Beckeraachen

Kunstwechsel


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Utopie und Untergang ?

Im Düsseldorfer Kunstpalast:

K U N S T   I N   D E R  E H E M A L I G E N   D D R

 

Als wir 1979 die Neuerwerbungen des Sammlers Peter Ludwig in der Neuen Galerie ausstellten, reisten Willi Sitte, Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke im blauen Volvo der Funktionäre des Verbandes Bildender Künstler und der Kunstkritiker Lothar Lang zur Eröffnung der Ausstellung und zu einer Podiumsdiskussion an. Wir hatten drei große Bilder von A. R. Penck im Treppenhaus des Eingangs abgehängt, um Platz zu schaffen und zu vermeiden, dass der „Dissident“ den Offiziellen zugezählt würde. Penck nutzte diese Geste für eine Schimpfkanonade an Sitte – der Brief wurde unter Insidern bekannt.

In der kleinen, übersichtlichen Ausstellung des Kunstpalastes hängen nun die Bilder Pencks neben denen Tübkes, und auch andere Künstler, die nicht zu den Offiziellen gehörten, sind ausführlich vertreten – Altenbourg, Claus und Glöckner. Als ich 1992 im Luxemburger Nationalmuseum die Künstler der DDR und der BRD in der Sammlung Ludwig „Von der Teilung bis zur Wiedervereinigung“ zusammenzubringen versuchte, konnte ich noch Gudrun Brüne, Lutz Dammbeck, Hartmut Ebersbach, Hubertus Giebe, Sighard Gille, , Kozik und Wasse, Walter Libuda; Werner Liebmann, Wolfgang Smy und Trak Wendisch hinzufügen. Einige von ihnen hoffte ich in Düsseldorf wiederzusehen – und entdeckte, dass diese Ausstellung viel zu klein ist, um ihrem Anspruch gerecht zu werden. Wer immer heute etwas über „die DDR“ aussagt, vernachlässigt die Menschen, die in ihr gelebt haben, und das, was für sie eine Utopie war und untergegangen ist. Er/ sie muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nur einer zeitgemäßen Pflichtübung zu folgen, zu der einige Museen in Ost und West gern ihre Schätze ausleihen. In der Tat versammelt diese Ausstellung Bilder, von denen einige sich als Meisterwerke ohne DDR-Label in einem internationalen Kontext behaupten können.

Abb. Werner Tübke „Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten“ 1972 ( wir nannten ihn „Il Gattopardo“ nach dem Roman von Tomasi di Lampedusa, verfilmt mit Burt Lancaster 1963) – Wolfgang Mattheuer „Die Ausgezeichnete“ 1975/ 76


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Foto per Post – Gilbert & George

F O T O   P E R   P O S T   –   G I L B E R T & G E O R G E

Art for all (Kunst für alle) heißt der Londoner Herausgeber dieser Postkarte, die mich 1972 an meiner Kölner Wohnungsadresse erreichte – von der Londoner Post gestempelt und von Gilbert & George, „The Sculptors“, persönlich, mit Federhalter geschrieben, signiert und adressiert (englisch: die Hausnummer vor dem Straßennamen). Warum mir? Und wie vielen noch? Die kleine Postkarte zeigte die beiden schwarz-weiß in einer milden Spaziergänger-Landschaft, und die Ansprache „Gentlemen“ (beschränkter Empfängerkreis) und der Text bestätigen das Wohlbefinden: „Having a lovely time“. „Wish you were here. Lots of Love“. Diese Liebeserklärung hat mich nicht sehr berührt, aber sie schmeichelte mir: ich gehörte zu einem Kreis von Menschen, denen Künstler, deren Ruhm zu ihm gedrungen ist, ihre Sympathie mitteilen.

Sie nannten sich Bildhauer (als Schüler des Bildhauers Anthony Caro), und ich hätte sie gern eingeladen, ihre Performance „The Singing Sculpture“ auch in der Neuen Galerie aufzuführen. Sie hätten sich in bürgerlicher Kleidung mit Handschuhen und Gehstock mit bunt gefärbten, metallisch glänzenden Gesichtern mechanisch auf einem Tisch zur Musik eines alten Songs von 1932 „Underneath the Arches“ bewegt und gesungen, die Kassette zurückgespult und noch einmal, stundenlang. Sie schafften es, den Begriff SKULPTUR so zu demolieren, dass wir unter Freunden scherzten: Was müsste ein Museum tun, wenn der Sammler Peter Ludwig diese Skulptur kaufte? Ihr Video „Gordon makes us drunk“ 1972 wurde ein Hit in der Kunstwelt.

Ich habe viele Postkarten von Künstlern erhalten, aber wenige haben eigene Fotos dafür verwendet. Es versteht sich, dass solche Karten einen besonderen Wert in der MAIL ART haben.

 

 


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Mystery Photos – Hendricks

M Y S T E R Y   P H O T O S – G E O F F R E Y   H E N D R I C K S

Die digitale Fotografie muss neue Anwendungen (apps) erfinden, um Doppelbelichtungen, Entwicklungen von Filmenden und ähnliche Fehler zu erreichen, die analog zu geheimnisvollen Porträts, Landschaften oder abstrakten Kompositionen führten. Aber solche Fotos meinte der norwegische Fluxus-Künstler Geoffrey Hendricks nicht. Er ahnte, dass nicht nur die Welt in einen unheilvollen Fluss geraten war, sondern die Wahrnehmung dieser Welt selbst so, als hätten alle Menschen die Brille abgenommen und sähen die Wirklichkeit unscharf, gleitend, schwimmend. Er suchte solche Fotos selbst zu machen oder zu finden, suchte sie zu verstehen und fügte ihnen Gegenstände (einen Blumenstrauß, einen Ast) hinzu, um die Bilder greifbar zu machen, um sie ertasten zu können. Er ahnte, dass Priester auf dem Floß in Büchern lasen, dass zwei Menschen sich inmitten eines Trümmerhaufens unterhielten, und er hielt diese Bilder für so sehenswert, dass er sie multiplizierte, die Applikationen geduldig jedem anheftete und sie als Postkarten verschickte. Die Postkarten des Geoffrey Hendricks wurden in der internationalen Kunstszene bekannt. Er nannte sie MYSTERY PHOTOS. Ich begann, sie zu sammeln.

Als er sich von seiner Frau getrennt hatte, um mit Stephen Varble zu leben, bot er mir an, eine Hälfte seines Haushaltes, seine Hälfte, die ihm nach der Scheidung geblieben war, auszustellen: ein halbiertes Ehebett, halbiert ein Kleiderschrank, eine Zahnpastatube, Tassen, Teller, Kochtöpfe, Haarbürsten – ein ergreifendes Sammelsurium in einer Vitrine – und er trat in einer Performance im Ballsaal des Alten Kurhauses auf, saß in schwarzem Smoking drei Stunden auf einem Haufen schwarzer Erde, las aus einem Buch seines Fluxus-Freundes Dick Higgins und beachtete nicht, dass sich immer schneller etwa 30 weiße Mäuse aus seinen Kleidern befreiten und über den Marmorboden des Ballsaales flüchteten. Varble tanzte langsam in einem Talar aus 100 aneinandergehefteten Holzstücken, die leise klickten, um ihn herum. Geoffrey Hendricks war ein Meister der MYSTERIES.

Er gehörte zu den Poeten, die die FLUXUS-Bewegung aus New York nach Deutschland gebracht hatten: George Maciunas in Wiesbaden, George Brecht in Köln und Hendricks hier. Sie gewannen Freunde, Sammler, die heute die Schätze verwalten: Schachteln, mit kleinen Objekten und Texten gefüllt, Dosen, Hefte in ungewöhnlichen Formaten – kurzum: Kunstwerke, die nicht Unikate, Originale sein wollten, nicht gut gemalte Bilder oder modellierte Skulpturen, nicht wertvolle, teure Gegenstände, sondern irritierende Botschaften – MYSTERIES.


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Pop Art Photographs – Rauschenberg

P O P   A R T   P H O T O G R A P H S H S   –   R O B E R T   R A U S C H E N B E R G

 

Ein schwarzer Blechtopf in einem weißen, die ein großes, blumenbedrucktes Tuch hindern, über eine Stufe hinabzugleiten, als wäre es ein Wasserfall – die verwitterte Statue einer klassizistischen Jungfrau vor einem Gemüsestand mit vielen Melonen – zwei Schwarz-Weiß-Bilder aus einer Ausstellung im Centre Pompidou 1981, die Fotos von Robert Rauschenberg gewidmet ist, die er herstellte, nachdem er sich 1970 nach Florida zurückzog, um seinem Ruhm zu entfliehen. Er wollte Fotograf werden, und ein Buch dokumentiert  die Fotos, die er in den 50er Jahren geschaffen hat, bevor er, umgeben von Freunden wie John Cage und Merce Cunningham und nach einem Paris-Aufenthalt mit Cy Twombly 1951, mit Happenings beschäftigt, sich entschloss, in große abstrakte gemalte Kompositionen Siebdrucke von Zeitungs- und Illustriertenfotos einzufügen, Alltagsgegenstände wie Löffel, Radios, Comics, Postkarten zu fixieren, Wasserschläuche und Leitplanken davor zu setzen: die COMBINE PAINTINGS zu schaffen. 1959 entstand MONOGRAM, eine Collage am Boden, auf der ein Angora-Ziegenbock in einem Autoreigen steht – ein erregendes Denkmal. 1964, als er seine Werke in der Biennale Venedig zeigte, sprach die ganze Kunstwelt von ihm. Ich lernte ihn 1968 kennen, als er im Wallraf-Richartz-Museum „Soundings“ aufbaute für die erste Ausstellung der Sammlung Ludwig, ein Combine Painting aus vielen Plexiglasplatten und Lampen, die Stühle zeigten. Die Stühle leuchteten nach den Geräuschen, die der Betrachter verursachte: das Kunstwerk „sprach“ mit ihm. Noch heute klatsche ich dort gern in die Hände. „Ich wünsche die Betrachter verantwortlich zu machen für die Bilder, die sie sehen. Jetzt machen sie das Bild, nicht ich. ch treffe nur die Vorsorge“ schrieb er in Wolf Vostells großem Katalog.

Rauschenbergs Werk ist reich an Fotografien, eigenen und in den Massenmedien gesammelten, aber sie dienten ihm nur als Elemente komponierter Bilder. Erst in Florida griff er noch einmal zur Kamera und fotografierte mit dem Ziel, selbstständige Werke zu schaffen. Den Pathosformeln des Aufbruchs folgte eine zarte Lyrik, die kaum noch an den temperamentvollen Revolutionär erinnert.


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Land art Fotos – Nils-Udo

L A N D   A R T   F O T O S   –   N I L S – U D O

Wir begegneten uns in der Lüneburger Heide 1978. Nils-Udo baute in einem Gehölz für die Galerie Falazik eines seiner ersten „Nester“, ein Geflecht aus Ästen und Zweigen in menschlichem Maßstab.  Später besuchte ich ihn in seinem Haus am Chiemsee, wanderte mit ihm und sah zu, wie er Stauden, Büsche und Bäume brach, beugte, bündelte, Blüten und Beeren sammelte und auf Teichen verteilte, rastlos beschäftigt, bis eine Komposition fertig war, fotografiert werden konnte. Das war nicht die land art, die ich kannte, die „Spiral Jetty“ von Robert Smithson, „double negative“ von Michael Heizer, Skulpturen in der Landschaft, Landmarken, Denkmäler mit einem Anspruch auf Dauer; hier suchte der Künstler ein Foto, das einen vergänglichen Zustand, ein Wunschbild wiedergeben sollte, in dem sich die Natur selbst mit dem Menschen, der sie betritt, für einen Augenblick versöhnt. In den Fotos sahen die Installationen so aus, als hätte die Natur selbst sie hervorgebracht.

Die großen Fotos und Fotoserien visualisierten in jenen Jahren grenzüberschreitende ökologische Bewegungen, Naturschutzforderungen, Park- und Gartenreformen, biologische Landwirtschaften ( die Erdarbeit „Blaue Blume“ baute Nils-Udo in den Hermannsdorfer Landwerkstätten des Karl Ludwig Schweisfurth)  – er wurde in viele Länder bis La Réunion, ein bedrohtes Naturparadies, zu Interventionen eingeladen. 1999 begann im Ludwig Forum eine Wanderausstellung, die ein umfangreicher Katalog in 3 Sprachfassungen begleitete. Die Dokumentation zeigt, dass das „Nest“ ein beherrschendes Motiv über die Jahre blieb und zunehmend durch ein nacktes Kind in seinem Schoss dramatisiert wurde, und enthält eine Anzahl von Großprojekten, von denen eines, ein romantischer, hochgestelzter Hügel, im Garten des Ludwig Forums nach seiner Eröffnung realisiert wurde (mittlerweile umgestaltet). Sein vitales bayrisches Temperament führt Nils-Udo im Lauf der Jahre zu stark farbigen Fotografien, und er widersteht nicht der Verlockung, einige von ihnen in großen gemalten Bildern zu paraphrasieren.


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Neandertaler-Fotos

F O T O S   D E R   N E A N D E R T A L E R – J O E L   F I S H E R

Ein veganer Aussteiger in Wollfilzkleidern, einer, der den Notstand der Erde ernst nimmt, wird auf seinen Laptop nicht verzichten wollen, aber versuchen, die elektrische Energie, die er braucht, um ihn zu bedienen, aus den Bäumen, die ihn umgeben, zu gewinnen. So einer war Joel Fisher, als er in den „Individuellen Mythologien“ der documenta 5 mit „biomorphen Skulpturen“ aus Butter und Lauge teilnahm. Bevor er 1974 in der Neuen Galerie ausstellte, hatte er tagelang nur Papier gegessen und mit den ausgeschiedenen Resten neues Papier geschöpft. Etliche dieser „Palimpseste“ bewahre ich auf. Natürlich besaß er einen modernen Fotoapparat, aber zu seinen Versuchen, sich in die Kultur eines „Neandertalers“ zu versetzen, sich vorzustellen, dass die Entwicklung unserer technologischen Zivilisation noch einmal beginnen müsste, gehörten der Bau einer vorzeitlichen Kamera und die Arbeit mit Silberchloriden in der Dunkelkammer. So entstanden Fotoabzüge wie die seiner Schuhe und einer Vogelfeder, die er mir schenkte.

Ich muss mir vorstellen, dass bis zur Erfindung von Brillen, Linsen, Lupen, Mikroskopen und Teleskopen die Mehrzahl der Menschen ihre Wirklichkeit unscharf gesehen hat; dass das HD-Erlebnis, das mir heute Smartphones erlauben, zu den Eigenarten gehört, die mich von allen Menschen der Vergangenheit krass unterscheiden. Fisher litt unter dieser Vorstellung und versuchte, sich in den Zustand eines Neolithikers zu versetzen. In den schrundigen Papieren, die er schöpfte, entdeckten wir unter der Lupe feine Haarschleifen, die er nachzeichnete und übertrug, als wären sie Buchstaben eines unbekannten Alphabets. Sie verwandelten den Ausstellungsraum in ein Altamira – eine feine Erinnerung an die, von denen wir abstammen.


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Michel Huisman Fotograf

M I C H E L   H U I S M A N

Dieses Foto von Leo van Velzen zeigt einen flammenden Metallkasten auf großen Rädern, den der Künstler auf dem Dach eines hohen Hauses über der Stadt schiebt – sein Feuer, sein Ingenium, weithin sichtbar. Keiner ist so sehr Künstler wie Michel Huisman in Heerlen. Als ich ihn vor 40 Jahren entdeckte, lebte und träumte er in prekären Verhältnissen, und ich ging mit einem Holzkästchen nach Hause, öffnete es nachts, schob dünne Messingröhren aufeinander, setzte einen Pingpongball darauf und horchte. Er leuchtete, und Grillen zirpten. 1998 begann eine große Wanderausstellung Huismans im Ludwig Forum. Der Künstler sprach zu den Werken. Immer mehr Leute kamen. Insbesondere die Frauen schwärmten von ihm. Er wohnte nun in einem großen baufälligen Haus mit seiner Familie und träumte, das Heerlener Mandquartier, das gefährlich verwilderte Bahnhofsviertel, zu bebauen. Er formulierte eine Botschaft an Politiker, Stadtplaner und Architekten, die er in seinen zahlreichen Reden in youtube wiederholt: alles Rationale sei in das Funktionale, alles Emotionale in das Sentimentale degeneriert; die Gehirnhälften, die sich getrennt hätten, müssten wieder zusammengeführt werden. Er widersprach den „Bauhäuslern“ (Sullivan: Form follows Function, Van der Rohe: Less is more) und entwarf ohne Auftrag ein Architekturmodell des Bahnhofs und seiner Umgebung, dem die Heerlener Stadtväter nicht widerstehen konnten. Gegen den Widerstand der Berufsarchitekten erhielt Huisman den Bauauftrag. 2019 fahren die Züge unter einem umfangreichen Wohn- und Geschäftszentrum hindurch, wandern Besucher durch Innenhöfe, bestaunen einen Uhrturm mit einem beweglichen Spiegel, der Tageslicht in die Untergeschosse leitet, und fragen nach den Eigentümern der Wohnungen. Heerlen hat ein Denkmal der Postmoderne erhalten.

Die zahlreichen öffentlichen Auftritte Huismans, die youtube und vimeo dokumentieren, verraten eine missionarische Leidenschaft, die die Kunst als Werkzeug gesellschaftlichen Wandels vorführt. Und ich begreife ungern, dass Huisman den Künstler, dessen Werk ich in Museen und Ausstellungen geliebt habe, hinter sich gelassen hat. Er hat mir versprochen, das Kästchen mit dem Pingpongmond zu reparieren. Aber ich traue mich nicht, es zurückzufordern. Mir bleiben etliche Skulpturen und Fotos.20190922_124557


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Selfie – Füße – Christiane Möbus

D A S   S E L F I E  –   D I E   F Ü S S E  –   C H R I S T I A N E   MÖ B U S

Als ich in diesen Tagen den rechten Fuß des berühmten preußischen Malers Adolf von Menzel sah, versuchte ich, mich meinem eigenen so weit zu nähern wie der Künstler. Er saß – vielleicht auf der Bettkante. Das kleine Gemälde in der Berliner Nationalgalerie, dem Wikipedia eine Monografie widmet, ist mehr als eine Studie, die Teil eines größeren Bildes werden sollte. Es verrät die Besessenheit eines Malers, der nichts betrachtet, das er nicht malen möchte, und der souverän und uneitel genug ist, um zu vergessen, wem das Bild bestimmt ist. Und dann fiel mir das fast gleich große Farbfoto von Christiane Möbus in die Hände, ein Geburtstagsgeschenk 2016 nach einem Negativ von 1974. Menzels Fuß war 60 Jahre alt und hatte ein Leben lang in Schuhen und Stiefeln gesteckt. Der große Zeh reckt sich frei. Die Füße der Christiane Möbus sind 27 Jahre alt, und die sorgsam lackierten Nägel verraten, dass sie sie gern nackt oder in offenen Schuhen zeigt. Auch sie sind nah und nicht dramatisch, sondern sanft von rechts beleuchtet. Die Fotografin konnte ein schwaches Teleobjektiv benutzen, um ihren Füßen näher zu kommen. Mich irritiert die Nachricht, dass Menzel das Bild der Berliner Galerie Wagner zum Verkauf gab. Sein Fuß wurde ihm gleichgültig. Mich irritiert mehr noch, dass Christiane Möbus mir zu meinem Geburtstag 2016 einen neuen Abzug des Bildes von 1974 mit einer Widmung schenkte. Sie gehört zu den Künstlerinnen, die meine gesamte Laufbahn begleitet haben – von den ersten Tagen der Neuen Galerie, als sie mit Timm Ulrichs aus Braunschweig anreiste und an einer der jüngst entwickelten Xerox-Maschinen (die ich leihen konnte) im Ballsaal die Besucher anleitete, ihre Gesichter, Wangen, Hände (nicht Füße) zu fotokopieren, während Ulrichs die Erdkoordinaten der Neuen Galerie in den Boden der Eingangshalle meißeln ließ. Fortan habe ich zahlreiche ihrer Ausstellungen begleitet und mich bemüht, die poetischen Bildinstallationen, die sie entwarf, zu ermöglichen – Fallschirme aufzublasen, LKW-Chassis zu transportieren – und zu deuten. In meiner Abschiedsausstellung „Streitlust“ 2001 baute sie „Auf dem Rücken der Tiere“ eine große leibhaftige Arche Noahs auf lebensgroßem Tierpräparaten auf – Hirsch, Löwe, Büffel, Fuchs, Kakadu, Zebra, Flusspferd u. a. – in der Halle des Ludwig Forums auf. Sie forderte mich, den Kurator, heraus, sie beanspruchte mich, setzte sich  sanft, aber kompromisslos durch. Ich litt an ihr. Lag ich ihr zu Füßen? Am Boden hätte ich ihre Füße sehen müssen, wie Mantegna die des toten Christus gemalt hat. Stattdessen schauen ihre Füße mich an, die kleinen Zehen verbergen sich, und ich könnte mit ihnen ein Gespräch beginnen. Sie sind jung. Wie sahen sie aus, als die Künstlerin 2014 die Kopie herstellte?


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Performance-Fotos

P E R F O R M A N C E   F O T O S  –   U L R I K E   R O S E N B A C H

Dieses Foto von Antonio Sferlazzo entstand bei der Performancearbeit Ulrike Rosenbachs „mit 4 Frauen Medusaimagination – Venusdepression“, 1980 im Palazzo Strozzi in Florenz. Der Fotograf hatte den Auftrag, sie zu dokumentieren. Handabzüge, die sie der Villa Romana zur Ausstellung gegeben hat, tragen den Stempel „Feministische Kunst“.

Die Performerin kniet kauernd am Boden und verbirgt ihren Kopf unter einer Replik des berühmten Schildes der Medusa von Caravaggio von 1597 in den Uffizien. Vor ihr stehen zwei weiße Schalen, gefüllt mit Holzkohlen (?). Das Haupt der Medusa, sichtbar, und das der Kauernden, unsichtbar, bestimmen das große Foto so, als wären sie eins. Der Betrachter resumiert die schillernde Legende der schönen Gorgone Medusa, Schützerin der Frauen, verdammt und verwandelt von der Göttin Athena in ein Monstrum mit lebenden Schlangenhaaren und Blicken, die Männer versteinern, enthauptet im Spiegel seines Schildes vom Göttersohn Perseus, fortan ein Apotropaion auf dem Schild der Athena und als Bild an Hauswänden zum Schutz vor bösen Blicken und Flüchen; aber hier das Bild der Enthaupteten, Blut Vergießenden als Spiegelbild auf dem Schild des Perseus und – ein Porträt des Malers Caravaggio. Ferdinando de Medici bewahrte es in seiner Waffenkammer auf.

Im Ritual der Performance vor 40 Jahren nimmt Ulrike Rosenbach das Bild der Medusa zurück in den Pantheon der Göttinnen, Amazonen und Sterblichen (die Gorgone Medusa war sterblich), die an den Freiheitskämpfen der Frauen beteiligt sind. Das Foto verrät den geschickten Berufsfotografen, der einen ruhigen Moment im Ablauf der Performance suchte. Vielen Happenings und Performances der 70er und 80 Jahre hat dieser Begleiter gefehlt, so dass sie heute schlecht dokumentiert sind. In der Zeit, in der Ulrike Rosenbach in der Neuen Galerie auftrat, war Klaus vom Bruch ihr Partner. Im Rahmen ihrer 1. musealen Einzelausstellung realisierte sie Im Ballsaal des Alten Kurhauses die Performance „10.000 Jahre habe ich geschlafen, jetzt bin ich aufgewacht“. Und ich war stolz, sie 1975 in die Pariser Biennale des Jeunes einladen zu können.1978 organisierte ihre Produzentengruppe ATV (klaus vom Bruch, Marcel Odenbach) mit mir in der Neuen Galerie das Festival „Performance – ein Grenzbereich“.

Antonio Sterlazzo ist es gelungen, über dem Foto vergessen zu werden. Sein Foto IST die Performance der Ulrike Rosenbach auch, wenn sie es nicht signiert hat.

 

Ulrike Rosebnbach Performance


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Filmstills – Standfotos

 

F I L M S T I L L S – S T A N D F O T O S

1974, als Richard Nixon in der Watergate Affäre zurückgetreten war und Gerald Ford ihn ersetzt hatte, bereitete sich der Republikaner Ronald Reagan, Gouverneur von Kalifornien, darauf vor, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. (Es gelang ihm erst 1981). Einer seiner Spitznamen war „The Great Communicator“ für seine rhetorische Leistung, große Menschengruppen zu gewinnen. Damals gelangte ein Foto auf meinem Schreibtisch in der Neuen Galerie, das in New Yorker Künstlerkreisen zirkulierte (ich denke, dass Gordon Matta-Clark es mitgebracht hatte) und das ich halbwegs lustig fand: ein Standfoto aus einem alten Hollywood-Film – wahrscheinlich Nathan Jurans „Hellcats of the Navy“ – „Höllenhunde des Pazifik“ von 1957), auf dem eine junge Frau dem Mann neben ihr den Mund zuhält: dem Filmschauspieler Ronald Reagan. Das alte Standfoto war in die Hände der Sympathisanten der Demokratischen Partei geraten, die dem „Großen Kommunikator“ misstrauten. Was ich halbwegs lustig fand, musste sie hellauf begeistern: eine Frau, seine Frau Nancy, die ihn zu reden hinderte.

Standfotos waren Werbemittel der Filmgesellschaften und Objekte leidenschaftlicher Sammler, die sie unter vielen anderen Fotos in großstädtischen Agenturen fanden. Dort waren sie ebenso wie die Kupferstiche, Radierungen und Lithografien in den Cabinets d´ Estampes nicht nach Autoren, sondern nach ihren Sujets (Schlachten, Wasserfälle), Gattungen (Marinen, Alpen) oder Personen (Ingrid Bergmann, Liselotte Pulver, Rock Hudson) geordnet. Unter Umständen war der Witz der Szene, den dieses Foto wiedergibt, schon in den 50er Jahren, als keiner der Beteiligten zu Hollywoods Stars gehörte,  stark genug, um es als Werbemittel einzusetzen; die ausdruckslose Erstarrung, in der die vier Beteiligten geordnet aus dem Zimmer schauen, ist nicht ohne Komik. Aber als die Wahl Reagans zum Präsidenten bevorstand und die Medien über die Eigenarten Nancy Reagans und den bestimmenden Einfluss auf ihren Ehemann berichteten, gewann das Standfoto ein unvorhergesehenes Gewicht. Es wurde zum Werbemittel seiner Gegner. Ronald Reagan ist bis heute der meistgeliebte Präsident der Republikaner. Das Bild Amerikas als einer leuchtenden Stadt in seiner Abschiedsrede wird gern zitiert:

“I’ve spoken of the shining city all my political life, but I don’t know if I ever quite communicated what I saw when I said it. But in my mind it was a tall proud city built on rocks stronger than oceans, wind-swept, God-blessed, and teeming with people of all kinds living in harmony and peace, a city with free ports that hummed with commerce and creativity, and if there had to be city walls, the walls had doors and the doors were open to anyone with the will and the heart to get here. That’s how I saw it and see it still …”.

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