Beckeraachen

Kunstwechsel


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Verschlüsse – Verbote

V E R S C H L Ü S  S  E  – V E R B O T E

Eine Kalendergeschichte

Wo ein Scharnier zum Bild wird, verschließt es sich selbst. Als Peter Klasen es 1974 auf eine Leinwand malte, war er, der Lübecker in Paris, ein „Amerikaner“. Seine Farben waren wasserlösliches Acryl oder Aerographen, sein Pinsel eine airbrush, sein Motiv der atählerne Verschluss am Heck eines Kühlwagens – vier Mal kleiner. Ältere, die so glatte Oberflächen zu erreichen suchten, pusteten die Farbe mit einer kleinen Spritze aus einer Dose, Klasen hatte lange geübt, um dle Perfektion zu erreichen, die einen Kunstdruck vortäuschte, wie er damals noch gar nicht existierte. Das Bild musste gemalt sein, um im kalten Licht und Schatten das industrielle Produkt exakt wiederzugeben. Der Rahmen hebt das Bild vor die Wand. Es verschließt sich und scheint nichts zu verbergen.

Der Maler, der dem holländischen Patrizier die nackte Mätresse im Bett malte, hat ihm das vollendete Meisterstück gezeigt, dann aber mit einem roten Vorhang übermalt. „Wir beide haben sie gesehen!“. Weitere Zeugen könnten nur Schaden anrichten. In schwatzhaften Zeiten wie der Gegenwart deutet Schweigen, Verschweigen auf Unterschlagen, Verbrechen oder Krankheit;  Demokratie ist das offene Palaver in allen Medien. Verstecke, Verschlüsse, Safes in den Alpen oder Ozeanen sind ebenso wenig vor investigativer Neugier sicher wie intime Versprechen, die vom Herzen kommen.

Diana und ihre badenden Gespielinnen ließen den Jäger Actäon, der ihnen zusah, von einem Bären zerreißen, drei alte Männer, die Susanna im Bad auflauerten, wurden hart bestraft; und Marcel Duchamp bietet im Philadelphia Museum dem Besucher nicht mehr als das Guckloch in einer verwitterten Tür, um eine Nackte zu betrachten, die an einem Wasserfall lagert. Keinem Maler schien ein verborgener Schatz begehrenswerter, bildwürdiger als eine nackte Frau und die Lust, sich zu vermehren.

Das Bild, das Peter Klasen mir 1974 schenkte, trägt auf der Rückseite seinen Titel „Charnière/ Fond Vert“.  Fern ist dem norddeutschen Puritaner der erotische Voyeurismus der Väter. Er und ich sind die einzigen, die wissen, was die Klappe verbirgt, die sich von links nach rechts über die Rückwand des Eiswagens öffnet. (Eine Erinnerung: Spürten wir nicht, als wir Kinder waren, die Kälte, die in ihm dampfte, flüchteten wir nicht schnell mit unseren Waffeln?) Sie ist keine Klappe und verbirgt nichts. Im Gegensatz zu seinem Düsseldorfer Zeitgenossen Konrad Klapheck, der fertigbrachte, noch einer Waschbeckengarnitur eine surrealistische Note zu geben, lst Klasen so sachlich geblieben, dass das Bild in seinem Rahmen 3 cm vor der Wand hängend die Illusion der Klappe am Eiswagen, die mit ihrem Gelenk hervortritt, verstärkt. Sie hängt nicht an, sondern vor der Wand und rät mir, sie als Tresor meiner Geheimnisse zu nutzen.


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Zwillinge in Kladno

Eine Kalendergeschichte

Zwillinge in Böhmen

Kladno ist eine Stadt der Schwerindustrie wie Dortmund. Dort, hinter den großen Stahlwerken, wurden 1922 die Zwillinge Jitka und Kveta Valova geboren. Als sie mir diese Zeichnung schenkten, waren sie 70 Jahre alt – glücklich, dass einer sie besuchte. Den Ehrentitel „Damen der tschechischen Kultur“ erhielten sie posthum. Der Festredner lobte 2019 ihre Vitalität und Ausdauer, sie seien nicht intellektuell, spekulativ, feministisch, moralisierend gewesen wie Künstler heute.

Sie hatten zeichnen, radieren, lithografieren und große Bilder zu malen gelernt. Das Haus ihrer Kindheit blieb ihr Atelier bis über ihren Tod hinaus. Ihr Nachbar Jiri Kolar hat sie besucht und von seinen Reisen nach Paris und zur documenta in Kassel erzählt.  Nein, sie reisten nicht, sie seien unzertrennlich miteinander und der Ordnung ihres Arbeitsplatzes verwoben. In den Cocon, der sie umgab, sollten die lärmenden Turbulenzen des Weltkriegs und der kommunistischen Herrschaft nur gedämpft eindringen. Er schützte zwei alleinstehende Frauen vor jeder Männerherrschaft. Dennoch trieb die Neugier einige wie mich zu ihnen. Die Aura der Kunst umgab sie. Zwillinge sind selten.

Sie gehörten zur Generation der abstrakten Expressionisten – de Kooning, Soulages, Schumacher – Jetzt, 1983, erinnerten Historiker an die sehr großen, dunklen, informellen Tafeln, mit denen die Schwestern vor 20 Jahren Aufsehen in Prag erregt hatten. Was machten sie jetzt – nach der langen Pause der Malverbote durch die kommunistische Regierung – jetzt, als die Neuen Wilden und die Transavangarde diskutiert wurden?  Arbeiteten sie noch heute mit gleichen Pinseln oder Stiften gemeinsam auf Leinwänden und Papieren? Sie lachten und schenkten mir diese kräftige Kohlezeichnung. Ja, jede hatte einen Stift in der Hand, und die eine hatte den spitzen Keil entworfen, der sich nach links beugt; die andere „setzte ihm einen Hut auf“. „Denken Sie auch an eine Weltraumstation?“Nein. Ich wusste, dass die schwungvolle Rotation wirklich nichts darstellte als sich selbst, ein „Ding“ zwischen Auge und Gehirn. Auf der Rückseite trägt die Zeichnung Stempel aus Bukarest. Viele haben sie schon gesehen. Sie zeigten mir eine andere, zart geriebene, in der sich die „Gestalt“ wie ein Rhizom über das Blatt zieht. Ihr Lyrismus gefiel ihnen besser als die glatte, muskulöse Schrift des „Satelliten“.

Diese Zwillinge scheinen sich nie gestritten zu haben. Sie trugen die gleiche Kleidung und gaben ihre gemeinsamen Einkünfte gemeinsam aus. Der Frisör schnitt ihnen die weißen Haare gleichermaßen. Sie blieben ihr Leben lang gleich groß und teilten ihre Krankheiten. Ihre Sehschärfe hätte nachgelassen. Nun haben sie eine Brille erworben, EINE zum Arbeiten.

Jitla und Kveta Valova sind die einzigen Zwillinge unter den Künstlern, denen ich begegnet bin. Über andere wird im Netz berichtet. Man erwartet, dass Zwillinge Bilder gemeinsam malen. Jitka und Kveta haben sich dieser Erwartung nicht verschlossen. Aber die Zeichnung gibt auch dem Betrachter Recht, der eine von ihnen als Autorin vermutet. Aber welche?

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A


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Betende Hände

Zu  Dürers Ausstellung im Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen

Die betenden Hände

In vielen Palästen, Villen, Hütten, Zelten, Gruben, in Salons und Schlafkammern der ganzen Welt sind Ecken und Nischen Bildern, Skulpturen, Kästen und Dosen bestimmt, die nicht als Kunstwerke wertgeschätzt, sondern verehrt, geliebt, angesprochen, besungen werden. Zwei aneinandergedrückte Hände gehören dazu, die Hände eines Apostels, zuerst auf einem blaugrundierten 30 x 20 cm großen Papier schwarz und grau mit dem Pinsel gezeichnet vor 500 Jahren als Studie für einen Altar – die Hände Albrecht Dürers selbst. Die Zeichnung wurde aus einem größeren Blatt geschnitten und gewann so den ungestörten Ausdruck des Motivs: feine, gekrümmte, gealterte, demütig gefaltete Hände, die sich aus der rechten Ecke nach oben richten.

Der umfangreiche Handel mit verehrungswürdigen Gegenständen – von Reliquien zu Souvenirs von Wallfahrten wie Jakobsmuscheln und geweihtem Wasser aus Heiligen Quellen – nahm die „Betenden Hände“ dankbar als Devotionalie auf, und die zunehmende Industrialisierung Europas und Amerikas bewirkte ihre Multiplikation in Holz, Bronze, Glas,  Bakelit und Acryl. Heute haben sie Briefmarken in Uganda und Geldstücke in Neu-Guinea erobert.

In mobilen säkularisierten Gesellschaften  zeigen die Nischen der Wohnungen häufig Erinnerungsstücke und Trophäen – afrikanische Ebenholzskulpturen, Masken und gemalte Ladenschilder, Statuetten Buddhas oder der Osiris, Tuschzeichnungen der Heiligen Berge Chinas, Schilde australischer Ureinwohner – und zugleich gewinnen alte Ikonen aus den Wohnungen russischer und griechischer Christen einen Handelswert und drängen ebenso wie alte Tanzmasken und Skulpturen Afrikas in den Kunstmarkt. Sie verlieren ihre Bedeutung, ihr emotionales Gewicht, ihre Religiosität und werden Kunst.

Modernen Kunstwerken, die Heiligkeit anbieten, Anbetung fordern, fehlt das Alter, das Behältnis, in dem sie Erinnerungen bewahren, In den Nischen der Wohnungen werden sie häufig durch gerahmte Fotografien von Familienmitgliedern oder von Dokumenten ersetzt, die von einer Hochzeit, Taufe, Kommunion, Konfirmation, Preis- oder Ordensverleihung  berichten. Es gibt auch silberne Fußbälle und Schlittschuhe.

Klaus Staeck hat „die betenden Hände“  in den siebziger Jahren für sich entdeckt – nicht die meisterhafte Zeichnung Dürers, sondern das Bild eines Zwangs, eine der Fesseln, die jungen Menschen nach ihrer religiösen Einweisung in die bürgerliche Gesellschaft als Erinnerungsblatt zur Konfirmation vom Pfarrer überreicht wird: Vergesst nicht zu

 Beten! Er hat sie mit Schraubzwingen aneinandergedrückt. Nie sollten die betenden Hände gelöst werden. Er beschreibt, wie seine Erinnerung an seine eigene Konfirmation den Anlass zu dem Druck gab. Das Bild war die erste von fünf Editionen „Fromage à zu Dürer“. Weniger an Dürer als an das Gebet der Hände denken die Käufer, die die Devotionale online bestellen. Dürer? Devotionalien haben keinen Autor –  wie die Ikonen in den Häusern von Nowosibirsk, die ihre Heiligen unter einem gehämmerten Silberblech verbergen.


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Der Hase Dürer Beuys Staeck

ZUR AUSSTELLUNG ALBRECHT DÜRERS

IM AACHENER SUERMONDT-LUDWIG-MUSEUM

Dürers Hase – und Beuys und Staeck

Am 24. November 1965 erklärte Joseph Beuys einem toten Hasen Bilder in der Düsseldorfer Galerie Schmela, und das Publikum sah ihm durch die geschlossene Glastür drei Stunden lang von draußen zu. Auf youtube können wir heute verfolgen, wie er das Tier vor sich hielt, die Vorderpfoten bewegte, als wäre es eine Marionette, seinen eigenen goldglänzenden und mit Honig bestrichenen Kopf hier und dorthin wendete, einem exotischen Priester/Lehrer/ Schamanen nahe. Beuys erklärte später, er habe den Hasen gewählt, weil er sich – anders als der Mensch –  mit der Erde vereinen kann, „sich inkarniert“. (Der Biologe findet in diesem schönen Bild nur das europäische Wildkaninchen, die Sasse des Hasen ist eine offene Grube). Er hat die Reste dieser Performance in einem Plexiglaskasten gesammelt und in der Folgezeit sieben „Hasengräber“ hergestellt (vier davon stellt das Museum Schloss Moyland z. Z. aus) Scherzhaft hat er sich selbst als Hasen bezeichnet „Beuys is a hare“. Der Hase war ihm ein Symbol der Lebenskraft und der Auferstehung.

Ich springe von Beuys zu Albrecht Dürers Hasen, weil kein anderer in der Kunstwelt so bekannt ist wie dieses 25 x 23 cm große Blatt eines kauernden Feldhasen. Die feine Unterwolle seines Fells als Grundierung und darüber die braungelben und rostroten Grannen mit schwarzen Spitzen, der weiße Bart mit den dicken Tasthaaren. Monogramm und Jahreszahl zeigen ebenso wie die präzise Vollendung und die repräsentative Haltung des Tieres in der Dreiviertelansicht: dies ist keine Studie, Skizze, Vorzeichnung, sondern sozusagen ein Meisterstück, das sich von konkurrierenden Darstellungen abhebt – noch heute ein Vorbild aller Hyperrealisten. Schon Zeitgenossen haben es bewundert und kopiert, aber wie konnte ein Zeichner, der nicht eine Fotografie, sondern ein lebendes Tier vor sich hatte, es daran hindern, sich zu bewegen? Hat er den Hasen betäubt? Ist er die Arbeit eines Taxidermisten? Bis heute wird das Original sorgsam gehütet. Die Albertina in Wien stellt eine von vielen Kopien aus, die seit dem 16. Jahrhundert angefertigt wurden. Und viele Künstler hoffen, dass eines ihrer Bilder so volkstümlich wird wie Dürers Hase und gestalten – Hasen.

Damit Dürers Hase als eine Art von Handtasche getragen werden kann, hat Klaus Staeck ihn in einen fein gemaserten Holzblock mit aufgeschraubtem Griff gesperrt, aus dem nur Kopf und Vorderpfoten herausragen. „Zum Welttierschutztag“ heißt die Postkarte der Abbildung, die man für 0,80 € bei ihm bestellen kann. Und Beuys hat ihm und seinem Verleger Steidl freundschaftlich weitere „Hasen“ für Postkarten geliefert: „Amerikanischer Hasenzucker“, „Das Hasengrab I und II“.

Beuys teilt mit Dürer eine Lust an der Selbstdarstellung, die dem Renaissance-Künstler noch nicht erlaubte, so viele Mittel einzusetzen wie seinem Nachfolger. „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ ist eine pädagogische Lehrstunde im Kabinett-Theater einer kleinen Galerie und in Kunstkreisen ebenso bekannt geworden wie Dürers Hase beim großen Publikum. Staeck interessierte diese Popularität und die Möglichkeit, sie über das heute veraltete Medium der Postkarte zu erreichen. So waren 50 Karten nur noch halb so teuer wie eine.