Beckeraachen

Kunstwechsel


Ein Kommentar

Videoarchiv Belgien

Zur Ausstellung des Ludwig Forums für internationale Kunst „Videoarchiv 04. DIE BELGIER“

 

Wer heute mit Skype telefoniert, Videos mit seinem Smartphone herstellt und über Beamer zeigt, kann sich kaum vorstellen, dass Nam June Paik mit seiner kleinen Videokamera gegen die 16mm-Beaulieu von Andy Warhol um Geltung kämpfte und dass Ulrike Rosenbach nur davon träumen konnte, eines ihrer Videostücke allen Bewohnern eines großen Hotels in ihren Zimmern zu zeigen.

Die ersten Videokameras, die wir in den späten 60er Jahren kauften, hatten noch keine integrierten Recorder wie die späteren Camcorder und einfache ½ Zoll Schwarz-Weiss-Bildsensoren, aber was solkl´s, wir folgten alle dem Glaubensbekenntnis Gerry Schums: Kunst als Kommunikation von Kunst statt Besitz von Kunstobjekten, mit dem er seine „Fernsehgalerie“ 1967 bis 1970 betrieb (Er hat sie in seiner Düsseldorfer Galerie seit 1971 ad absurdum geführt, als er Editionen von Kassetten teuer anbot.)

Die digitalisierten Kassetten, die das Videoarchiv im Ludwig Forum nun zeigt, stammen (außer Leo Copers, dem Belgisch-Limburger) aus dem Aktionskreis einer Ausstellung, die die Neue Galerie 1975 präsentierte: „Belgien: Junge Künstler 1/ Belgique: Artistes Jeunes 1/ Jacques Charlier, Alain d´Hooghe, Filip Francis, Jacques Lizène, Bernd Lohaus, Mass Moving, Jacques Louis Nyst, Henri Pousseur, Philippe Van Snick, Marthe Wéry, Continental Video /Antwerpen)“: Aktions-, Land Art-  und Performance-Künstler, Komponisten und erste Video-Künstler. Ich hatte sie in Lüttich durch Guy Jungblut und seine Galerie Yellow Now, eröffnet 1969, und in Antwerpen durch Flor Bex im 1970 gegründeten International Cultural Centre (I.C.C.) kennen gelernt. Die Video-Epidemie hatte auch sie erfasst. In der Ausstellung bot Charlier mit einer elektrischen Gitarre und grellen Verstärkern ein hard music Konzert, Bernd Lohaus bewarf die Wände eines Raumes mit Farbpigmenten, Filip Francis stellte hunderte kleiner Holzklötze auf, stieß den ersten an und ließ uns erleben, wie einer nach dem anderen auf dem Marmorboden des Ballsaales umfiel. Henri Pousseur führte mit kleinen Lütticher Orchester eine eigene Komposition vor, und Nyst begleitete seine intimen Video-Erzählungen. Lizène, „petit maitre Liegeois“, zeigte zwei braune Bilder, die nach Fäkalien rochen, und D´Hooghe bemühte sich vor der Tür, sein Auto statt mit Benzin mit Erbsensuppe zu betanken.

Das jugendliche Vergnügen, das alle spürten, kann die Ausstellung im Ludwig Forum nicht wiedergeben, aber sie zeigt den Frühling der Experimente mit dem neuen Medium so, dass seine Mängel allzu sichtbar werden – und lässt ihn ohne Kommentare allein. Die Werke sind mit einfachen Instrumenten hergestellt, für kleine Monitore bestimmt und nicht für Projektionen, und da sie lichtschwach sind, sollte es dunkel sein. Die „Ausstellungsbrochüre“(?), ein bescheidenes Faltblatt, bietet geringe Lesehilfen. Und der Beitrag ist klein: es ist damals nicht gelungen, zusätzlich Videos von Marie-Jo Lafontaine, David Claerbout oder Michel François zu erwerben. Die Belgier haben zur europäischen Videokunstgeschichte einen guten Beitrag geleistet.

 

 


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NeueWilde

Zu der Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum für internationale Kunst in Aachen – bis zum 10. März 2019

Albert Oehlen „Ohne Titel (Seerosen)“ 1982

Die „Liga zur Bekämpfung widersprüchlichen Verhaltens“ gründeten Albert Oehlen und Werner Büttner in Hamburg. Er fand den Titel „Neue Wilde“ „albern“ und schlug „Postungegenständlich“ vor. 1982, als dieses Bild entstand, arbeitete er mit Martin Kippenberger, und Max Hetzler hatte ihm die erste Einzelausstellung in Stuttgart eingerichtet. Das große zweiteilige Bild hat einen Titel in Klammern „Seerosen“, er erlaubt eine Referenz zu dem berühmten Alterswerk von Claude Monet in der Pariser Orangerie.

Oehlen führt den Betrachter über eine harte Uferkante nach links auf ein Gerüst aus drei vertikalen dicken Holzbohlen, in die drei horizontale gesteckt und mit ihnen verschraubt sind. Es steht lange schon in einer ruhig plätschernden Wasserfläche; eine Spinne hat zwischen zwei der Pfeiler ihr Netz ausgebreitet. In die rechte getrennte Bildhälfte ragen die Bohlen, die das Gerüst tragen, hinein. Es ist nicht klar ersichtlich, dass einer der Balken eine schwarze runde Scheibe und den Betonsockel trägt, auf dem eine Kopfskulptur im Profil befestigt ist. Nummerierte Schlagschlüssel liegen ungeordnet am Ufer. Tatsächlich sind zu Füssen der Büste vier hellrote Blütenbündel emporgeschossen: die Seerosen.

Die „Sixtinische Kapelle des Impressionismus“, die Monet Frankreich hinterlassen hat, steht hier für den Gipfel einer europäischen Ästhetik gemalter Bilder, der Albert Oehlen ein anti-ästhetisches Manifest entgegen zu stellen versucht: den Teichen in Giverny das Brackwasser eines Meeres, den mächtigen Trauerweiden das Bollwerk eines Gatters und dem unsterblichen Meister den Künstler als scharfes anonymes Profil verewigt im versperrten Denkmal – mit Schlagschlüsseln befestigt, von vier vereinsamten Seerosen gefeiert. Der reichen Palette Monets steht die Tristesse einer lose gemalten Einheit von Braun-, Grau- und Grüntönen auf weißem Grund gegenüber. Ironisch meint Oehlen: „Also, man müsste das Medium möglichst großen Belastungen aussetzen, dann kommt richtige Schönheit heraus“.

Das Bild hat Peter Ludwig kurz nach seiner Entstehung für die Neue Galerie erworben. Jetzt hängt es im Ludwig Forum.

 

 

 


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Neue Wilde

Ich lade Sie herzlich ein!

 

Die aktuellen Ausstellungen des Ludwig Forums DIE ERFINDUNG DER NEUEN WILDEN und PATTERN ANDS DECORATION. ORNAMENT ALS VERSPRECHEN berühren mich, denn ich habe den Titel erfunden und die PATTERN PAINTER als Teil der NOUVEAUX FAUVES – NEUEN WILDEN 1980 in der Neuen Galerie ausgestellt und bearbeitet. Alle Werke, etwa 1.000 NEUE WILDE, die Peter Ludwig zwischen 1975 und 1985 erwarb, hat die Neue Galerie ebenso ausgestellt und auf Reisen geschickt wie etwa 1.000 Werke der OSTKUNST. Der HYPE der Neuen Wilden und der RUSSEN-BOOM stürmten durch den Kunstmarkt. Über diese WILDNIS möchten die Kuratoren Ramona Heinlein und Benjamin Dodenhoff mit mir sprechen.

Sie können nicht kommen? Lesen Sie www.wbecker.kulturserver.de Index Neue Wilde 2018

 

Donnerstag, 29. 11. 2018 18 Uhr im Ludwig Forum

 

Wolfgang Becker


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Videoarchiv

Stöbern im Videoarchiv des Ludwig Forums für internationale Kunst in Aachen 2

 

Dieses Online-Archiv ist ganz und gar in englischer Sprache gehalten – mit einer Ausnahme: der erste, der in der Reihe der Interviews gefragt wird, antwortet in Deutsch (mit englischen Untertiteln): Wolfgang Becker, und er ist der einzige, der spricht. Alle anderen Interviews liest der Benutzer als englische Texte. Warum Becker spricht, verrät an anderer Stelle ein Bericht über die Geschichte der Videosammlung: er hat sie begonnen.

Eine Chronologie „The Video-Archive in Context“ bettet die Aktivitäten der Neuen Galerie und des Ludwig Forums in eine internationale Zeitschiene von 1963 bis 2015 und zeigt, wie Videos Quellenmaterial für vielfältige Aktionen, Performances und Konzerte sind, ehe sie als autonome Kunstwerke betrachtet werden können.

194 Werke sind digitalisiert und an einer einzigen Stelle in der Bibliothek des Ludwig Forums einzusehen – offline. Das Online-Archiv enthält keine Liste der Arbeiten. Vielleicht ist man sich der genauen Anzahl nicht sicher und findet in Beckers alten Kartons noch weitere Kassetten und open reels. Vielleicht ist die Arbeit der Kontaktaufnahme mit den Autoren nicht beendet und Copyrightfragen sind ungeklärt.  Es muss schon eine schweißtreibende Arbeit gewesen sein, die Erlaubnis für die Nutzung der hier online gestellten 30 Arbeiten zu erreichen.

Diese 30 sind also nicht etwa die, die die Archivare für die besten und wichtigsten halten, und alle müssen hoffen, dass die Unterhandlungen fortgeführt werden und weitere online-Schaltungen erfolgen. Denn die ausschließlich englischsprachige Fassung meint doch, dass die Forschungsergebnisse der Aachener Archivare Interessierten der internationalen Fachwelt zur Verfügung stehen sollen und weniger den deutschsprachigen Rheinländern, die stehenden Fußes ins Ludwig Forum eilen können, um an einer Sichtungsstation die Werke offline zu betrachten. Darüber hinaus sollen Werkgruppenausstellungen wie die aktuelle der belgischen Videokünstler (überaus bescheiden kommentiert) Ergebnisse fortlaufender Forschungen zeigen. Hoffentlich werden für diese Arbeiten ausreichende Nachfolgebudgets zur Verfügung stehen.

Die 30 Beiträge, die jetzt sichtbar sind, zeigen aber auch, dass es heute, im historischen Abstand, notwendig wird, kritisch zu sichten, zu werten und zu ordnen, innovative Beiträge zur Video-Kunst von elektronischen „Bricolages“, von Bandaufnahmen, die bei Performances beiläufig oder als Dokumente zu Ausstellungen entstanden sind, zu unterscheiden ebenso wie Autoren, die sich im Sog der Kreativen einmal oder gelegentlich im neuen Medium versucht haben von solchen, die ein Video-Lebenswerk erarbeitet haben.

Das Video-Archiv ist eine neue Abteilung des nun hoch gelobten Ludwig Forums und verdient die intensive Aufmerksamkeit der Kulturverwalter. Es wäre jammerschade, schliefe es auf den Lorbeeren ein, die sich jetzt angesammelt haben.

 

Abb. Tony Morgan „TELEVISION“ 1970

 

 


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Videoarchiv des Ludwig Forums

Zu einem großen Ereignis im Ludwig Forum für internationale Kunst Aachen:

DAS VIDEO-ARCHIV

 

„heste nix anderes zu donn als vor de Neue Galerie in Aache erüm zu stonn? Dat sachens ich der Scheff! Der gibt Dich keine Schokolade denn mehr, und wie Du dann klar küttst, dat kannste Dich heut schon überlegen!“ Das schrieb mir Sigmar Polke auf einer Einladungskarte des Van Abbe Museums in Eindhoven von 1976. Er hatte Recht. Die Neue Galerie gäbe es ohne den Sammler Peter Ludwig nicht. Aber gerade Sigmar Polke, seine Freunde Achim Duchow, Christian Kohlhöfer, Wolfgang und Ilona Weber in Düsseldorf gehörten zu jenen unruhigen Geistern, die begeistert den technischen Neuerungen der Bild- und Tonmedien nachjagten, und sie wussten, dass die Neue Galerie ein Treffpunkt der „Künstleringenieure“ war. Zur Eröffnung 1970 signierte Christiane Möbus Blätter mit Porträts der Besucher, die eine Xerox-Maschine erzeugt hatte, Wolf Vostell brauchte für seine große Einzelausstellung einen Elektroniker und zahlreiche Geräte; es gab erste Kameras, Videobandgeräte, Monitore, Filmprojektoren, eine Tonanlage im ganzen Haus. Im Schaltraum hinter dem Ballsaal füllten sich die Kartons mit bespielten Audio- und Videokassetten von Konzerten („Necronomicon“, „Kraftwerk“) und Performances; das waren keine Kunstwerke in einem neuen Medium, sondern unbearbeitete Dokumente – im online-Videoarchiv sind einige von ihnen trotz ihrer geringen Qualität mit anderen vermischt, die als autonome Video-Werke in Ateliers oder Tonstudios entstanden sind. Ihre ersten zeigte mir damals Ulrike Rosenbach.

 

Mir ist wichtig daran zu erinnern, dass diese medienübergreifende experimentelle Museumsarbeit vom Mäzen des Hauses freundlich geduldet wurde, weil sie die Besucherzahlen maßgebend mitbestimmte. Gefördert hat er sie nicht, denn der klassische Sammler, der nach langlebigen Werten suchte, konnte nicht Künstlerfilme und Videokassetten erwerben oder ihre Produktion fördern. Selbst Fotografien betrachtete er skeptisch, kaufte aber schließlich, um die Sammlung abzurunden, einige Werke von Gilbert & George, Hamish Fulton, Michael Snow und Richard Long.

 

Im Lauf der Jahre gelang es mir, mit kleinen Ankaufsetats der Stadt Aachen, des Kulturministeriums in Düsseldorf und des Vereins der Freunde der Neuen Galerie Filme und Videowerke in London und New York zu erwerben. Dass diese Sammlung ein Schatz würde, ist mir erst langsam bewusstgeworden und ich schäme mich, ihn lange vernachlässigt zu haben. Meinen Nachfolgern gebührt Dank für die große Leistung, ihn nun geordnet und kommentiert im Netz anzubieten: einen Schatz, der nicht Teil der Sammlung Ludwig ist, sondern der Stadt Aachen als Erbschaft einer Vision gehört, die in einem alten Kurhaus Wirklichkeit wurde.

Bislang stellt das Videoarchiv online nur 30 von etwa 200 Werken vor und auch nur ausgewählte Sequenzen. Ich hoffe, dass es gelingen wird, dieses Angebot zu erweitern und den Schatz, den das Ludwig Forum verwaltet, zu vermehren.


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OSTKUNST UDSSR

Zur Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum für internationale Kunst in Aachen 2018

 

OSTKUNST 1 DIE RUSSEN

 

Die Ausstellung „Im Westen nichts Neues – Wir malen weiter“ der Berliner „Neuen Wilden“ 1982 ging die große Ausstellung der Neuerwerbungen Peter Ludwigs in Moskau voraus: 97 Gemälde, 10 Skulpturen und 485 Grafiken – „Aspekte sowjetischer Kunst der Gegenwart. Sammlung Ludwig“. Sie wanderte nach Wien, Regensburg, Lübeck, Hövikodden, Tilburg, Saarbrücken und Mainz. Elena Korowin schildert ihr Echo in ihrem Buch „Der Russen-Boom. Sowjetische Ausstellungen als Mittel der Diplomatie in der BRD“ 2015.

In der Zentrale des sowjetischen Künstlerverbandes gab es kein Fotokopiergerät, um die Erwerbslisten Peter Ludwigs zu vervielfältigen. Ihr Freund würde es für die Verbreitung seiner Samisdats missbrauchen. Es schien nicht leicht, unter den Kontrollen des Verbandes und des Staates ein „Wilder“ zu sein. Dennoch gab es Nachtausstellungen in Wohnungen und verschwiegene Angebote an die Mitarbeiter der westlichen Botschaften, aber was Peter Ludwig erwarb, musste er mit den Vorsitzenden des Verbandes aushandeln. Ein Kunsthandel existierte nicht.

Das Bild des Nikolai Andronov „Das tote Pferd und der schwarze Mond“ in seiner skizzenhaften groben Faktur erinnert an die Bilder französischer und flämischer „Fauves“,

überträgt die helle Farbigkeit in die Dunkelheit der russischen Nacht und erhöht die Melancholie durch Gesten der Verzweiflung und eine Mondfinsternis.  Der sowjetische Botschafter in Bonn Wladimir Semjonow, der 1980 seine Kunstsammlung im Kölner Ludwig Museum präsentiert und Ludwig zu den Einkäufen in Moskau ermutigt hatte, hielt Andronov für den RUSSISCHEN Maler schlechthin und grenzte ihn patriotisch gegenüber vielen anderen ein, die aus Schulen jener Republiken stammten, die, wie die baltischen, heute ihre Autonomie pflegen. 1981 stellte ich ihn und seine Frau Egorshina in der Neuen Galerie aus.

Der „Russen-Boom“ in den 80 Jahren begleitete den Boom der Neuen Wilden. In Aachen gaben die einen den anderen die Hand.


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OSTKUNST DDR

Zu der Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum für internationale Lunst in Aachen 2018

 

OSTKUNST!

Bevor Peter Ludwig zeitgenössische Kunstwerke von Künstlern der DDR erwarb, verhandelten der Vorsitzende des Künstlerverbandes und der Direktor der Berliner Nationalgalerie mit ihm über Leihgaben westeuropäischer und amerikanischer Kunst, und ich hatte Gelegenheit, 1977 an der diskreten Eröffnung der Picasso-, Lichtenstein- und Warhol-Leihgaben in Ostberlin teilzunehmen. Erst danach begann Ludwig, assistiert von Wolfgang Schreiner, in Berlin, Leipzig und Dresden, Werke der Verbandskünstler Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke, Bernhard Heisig u.a. zu erwerben und nach Aachen zu schicken. Den „Wilden“ standen nun jene gegenüber, die sich bemühten, den Projekten sozialistischer Ideologien zu folgen und das Feindbild kapitalistischer Vergangenheitsbewältigung in Bilder zu fassen. Werke des Revoluzzers Penck besaß Ludwig schon, andere von Altenbourg und Carlfriedrich Claus folgten. In der Podiumsdiskussion während der Eröffnung der DDR-Ausstellung in der Neuen Galerie 1979 hielt sich Mattheuer zurück, und seine Bilder gewannen die Sympathie vieler Betrachter, weil sie eine distanzierte Haltung zu Botschaften der DDR, ja eine versteckte Kritik an ihrem aktuellen Selbstbewusstsein, wenn nicht gar eine Vision zeigten, die in die Zukunft der Wiedervereinigung wies. Worüber erschrak Mattheuer in seinem Doppelporträt von 1977 nackt, im Dunkel eines Feldes grell beleuchtet? Vor Volkspolizisten, die ihn suchten? Vor einem Staat, der keine Freiheit zuließ? Vor einer Ausweglosigkeit? Das war keine Verzweiflung wie im „Schrei“ von Edvard Munch, aber eine monumentale Gebärde der Abwehr gegen eine Macht, vor man nur flüchten kann. In diesem politischen Tauwetter der 80er Jahre erschien die Neue Galerie mit der Sammlung Ludwig als ein Pionier der Öffnung, andere Sammler und Kuratoren folgten.

 

 


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„Street Art“

 

Zur Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum für internationale Kunst in Aachen

„Street Art“

Seit 1974 hing Renato Guttusos großes Historienbild „Mai 68“ in der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig in Aachen. Die Pariser Revolte erzeugte ein Erdbeben, das auch dort gespürt wurde. Erste Hausbesetzungen –  Erste Graffiti-Ausstellung:  die Photoglyphe Gordon Matta-Clarks mit einem ganzen Subway-Zug – mit Spraygun-Tags bedeckt. 1978 schreckten die Aachener vor großen farbig gemalten, beschrifteten Wandbildern in verschiedenen Straßen auf:„Irrenhaus“, „Angst“, „Es herrscht immer Krieg in den Fabriken“ und, 1979, „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Wer arbeitete dort im Untergrund? Endlich entdeckte man das Malerpaar unter den Besetzern des Johannes-Höver-Hauses in der Apsis der Kapelle an seinem Riesenbild „David und Goliath“. Es arbeitete nachts rechtlos und verfolgt wie die Graffiti-Writer, malte keine Signets, keine Tags, keine persönlichen Botschaften, sondern folgte Anstößen aus dem sozialen Raum, äußerte Albträume über die Ängste der Schüler, der Schwulen, empörte sich über die Neonazis, den grassierenden Faschismus und die Gefahren der Atomenergie. Die kantige grafische Bildsprache, die an Bilder von Guittuso und „Guernica“ von Picasso erinnert, wurde zum Markenzeichen des einen, die spielerischen, kurvenreichen Linien kennzeichneten den anderen. Im Projekt der „Nouveaux Fauves –Neuen Wilden“ sollten sie ebenso ihren Platz finden wie der „Wild Style“ der New Yorker.1984 stellte die Neue Galerie 58 ihrer Fotografien der realisierten Werke aus, feierte die Autoren unter ihren Ku klux Kan-Kapuzen – und erwarb die Fotos für die Sammlung. Klaus Paier und Josef Stöhr verdienen unter den Neuen Wilden der frühen 80er Jahre ebenso einen Platz, auch wenn sie nicht wie Lee Quinones in New York, sondern in Aachen gearbeitet haben. Beide sind Teil einer „Street Art“-Bewegung, die sich jenseits der Museen ausbreitet und ihre Selbstverständnis angreift.

 

 

 

 

 

 

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