Beckeraachen

Kunstwechsel


Hinterlasse einen Kommentar

Kaspar Hauser

Zu Weihnachten „Kaspar Hauser“

 

Dieses Bild betrachte ich jeden Tag. Es hängt in meinem Badezimmer. Ich sehe ein bescheidenes Kinderspielzeug, ein Pferd, angeschirrt an ein angeschnittenes Gefährt. Eine Kutsche? Die schwarze Silhouette ist ohne Binnenzeichnung schlicht auf den grauen Grund gesetzt, und diesen Grund bestimmt ein Geist, zwei Augen, der Umriss eines Kopfes, Formen, die durch die Farbe durchschlagen: das Gesicht des Kaspar Hauser.

Kaspar Hauser war schon vor seinem Tod 1833 so bekannt wie Donald Trump heute, ein Findelkind, das sich selbst mit einer Fülle von Geheimnissen umgab. Ich habe im Ansbacher Hofgarten vor seinem Gedenkstein gestanden: „HIC OCCULTUS OCCULTO OCCISUS EST“ „Hier wurde ein Geheimnisvoller auf geheimnisvolle Weise getötet.“  Er war etwa 20 Jahre alt.

Mein kleiner Freund Philipp (8 Jahre), der neben mir wohnt, baut verbissen an den Cyborgs der LEGO Bionocles mit den Maori-Namen, die sein Kinderzimmer füllen und sich in diesen Tagen wundersam vermehren. Ein Holzpferd mit Karre kann er sich als Spielzeug nicht vorstellen.  Die provokante Bescheidenheit dieser Chiffre und der Titel des Bildes, ihr Bezug zu dem Findelkind, das angab, jahrelang in einem Kerker vegetiert zu haben, ließen mich das Bild vor 10 Jahren in einem verlassenen Verkaufsraum in Aachen für 150 € kaufen. Ich hatte von seinem Autor nie gehört. Wir schrieben uns. Er lebt zurückgezogen bei Aachen und zeichnet / malt jeden Tag Porträts von Menschen, denen er in den Medien begegnet, mit einer melancholischen Gleichgültigkeit, als wären sie alle Findelkinder in einer Welt, deren Erstaunen sie suchen.

Hans Peter Kohlhaas „Kaspar Hauser“ 2010, Öl, Lack auf Karton 50 x 40 cm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Hinterlasse einen Kommentar

Utopien

ZUM NEUEN JAHR: UTOPIEN

 

Als die Künstler und Wissenschaftler um 1900 in die Zukunft sprangen, schrieben die Träumer und Utopisten in den Reformsanatorien des Tessin, der Villa Neugeboren und des Monte Verità: Thomas Mann den „Zauberberg“, Hermann Hesse „Demian“ („Sei du selbst!“), und Ernst Bloch publizierte zum Ende des Weltkriegs den „Geist der Utopie“:

„Nun haben wir zu beginnen. In unsere Hände ist das Leben gegeben. Für sich selber ist es längst schon leer geworden. Es taumelt sinnlos hin und her, aber wir stehen fest, …wir sind ärmer als die warmen Tiere geworden; wem nicht der Bauch, dem ist der Staat sein Gott, alles andere ist zum Spaß und zur Unterhaltung herabgesunken. …Wir haben Sehnsucht und kurzes Wissen, aber wenig Tat, … keine Weite, keine Aussicht, keine Enden, keine innere Schwelle,…. keinen utopisch prinzipiellen Begriff. Diesen zu finden, das Rechte zu finden, um dessentwillen es sich ziemt, zu leben, organisiert zu sein, Zeit zu haben, dazu gehen wir,…. bauen uns ins Blaue hinein und suchen dort das Wahre, Wirkliche, wo das bloß Tatsächliche verschwindet.“

Das Pathos haben die Enkel, die „Hippies“ im Silicon Valley in den 60er Jahren nicht wiederholt, In ihrem Whole Earth Catalog 1970 heißt es:

„Wir sind wie Götter und könnten darin sogar gut werden. Bis heute sind die Mächtigen und Ruhm Suchenden –  Regierung, big business, Erziehung, Kirche – so weit gelangt, dass grobe Mängel tatsächliche Gewinne verdunkeln. Als Antwort auf dieses Dilemma und auf diese Gewinne entwickelt sich ein Bereich intimer, persönlicher Kraft – Kraft des Individuums, seine eigene Erziehung zu leiten, seine eigene Inspiration zu finden, sein eigenes Umfeld zu gestalten und dieses Abenteuer mit jedem zu teilen, der dazu Lust hat.“

Sie sind die Väter von Apple, Google, Microsoft und Facebook, und ihre Kinder und Enkel lenken das globale Internet. Wer ihre anarchische Perfektion bewundert, muss den angestrengten Eifer aller Staatsregierungen, den Menschen dieser Welt ein Leben in Frieden zu schaffen, für stümperhaft halten. Aber auch die Enkel verharren in einer Jetztzeit, die von Hysterie und Angst bestimmt ist. Die lastende Atmosphäre lässt nur noch Neuerungen an Smartphones, Kritik, Nörgelei, Demonstrationen, Beschimpfungen, Prügeleien, Spaltungen, Missmut und Überdruss zu. Aber dringend gebraucht werden Zielvorstellungen und wachsende, kräftige Mehrheiten innerhalb und außerhalb des politischen Raums, die ein Bewusstsein von gemeinsamer Kraft trägt. Darum ist es nützlich, die Utopien für neue Leitbilder zu nutzen statt mit Dystopien zu kokettieren. Die kalifornischen Hippies haben von LUST gesprochen. Das Abenteuer, an der Welt zu bauen, mit jedem teilen, der LUST dazu hat. LUST sollte das Neue Jahr bestimmen.