Anderen ist es gelungen, seine kreativen Impulse zu zähmen, ihn zu marktkonformen Werken zu verleiten, ihn zu imitieren; aber der Kurator, der ihn einmal so auftreten ließ, wie er es sich wünschte, wird ihn fortan nicht mehr los.  Hacki schlendert in sein Büro, wirft ihm einen Stapel von Papierbögen aus einer Rechenmaschine auf den Schreibtisch, die er mit Kugelschreibern oder Filzstiften bearbeitet hat, und fragt, „Haste mal ne Mark?“  In einer Musikveranstaltung ergreift er das Mikrofon und singt von seiner Hochzeit mit Madonna, von seinen vier Augen auf der Drehscheibe des Kosmos. Ein Copyshop verwandelt die Zeichnungen in Flugblätter, die er auf seinem Rundgang durch Aachens Kneipen verteilt. Sie sind unverwechselbar. Wer sie sammelt, hat Hackis Welt. Ein Archiv der ART BRUT sollte sich glücklich schätzen, seine Blätter zu verwalten.

Den „Eifelmalern“ im Münsterländchen ist er ein Heiliger. Sie arbeiten sich an ihm ab, und er begegnet ihnen lächelnd: sie sind keine Beuys-Schüler. Aber sie teilen mi ihm die Ikonografie – die Dörfer, in denen sie leben, die Freunde und Freundinnen – und die Bildersprache, die ihre Faszination verliert, wenn sie sich ihrer rustikalen Schlichtheit schämt und versucht, modern zu erscheinen.

Sammler wie Ludwig erwerben solche Werke nicht. Liebhaber, die Ritzerfelds Existenz sichern, sind seine Nachbarn in der Aachener Region – unter ihnen etliche Künstler. Sie kennen ihn. In ihre Bewunderung mischt sich Zuneigung zu einem Außenseiter, der sein Leben lang im Büsbacher Haus seiner Mutter wohnt und sich nicht der mühseligen Arbeit an  werthaltigen Objekten unterwirft, die geschätzt und gehütet werden sollen, sondern der spontanen Lust, einen Ausdruck seines Lebensgefühls zu entwerfen – skizzierend, zeichnend, malend, singend. Der Kurator hat sich angewöhnt, seine Werke nicht zu sammeln, sondern aufzusammeln dort, wo der Künstler sie liegen lässt.