Zwei Lebern
Eine Kalendergeschichte
1990 soll der Maler John Bellamy diesen Brief geschrieben haben::Mein Lieber, Ich gratuliere Dir zur Eröffnung Deines neuen Museums und bedauere zugleich, dass keines meiner Bilder darin zu sehen ist. Seit ich 1967 in Dresden das Kriegstriptychon von Otto Dix gesehen habe, bin ich nicht stolz, ein schottischer Maler zu sein, sondern fühle mich dem Kontinent Europa verbunden. Deine „Neuen Wilden“ faszinieren mich, und als Du mich 19880 in London besucht hast, war ich ein „Wilder“ wie sie, ich lebte wie ich malte, und der Alkoholismus vernarbte zusehends meine Leber. Ich habe Dich durch die schönsten Kneipen des Hafenviertels geführt und versucht, Dir die Unterschiede zwischen schottischem und irischem Whiskey nahezubringen. Damals herrschten das Glutamat und das Dopamin über die Zellen meines Gehirns. Im Hotel sind wir trunken durch die Korridore geirrt und haben Dein Zimmer gesucht, im Gehirn hätte ein „Bote“ uns geholfen. In Aachen hast Du mir Astrid vorgestellt, und dort ist das fröhliche Porträt „im Weinglas“ entstanden – es war ein großes Vergnügen, solche schnellen, virtuosen Rötelzeichnungen zu improvisieren.
Zwischen Zusammenbrücken lebte ich als „Verwildeter“, bis 1988 die Ärzte im Addenbrook´s Hospital in Cambridge meine Schrumpfleber durch eine gesunde ersetzen konnten, die noch Leben enthielt. Frag mich nicht nach dem Spender. Sir John Kalne war der Chirurg. Er fühlte sich wie Christian Barnard 13 Jahre zuvor. Es stand in allen Zeitungen Nach der Operation habe ich wieder zu malen begonnen.
Wie werden die Organe, die meine „wilden“ Bilder bestimmt haben – die Leber, der Dünndarm, die Zellgewebe des Gehirns – renoviert, ersetztt an neuen Bildern mitwirken? Und der Spender? Mir fehlt beim Malen das Glas in der linken Hand, das kribbelnde Chaos der Botenstoffe unter der Schädeldecke. Braucht dieses Malergehirn nicht Denkprozesse, die gedämpft, gebremst sind auf die bedächtige Geschwindigkeit des Pinselns? Die Ärzte meinen, die Überproduktion von Glutamat und Dopamin habe den „wilden“ Maler, seine bizarre Palette, die ruhelose Bilderschrift. die Lust an Saufgeladen mit Freunden gefördert. Das würde mir nun fehlen. Aber mein Suchtgedächtnis bewahre es auf. Ich habe Angst. Damian Hirst macht mir Mut. Er hält mich für einen bedeutenden Kollegen und will einige der neuen Bilder kaufen. Wird es also in Zukunft zwei Ausstellungen meines Werkes geben? Vorher? Nachher? A-Leber,B-Leber?
Bei Deinem nächsten Besuch werde ich Dich mit Britischem Mineralwasser bekanntmachen. Herzliche Grüße
