Beckeraachen

Kunstwechsel


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Punk

Zu der Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum für internationale Kunst in Aachen 2018

„Die Neue deutsche Welle“

„klatsch in die hände/ und tanz den adolf hitler/und tanz den mussolini/ und jetzt den jesus christus/ klatsch in die hände/ und tanz den kommunismus“. 1981 kreierte die Gruppe Deutsch amerikanische Freundschaft dieses Lied, und der DJ Markus Oehlen legte es im Ratinger Hof in Düsseldorf auf. Alle waren in Carmen Knoebels Künstlerkneipe neben der Akademie zu Hause. Mit seinem Bruder Albert, Immedorff, Büttner, Kippenberger und Penck produzierte Markus selbst die Platte „Rache der Erinnerung“. Jürgen Teipel hat die Szene in seinem Doku-Roman 2001 beschrieben „Verschwende Deine Jugend“. Damals (1984) malte Albert Oehlen 2 Fassungen seines Hitler-Bildes (140 x 140 cm), das in den Ausstellungen Ratlosigkeit hervorrief. Kann einer so eine schandbelastete Ikone satirisch aushebeln? Wird er nicht selbst zum Faschisten? Der Neuen Deutschen Welle in ihrer nihilistischen no future Stimmung waren Bezüge zu nationalsozialistischen Personen und Inhalten („Blitzkrieg“, „SS Hitler“ , „Adolf und Eva“ geläufig. Sie spielten sarkastisch mit ihnen. Nazi-Rockbands mit eindeutigen Aussagen wie „Störkraft“ wurden erst in den 90er Jahren bekannt. So blieb nichts anderes möglich, als das Bild Oehlens auch als ironische Paraphrase zu betrachten, in der einer das, was er darstellt, entwertet, verlacht, vernichtet. Nach den Auseinandersetzungen Kiefers und Baselitz´s mit dem Hitlergruß in den 60er und 70er Jahren und vor den Varianten, die Jonathan Meese in den letzten Jahren geboten hat, ist freilich Oehlens Bild die drastischste Aneignung einer allbekannten Person und wird darum nicht aufhören, widerstreitende Reaktionen zu erzeugen. Eine Katharsis zu erreichen hat Oehlen auch nicht beabsichtigt.

Abb. Albert Oehlen „Adolf Hitler“ 1984

 

 

 

 

 

 

 


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Der Thron des 3. Himmels

„The Throne of the Third Heaven of the Nations’ Millennium General Assembly“

(„Der Thron des dritten Himmels der allgemeinen Jahrtausend-Versammlung der Nationen“)

 

In seinem Buch „Das wilde Denken“ definiert Levi-Strauss die Grenzgänger der Kunst, die borderliner, outsider, art brut Vertreter, die „bricoleurs“, die aus heterogenen Fundstücken, Fragmenten der Wirklichkeit neue Wirklichkeiten konstruieren. Er würde James Hampton bewundern, der als Hausmeister in einer Washingtoner Behörde arbeitete und 14 Jahre lang, von 1950 bis 1964 in einer gemieteten Garage, von niemand beachtet, an einem christlichen Monument arbeitete. Zugleich schrieb er in einer bis heute nicht entzifferten Schrift an einem „Book of the 7 dispensations by St. James“ ( Buch der 7 Dispense, Freistellungen vom Heiligen Johannes), in dem das Wort REVELATION (Offenbarung )und ein Hinweis auf die 10 Gebote lesbar sind. Nach seinem Tod rief der Garagenbesitzer die Washington Post, durch sie wurde das Werk bekannt und steht heute im Smithsonian Nationalmuseum – eine Phantasmagorie: im Licht glitzerndes Staniolpapier und Goldfolie bedecken 176 Konstrukte aus Kartonagen, Möbelresten, Glühbirnen und Spiegeln, die symmetrisch um einen zentralen Thron geordnet sind. FEAR NOT steht über ihm: fürchte Dich nicht. Während Thomas Lanigan-Schmidt in seiner „Iconostasis“ 1978 die Bezüge zu den Lettnern der griechisch-orthodoxen Kirchen suchte, sind die religiösen Phantasien Hamptons synkretistisch, beherrscht von unscharfen Offenbarungen, Ängsten vor Strafen und Hoffnungen auf Befreiungen, Erlösungen und einem Jahrtausendkalender, der zum Weltgericht im Thronsaal führt.

Angesichts der aktuellen kulturellen Verwerfungen in den USA mag man von diesem Werk her auf die vielfältige, ungeordnete, leidenschaftliche Religiosität der Amerikaner schauen, die sich zuweilen in bösartigen Ausbrüchen manifestiert.

 


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Die Neuen Wilden

Zu der Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum für internationale Kunst in Aachen 2018

FIGURATION LIBRE

In dem Fischerdorf Sète am Mittelmeer besuchte ich 1984 die Künstlerfamilie di Rosa, die eifrig am jungen Ruhm des Hervé mitarbeitete. Sie hatten sogar einen Laden in Paris eröffnet, um die zahlreichen Arbeiten – Bilder, Zeichnungen, Möbel, Keramiken – anzubieten. Ich hüte heute noch einige Teller. Sie traten mit Robert Combas und Francois Boisrond als FIGURATION LIBRE auf und hoben sich von ihren Zeitgenossen durch die hemmungslose Produktion von bunten, locker komponierten und schnell gemalten comic-Paraphrasen ab. Es schien leicht, den WILD STYLE der New Yorker Graffiti Writer hier wieder zu finden, wenngleich die Franzosen den engen Rahmen der Kunst nie überschritten und von den Pariser Galerien gern aufgenommen wurden. Immerhin brachten sie in der Breite ihrer Produktion und ihrer Angebote eine freche Gleichgültigkeit und Liebe zu Kaufhäusern mit, die ihre Kunst an den Rand der Subkultur transportierte. So gelangten ihre Bilder auch in jenen Bereich der Sammlung Ludwig, der die „Neuen Wilden“ in der Neuen Galerie sichtbar machte. Sollte das Haus eine ständige documenta sein, so gehörten sie dazu. Im Sammlungskatalog „Kunst heute in Frankreich. Sammlung Ludwig Aachen“ 1987 ergänzen sie Jean Michel Alberola, Jean Charles Blais, Hélène Delprat, Gérard Garouste, Pierre Nivollet, ihren Großvater Jean Dubuffet und die Bilder der Gruppe SUPPORTS SURFACES.

In den ersten fünf Jahren der 80er nahmen sie teil am HYPE aller Kunsthändler und – sammler, die der „Hunger nach Bildern“ umtrieb. Nach den enormen Preissteigerungen der pop art und des Hyperrealismus waren ihre Werke preiswert. Wenige haben den HYPE erfolgreich überlebt.

Abb. Robert Combas „Feuerschlucker“ 1981


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Die neuen Wilden

 

Zu der Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum 2018

 

WILD STYLE

Um 1970 begannen Jugendliche aus dem „Ghetto“ der Bronx mit Spray Guns TAGS, erfundene Signaturen in exotischen Schriften, auf die Wagons der New Yorker U-Bahn zu schreiben – ein Prinz, der in einer Nacht im Depot einen Wagen, ein König, der einen Zug schaffte. 1974 zeigte mir der New Yorker Künstler Gordon Matta-Clark eine 20 m lange Photoglyphe eines bemalten Subway-Zuges.  Das war die erste Graffitii-Ausstellung der Neuen Galerie: „Die bemalte Untergrundbahn“. 1978 entdeckten die Aachener die ersten Wandbilder von Josef Paier und Josef Stöhr: „Irrenhaus“, „Angst“, Es herrscht immer Krieg in den Fabriken“. 1984 erwarb ich für die Neue Galerie 100 ihrer Fotos nach den Wandbildern und stellte sie aus. Und wir zeigten dem Publikum den Film „Wild Style“ von Charles Ahearn, der 1983 der New Yorker Graffitii-, Hip-Hop- und Rapper-Szene ein Denkmal geschaffen hatte.

Die Grafitti-Writer, verfolgt von den Ordnungskräften, schafften den Sprung in den Kunstmarlt. Peter Ludwig kaufte die Bilder von CRASH, DAZE, FUTURA 2000, LADY PINK, NOC 167, LEE Quinones („Voice oft he Ghetto“) in der respektablen Galerie von Sidney Janis, und im gleichen Jahr hingen sie neben Werken von Jean-Michel Basquiat, Jonathan Borofsky und Julian Schnabel und wanderten von Aachen nach Dänemark und Norwegen.

Nirgendwo ist deutlicher demonstriert worden, dass die Subkultur, die junge Maler, Musiker, Tänzer, Dichter, Schauspieler schaffen, schnell in eine ermüdete Kulturszene eindringen, sie beleben und von ihr integriert werden kann. Die Spray Gun ersetzte den Pinsel in einer globalen Street Art, die die Wände der Straße dem Museum vorzog. Der Protest gegen eine hässliche Welt wurde verstanden, uferte aus und versandete. Die New Yorker Subway wurde gereinigt, die Künstler wurden zum Militärdienst eingezogen.

 

 

 

 


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Neue Wilde – der Sammler

 

Zur Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum in Aachen 2018

 

Die Obsession des Sammlers

 

1980 eröffnete die Neue Galerie die Ausstellung „Les Nouveaux Fauves – Die Neuen Wilden – Sammlung Ludwig“ und dokumentierte sie in einem Katalog, der das Budget des Hauses spiegelte: etwa 200 lose DIN A 4 – Blätter rotaprint bedruckt mit Schreibmaschinen-Texten und Schwarz-Weiß-Abbildungen, 3 Farbabbildungen auf Kartons, alle geordnet in zwei beschrifteten Hüllen – Auflage 300. Die Ausstellung zeigte 74 Gemälde, Skulpturen von 19 Künstlern, von Baselitz 91, von Lüpertz 43 und von Penck 106 Zeichnungen. Sie dokumentierte eine Fülle von Erwerbungen, die den internationalen Kunstmarkt bewegte.

Mein Vorwort hatte den Titel „Vorschlag zu einer Untersuchung“. Sie sollte weitergehen. Der großen Übersicht folgten eine Einzelausstellung von Claude Viallat und eine Gruppenausstellung seiner südfranzösischen Freunde, im Oktober „Aspekte amerikanischer Kunst der Gegenwart. Neuerwerbungen der Sammlung Ludwig“, die von Aachen nach Aalborg in Dänemark, Hövikodden in Norwegen, Stockholm, Mainz und Oberhausen wanderte – mit den Werken von Basquiat, Borofsky, Schnabel und den ersten Stücken der Graffiti-Sammlung.

Die Sammlungspräsentationen wechselten mit selbstständigen oder übernommenen Ausstellungen: 1981 die Gruppe Normal, 1982 die Berliner mit „Im Westen nichts Neues – wir malen weiter“ (Ludwig erwarb ihre Werke); 1983 zeigte der Aachener Sammler Hugo seine neuesten Erwerbungen italienischer Künstler der arte cifra-Gruppe, ihr folgten eine Einzelausstellung des Österreichers Attersee, eine kleine Präsentation des Aachener Fotografen und Sammlers Wilhelm Schürmann mit Martin Kippenberger „Song of Joy“, 1984

eine Einzelausstellung des Südfranzosen Alain Clément und 1987 eine andere des Berliners Helmut Middendorf.

Seit 1983 wanderten die „Nouveauzx Fauves“ der Sammlung Ludwig:

„Der Stil des Ornaments. Dekorative Kunst aus der Sammlung Ludwig, Aachen“in den Hofer Herbst und in das Museum De Zonnehof in Amersfort und seit 1984 eine Auswahl der deutschen „New Expressionists“in das Hara Museum in Tokyo und, vermittelt von den Goethe-Instituten, in die Museen von Lyon, Toulouse, Marseille und Nantes, nach Amersfort und in das Provinzialmuseum in Hasselt. Ich habe die Werke zu allen Orten begleitet – wie zuvor zu den Orten zwischen London und Teheran, deren Bewohner die Fotorealistischen Werke der Sammlung Ludwig bewunderten.

Der Erwerb der Sammlung der „Neuen Wilden“ folgte dem Block der Werke aus der DDR, die die Neue Galerie 1979 gezeigt hatte, und 1984 organisierten wir die Ausstellung „Aspekte der sowjetischen Kunst heute“, die die Neue Galerie sich mit dem Kölner Stadtmuseum auf Grund ihres Umfangs teilte. Es ist heute nicht leicht sich vorzustellen, wie die Obsession eines Mannes die europäische Kulturlandschaft, ihre Museen und ihre Medien bewegte und welche Mittel ihm selbst dazu bereitstanden.

Der Sammler Peter Ludwig lebte und arbeitete als stadtbekannter Unternehmer und Sammler in Aachen, nahm als Bürgerbeauftragter an Kulturauschuß-Sitzungen des Stadtrates teil, hatte das Alte Kurhaus für eine Präsentation seiner Sammeltätigkeit vorgeschlagen und mich als Leiter eines neuartigen Museums aus Köln geholt. Es sollte eine ständige dokumenta bieten. Diese Verbindung erklärt die enge Verflechtung der Ausstellungspolitik des Hauses mit dem ständigen Zufluss von Neuerwerbungen. Sie erklärt auch die Gründungsgeschichten der Ludwig-Museen in Koblenz, Saarlouis, Oberhausen, Wien, Budapest, St. Petersburg und Peking, die au8s Beständen der Neuen Galerie ausgestattet wurden.

Abb. Basquiar „Ishtar“ 1983

 

 


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Neue Wilde

Zu der Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum für internationale Kunst in Aachen 2018

DIE WILDEN

Sie erscheinen in dem Titel der Ausstellung „Les Nouveaux Fauves – Die Neuen Wilden“ 1980 in der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig. Ich bin ihr Erfinder. Die Bezeichnung FAUVES erhielten Henri Matisse und seine Freunde 1906, als ein Kritiker im Pariser Herbstsalon eine konventionelleFrauenbüste lobte: „Voilà Donatello au milieu des fauves“ – und er meinte große wilde Katzen, die gestreiften Felle von Tigern. Georges Duthuit hat der Gruppe lange, nachdem sie sich durchgesetzt hatte, ein großes Buch gewidmet „Les Fauves“ 1949 französisch, englisch und schwedisch. Es versammelte Artikel, die er 1929-31 in den Cahiers d’Art veröffentlicht hatte.

„Die Wilden“ ist eine falsche Übersetzung, „Die Wilden“ würden französisch „Les Sauvages“ heißen. Ein TV-Dokumentarfilm hieß kürzlich „Die Wilden in den Menschenzoos“ und berichtete, wie Barnum, Hagenbeck und andere Unternehmer „Heiden“, „Untermenschen“, „Wilde“ importierten und zur Schau stellten. Mit dieser tiefschwarzen Seite des Kolonialismus hatten der Ethnologe Claude Lévi-Strauss und sein Buch „La Pensée Sauvage – Das wilde Denken“ gründlich aufgeräumt. Es war 1962 erschienen (1973 deutsch) und stellte dem wissenschaftlichen Denken der Moderne das mythische Denken zeitgenössischer Kulturen dieser Welt, der streng umrissenen Kunst die bricolage, die Bastelei gegenüber, die sich der second hand, einer 2. Qualität bedient, um Werke mythischer Strukturen zu schaffen. In diesen Texten fand ich mich bestätigt, wenn ich Werke der „Neuen Wilden“ betrachtete.

Der unansehnliche billige Katalog der Ausstellung, in einer Auflage von 300, trug nicht dazu bei, den Titel zu verbreiten.  Im Haus am Waldsee hieß die Ausstellung der Berliner der Galerie am Moritzplatz 1980 „Heftige Malerei“, die Italiener um Bonito Oliva hiessen „Transavanguardia – Arte Cifra“, Engländer und Amerikaner sprachen von „New Image Painting“, die Franzosen von „Figuration Libre“. Die Ausstellung „Rundschau Deutschland“ 1981 in München und Köln zeigte die Protagonisten der einzelnen Zentren, die großen Ausstellungen in London 1981 („A new spirit in painting“), Berlin 1982 („Zeitgeist“) und Kassel 1982 (dokumenta 7) erzeugten einen Hype, der die Künstler und ihre Händler und Sammler begeisterte.

 

„Die (Aachener)Wortprägung wurde kritisch aufgenommen, vor allem auch bei den Künstlern selbst, die auf ihre gänzlich subjektive Bildsprache und das fehlende übergeordnete Programm aufmerksam machten und zudem eine Gleichsetzung ihrer Arbeit mit einer Kunstströmung der Vergangenheit ablehnten. Doch trotz aller Skepsis etablierte sich die Bezeichnung.“ (Stefanie Gommel)

In der Tat ist es nicht leicht, unter dem Titel Individuen und Gruppen von Künstlern zu vereinen, ohne zu der Vorstellung der Wildheit zurückzukehren, die jener Kritiker 1905 in der Ausstellung der Fauves empfand: Revolten gegen die etablierte Kunst und ihren Markt, gegen die entsinnlichte, vergeistigte minimal und concept art,   für die Rechte der Frauen und der Homosexuellen,  gegen den Kalten Krieg und die Teilung Deutschlands, für eine weltoffene Ornamentik, für erotische Begegnungen, für eine aktionistische, performative Malerei auf großen Tüchern,  für Dilettantismus und Hässlichkeit, für eine emotional geladene „mythische“ Malerei – kurzum: für einen nächsten Paradigmenwechsel nach dem ersten um 1968.

Abb. George Braque „L´Estaque“ 1908

 

 

 

 

 

 

 

 


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Die Neuen Wilden

Zu der Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum für internationale Kunst in Aachen 2018

Das „Café Deutschland“A

In der Ausstellung „Les Nouveaux Fauves – Die Neuen Wilden“ in der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig 1980 zog das große „Café Deutschland“ Jörg Immendorffs zahlreiche Besucher an. Ludwig hatte es kurz nach seiner Entstehung 1978 erworben, jetzt kam es aus einer Einzelausstellung des Baseler Kunstmuseum nach Aachen (jetzt im Kölner Museum Ludwig). Etliche Aachener kannten Immendorff, seit er 1967 in der Galerie Aachen seine Aktion VIETNAM mit Bildern aus der „Baby-Sphäre“ vorgeführt hatte. „Café Deutschland“  erzählt: von Penck, dem Freund hinter dem Brandenburger Tor, dem Immendorff seine Hand durch ein Backsteinmodell der Mauer entgegenstreckt (der Ungar Gabor Altorjay hatte solche Mauerstücke, durchsetzt mit Ferngläsern, in den 60er Jahren in Köln ausgestellt, eins stand in meiner Wohnung), von Immendorffs Frau, die Schmidt und Honnecker, die an der deutschen Fahne malen, Handwerkszeug bringt, vom tanzenden Künstler unter dem Adler, der in den Krallen ein Hakenkreuz hält, von Bertold Brecht, der in die nächtliche Szene hinabschaut, von Szenen der Unterdrückung auf geschnitzten Pfeilern – eine neuzeitliche „Nachtwache“ und politisches Manifest, begleitet von einem „Aufruf an die Westdeutschen und europäischen Künstler: Behandelt in euren Werken Fragen des Alltages, Ungerechtigkeiten, die Frage drohender Kriegsgefahr durch zwei imperialistische Mächte, politische Unterdrückung – setzt euch für Frieden ein, denn fällt die erste Bombe, bleibt keine Staffelei trocken, euer Jörg Immendorff, Mai 1978.“

Renato Guttuso, dessen „Mai 68“ lange in der Neuen Galerie hing, hatte mit dem Bild „Café Greco“ Immendorff 1977 angestoßen, aber als er die Serie begann, hatte er die Anregung vergessen. Unter allen Bildern der Ausstellung drängte sich dieses große, nächtlich leuchtende Gemälde am stärksten in das politische Selbstbewusstsein der Epoche – ein exemplarischer Nouveau Fauve.


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Die Neuen Wilden: Pattern

Zur Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wildsen“ im Ludwig Forum für internationale Kunst in Aachen 2018

 

Pattern Painting

 

Brad Davis, Tina Girouard, Valerie Jaudon, Joyce Kozloff, Robert Kushner, Thomas Lanigan-Schmidt, Kim McConnel, Miriam Schapiro, Kendall Shaw, Ned Smyth, Robert Zakanitch und Joe Zucker waren in der Ausstellung „Les Nouveaux Fauves – Die Neuen Wilden“ der Neuen-Galerie – Sammlung Ludwig 1980 die Vertreter des Pattern Painting, und Robert Kushner bot zur Eröffnung eine feine belly-dance-Performance zu marokkanischer Musik in orientalischen Schleiern. Ihre Werke der Sammlung Ludwig bilden auch heute, 2018 den Kern der Ausstellung des Ludwig Forums „Pattern and Decoration“. Die aktuelle Ausstellung des Mamco in Genf trägt den irritierenden Titel „Pattern, Decoration & Crime“, um zu betonen, wie sehr die Beteiligten in den siebziger Jahren die Standards der Tafelmalerei zerbrochen haben, indem sie Tapeten, bedruckte Gewebe, Patchwork Quilts, die Ornamentik mexikanischer Textilien, türkischer Stickereien und Kacheln, iranischer Miniaturen und japanischer Holzschnitte absichtsvoll vermischt in ihre Bilder einführten.

Joyce Kozloff und Miriam Schapiro gehörten zu den kämpferischen Feministinnen um die Kunsthistorikerin Judy Chicago. Sie betonten in ihren Kommentaren zu den Arbeiten die Programmatik, die Grenzen zwischen der männlich besetzten FREIEN KUNST und der weiblich besetzten ANGEWANDTEN KUNST zu überwinden. In der WOMEN ART REVOLUTION, die Lynn Hershman Leeson in ihrem Film 2010 darstellt, gehören sie zu denjenigen, die wie die Franzosen der supports surfaces Bewegung aus den Museen in den öffentlichen Raum, von der Kunst in das Design drängten. Der Selbstgenügsamkeit der amerikanischen Minimal Art stellten sie die sinnliche Fülle der interkontinentalen Ornamentgeschichte gegenüber und stehen am Beginn einer neuen emotionalen Malerei. Ich lernte diese Gruppe in der Folge Peter Ludwigs durch die New Yorker Galeristin Holly Solomon kennen und bin froh, dass die Aachener Sammlung Ludwig als einziges Museum in Europa diese Erbschaft bewahrt.

Abb. Mirioam Schapiro „Eurydice“ 1972

 

 

 

 


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Die Neuen Wilden

Zu der Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum für internationale Kunst in Aachen 2018

 

„Die Neuen Wilden“ 1980

In der Ausstellung „Les Nouveaux Fauves – Die Neuen Wilden“ in der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig hing schon neben „Alarichs Grab“ von 1975 und „Große Eisenfaust Deutschland“ das Bild „Wege der Weltweisheit II“ von 1977 – eine „wilde“, ungeordnete Tafel von deutschen  Köpfen – Kant, von Schlieffen, Hölderlin, Flex, Kleist, Heidegger, Moltke, Schlageter und viele mehr – in Holzschnitten aneinandergesetzt, zum Teil roh übermalt und mit Farbschlieren verbunden, die das Bild wie Arterien durchlaufen. Anselm Kiefer arbeitete mit irritierenden Pathosformeln an der zeitgenössischen Vergangenheitsbewältigung. Er blieb auch später der Ausdrucksstärke von Materialcollagen verbunden, fügte Stroh und Blei ein, schuf dreidimensionale Objekte und Environments.

Neben den frühen Bildern würde ich gern „Painting without Mercy“ (Malen ohne Gnade) von 1981 des New Yorker Neoexpressionisten Julian Schnabel sehen, eine der großen, schweren Bildtafeln, die mit zerbrochenen Tellern beklebt waren. Für die „beat generation“ setzte er das große Porträt des William S. Burroughs und das kleine des George Washington am Rand neben ein Pin-Up und eine Kreuzigung. Gnadenlos zu malen heißt hier die Schönheit einer Malfläche zu zerstören und das Bild in eine Assemblage zu erweitern. Ludwig erwarb später das monumentale Bild, das Schnabel in Spanien dem Ignatius von Loyola widmete. In der Ausstellung 2018 ist Schnabel als Amerikaner nicht vertreten, aber sie zeigt die 3 x 6 m große Tafel des Tschechen Jiri Georg Dokoupil von 1981, ein Relief aus festgeklebten geschlossenen Büchern, gewichtig und mächtig, sein materielles Pathos durch Gesichter ergänzt, die der Maler in den reichen Brauntönen durch weiße und schwarze Lichter als auftauchende Erscheinungen skizziert hat: „Gott, zeige mir Deine Eier“ heißt das Bild.

Der großen Geste der abstrakten Expressionisten (Barnett Newman, Jackson Pollock) setzt diese Generation die Pathosformeln mythischer Sprache entgegen und füttert sie zuweilen mit einem Oberton, der die Ironie streift.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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Malen im Hambacher Forst

Belagerung im Hambacher Forst

Helge Hommes und Saxana malen im Wald ­- Herbst 2018

 

Vor dem Sommerpalast in Peking sah ich einem jungen Künstler zu, der Landschaften auf DIN A 3 große Kartons mit goldenen Rändern malte. Er entwarf in feinen Stufen von Schwarz zu Grauweiß „Huang Shan“, den „Gelben Berg“, eines der Heiligtümer der Chinesen. Er brauche keine Vorlage, um ihn zu malen, nicht nur er, sondern seine Besucher kennen ihn. Er schenkte mir das Bild. Es war ihm nicht wichtig, ich begriff, dass es einem geübten Maler leichtfallen kann, schnell die Komposition eines allen bekannten Bildes zu entwerfen. In jener Malerei, die die Chinesen Shan Shui nennen, kommt alles darauf an, in die Wiedergabe des bekannten Bildes den Ausdruck persönlicher Gefühle einzubringen. Und die Geschwindigkeit, der der Pinsel in der Hand folgt, bestimmt den Ausdruck ebenso wie die Konzentration der Tusche auf seiner Spitze. Das Ausmaß persönlicher Gefühle, das der junge Chinese in sein Bild projizierte, war von Ehrfurcht und Frömmigkeit und der Erinnerung an Bilder historischer Meister bestimmt: eine geringe Erregung hat ihn dazu gebracht, das Bild jederzeit zu wiederholen.

 

Ich habe den Künstler Helge Hommes in Aachen kennengelernt und mich mit seinen Bildern beschäftigt, auch als er später nach Leipzig zog. Im August 2018 lud ich ihn und die Malerin Saxana, seine Lebensgefährtin, ein, im Hambacher Forst zu malen, einem alten Laubwald mit Hainbuchen und Stieleichen, Maiglöckchen, Bechsteinfledermäusen – und einigen sehenswerten Baumhäusern. Dieser Forst ist der Rest eines großen Waldes, der dem Tagebau der Braunkohlegewinnung weichen musste, und 2018 der Anlass eines übergreifenden Streites zwischen den Vertretern der mächtigen Kohleindustrie und der wachsenden Zahl derer, die der Zerstörung des Planeten und seiner Sphäre entgegenwirken.

 

Der Streit wird im Forst ausgetragen, und seit Helge und Saxana dort Ende August ein Dutzend große Leinwandbilder zu malen begannen, haben wachhabende Polizisten sie misstrauisch belästigt. Die Erregung der Künstler nahm zu, als Kräne und Hebebühnen einfuhren und Arbeiter sich unter Polizeischutz bemühten, Baumhäuser zu demontieren. Sie hatten sich mit Bewohnern und Besuchern angefreundet, Saxana zeichnete in 25 m Höhe; und als Steffen, ein Student der Kölner Medienhochschule, abstürzte und starb, brachen beide zusammen.

 

Helge und Saxana sind streitbar und nicht nur zu bildnerischen, sondern auch zu verbalen Kraftakten fähig. Helge überschwemmte das Facebook mit Texten, in denen er am Ende die Theorien von Joseph Beuys über die Soziale Plastik zu Hilfe nahm. Mit Saxana erklärte er den Hambacher Wald, alles, was dort geschieht und das Ziel, ihn zu retten, zum Gesamtkunstwerk. Die stetige Weiterarbeit an der „Sozialen Plastik“ müsse Teil des allgemeinen Bewusstseins werden.

 

Den Heiligen Bergen Chinas, die als mythische Orte in Buddhismus und Taoismus eingebunden sind, stehen im Christentum die Berge Sinai und Tabor gegenüber. Doch ihre mythische Kraft reicht nicht über die Alpen. Hier ist es der Wald, ein Ort der Ehrfurcht und Quelle unzähliger Bilder und Texte.  Helge Hommes hat immer Bäume gemalt und in seinem Oeuvre alle Grade der emotionalen Identifikation durchschritten – von den kühlen weißen Bildern, die von schwarz schimmernden Stämmen und Ästen zeichenhaft durchfahren sind, bis zu den fotorealistischen Gemälden großer, ausladender Bäume. In dieser Konzentration erscheint der Archetyp der Yggdrasil, der Weltesche, sie steht für eine Sehnsucht nach dem Entwurf einer harmonischen Weltordnung. In Leipzig begann er, um seiner Arbeit neue Dimensionen zu öffnen, die Werkgruppe BAUM – BERG – WELTEN, ein Wechselspiel zwischen nahen, verwitterten Baumstümpfen und fernen erhabenen Bergen  „ … wo die Götter wohnen“. Dort wendete er sich den Landschaften Caspar David Friedrichs zu, und jener Text, in dem er das Gesamtkunstwerk Hambacher Forst erklärt, ist von einem Bild begleitet, das inmitten des Waldes einen Styliten auf einem geköpften Baum zeigt, eine Rückenfigur wie jene, die in Friedrichs Bild „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ in die Weite schaut – hier nun Helge selbst als „fragender Seher“, aufgeladen mit demütiger Sehnsucht.

 

In den Wochen nach ihrem ersten Besuch sind Helge und Saxana immer wieder in den Hambacher Forst gefahren und haben die Kämpfe zwischen den Aktivisten, den Baumbewohnern und Tausenden von Sympathisanten einerseits, den Polizisten, Waldarbeitern und ihren Baggern und Kränen andererseits erlebt. Die Situation zwang sie, genau hinzusehen, Fragen zu stellen, Stellung zu beziehen. Ein Sturm der Gefühle begann, ihre Wahrnehmung des Waldes zu beherrschen. Doch der Blick in die Weite der Baumkronen förderte Wagemut und Entschlossenheit. 160 x 120 cm messen die 8 Leinwände, zwei weitere 180 x 250 cm, die Helge und Saxana im Hambacher Forst gemalt haben. Sie beendeten die Reihe mit dem Großformat HIMMELSKINDER, 300 x 420 cm, das sie gemeinsam gestalteten: eine Widmung an die Baumbewohner, die ihre Freunde geworden waren. Das Künstlerpaar hatte in diesem Jahr in der Einsamkeit der sächsischen Wälder eine Werkgruppe von Baumportraits begonnen – plein air – eins zu eins gegenüber dem Baum, in Augenhöhe: Baum als „Du“. Hier, im Hambacher Wald, erregten sie bei den kontrollierenden Ordnungskräften, den Baumbewohnern und den Waldbesuchern schon Aufsehen, als sie die Leinwände aus ihrem bemalten Anhänger holten, in den Wald trugen und dort auf Staffeleien stellten. Es war auch für sie neu, ihre Malerei in das Zentrum einer politischen Auseinandersetzung zu bringen. Sie waren weithin sichtbar, denn der Wald ist licht, die ausladenden Baumkronen lassen den Wuchs von dichtem Unterholz nicht zu. Umgeben von Zuschauern standen sie vor ihren Leinwänden nahe zwischen den Stämmen. Alles, was sie wahrnahmen, überschnitt die Formate. Auf den Bildern entstand WALD.

 

2016 hatte Hommes eine Waldlandschaft gemalt: „Morgenland…kommst Du mit in den Wald?“ – vor frühlingshaftem hellgrünem Grund das schwer zugängliche Gelände eines heimischen Naturreservats: Gestrüpp, trockene Äste und Stümpfe vor seinen Füßen: WALD. In dem belagerten Hambacher Forst, in dem sich Pfade kreuzen und Baumhäuser kleine Siedlungen bilden, richten sich die Blicke zwischen den glatten Stämmen schnell nach oben, und die Menschennester drängen sich in die Bilder. Gemälde Nr. 1 „Nr. 15 gegen Jasper“ zeigt die Ansicht von zwei kahlen schlanken Bäumen, die Häuser tragen. Es ist überraschend so angeschnitten, dass über dem Rücken eines Polizisten mit der Nummer 15 (man sieht nur den weißen Helm und die Schultern des Beamten) die summarisch skizzierte Figur eines schutzsuchenden Waldbewohners in einem geräumigen Spalt im Stamm des zweiten Baumes entdeckt werden kann. Das Bild ist hell, der weiße Grund ist vor allem oben freigelassen, die Sonne wirft starke Schlagschatten. Unter und über der hellgrünen Zone der Baumkronen breitet sich ein Wald „im Belagerungszustand“ mit Hütten, Biwaks und provisorischen Gehäusen aus. Die beiden vorderen Baumstämme sind giftig grün zum Betrachter hin gemalt, dahinter dunkelbraun: „sterbend“. Der linke greift mit gespreizten Ästen über das Bild hinaus.

 

Der Maler dieses Bildes führt nicht in der Stille seines geschützten Ateliers eine Waldlandschaft aus. Er befindet sich wie ein fotografierender Journalist in einer erregten Zone, nimmt die Erregung auf und überträgt sie auf seinen Arm, seine Hand, seinen Pinsel, seine Palette, blickt nicht durch den kleinen Sucher einer Kamera, sondern auf eine große weiße Tafel, die ein Loch in den Wald schneidet, das er füllen will: nicht mit einem großen Pflaster zukleben, sondern in einem bewegten, lebenden Bild spiegeln. Er hat erwartet, dass sein ästhetisches Temperament in ein Feld von Störungen gerät, aber dass der mythischen Schönheit des Waldes nicht Visionen seiner Krankheiten, Brände, Nutzungen entgegenstehen würden, sondern eine Bedrohung, eine spannungsvolle unaufgelöste Konfrontation von Zerstörern und Erhaltern, von Eindringlingen und Bewohnern. Dieses Spannungsfeld setzt ihn besonderen Belastungen aus.

 

Tatsächlich sind die beiden Maler in ein Walddorf mit Namen GALLIEN gekommen, in demRuhe und Frieden zu herrschen schienen. Saxana spiegelt das in ihrem ersten Gemälde. Es misst 250 x 180 cm.  Helge entwarf dagegen auf gleichem Format den Spiegel einer Wirklichkeit, den eine Vorahnung bewegte, die er spürte. Er setzte sie als expressive Spannung ein, malte ein Schaufelrad, das bedrohlich in einem Baumspalt erscheint; er sah nicht die Schaufelradbagger, aber er hörte sie schon. Er ahnte, dass die Polizei kommen würde und malte den Beamten Nr. 15 am Rand ganz vorne. Er sah durch den Saum der Jungbäume nicht die Grubenkante, nicht die Halde, aber er malte sie, malte die Bedrohung, malte „Jasper“, eine junge Frau vom Baum „Chillum“, malte sie versteckt, so dass man sie nicht identifizieren kann. Er nannte es „NR 15 gegen Jasper“.

 

Das Gemälde Nummer 2 „Oaktown“ ist schneller, skizzenhafter gemalt, die Spannung im Wald ist durch eine rotweiße Absperrung gekennzeichnet. Der Baumsiedlung steht die Räumung bevor. Unter zwei pastos schraffierten „Nestern“ hängt senkrecht ein leuchtendes gelbes beschriftetes Banner an dem Stamm, der sie trägt. Die Grenze zwischen Boden und Himmel schwindet hinter den Bäumen. Sie hängen im Bild. Einige Stämme sind stark blau markiert. Das Blau irritiert. Gemälde Nummer 3 hat einen gewichtigen Titel: “Kraftplatz. Das Wesen aus der Tiefe (alte Hainbuche)“. Es zeigt vor dem taghellen Grün der Wipfel noch einmal in kräftigem Blau das niedergestürzte Geäst eines sterbenden Baumes, der seine Stärke, so suggeriert der Titel, in die Wurzeln zurückzieht. Gemälde Nummer 4 „Lorien“ („Lothlorien“ ist der Wald in Mittelerde im Herr der Ringe von J. J. R. Tolkien) zeigt eine größere Hütte auf einer Plattform zwischen vier Bäumen und eine kleinere, die wie ein Nest auf der dichten Krone eines anderen hockt. Eine Gestalt seilt sich ab, und der Baum, pastos in horizontalen Pinselschlägen dramatisch gestaltet, scheint sturmgeschüttelt. Im Parallelgemälde Nr. 4 von Saxana sieht man das „Auge Mordors“, einen Polizeihubschrauber links oben im dunkelgraublauen Himmel zur schräg angrenzenden hellgrünen Welt der alten alleinstehenden Eiche von Lorien.

 

Gemälde Nummer 5 „Cathedral of an unknown tree“ führt einen das Bild beherrschenden monumentalen Baumstumpf vor, in breiten braunen, schwarzen, blauen, gelben senkrechten Farbbahnen aufgebaut, mit einem schwarzen Überhang, der ihn leicht nach rechts zieht. Er ist hohl, und im Dunkel der Öffnung leuchtet eine rote Spur. Ein Foto zeigt nicht den Baumstumpf im Hambacher Forst, sondern sein Bild auf einer Staffelei, und ich kann es mit anderen Bildern von Baumstümpfen vergleichen, die Hommes zuvor und danach gemalt hat. 2017 ist jenes entstanden, das er „The unbeliervable fantastic Matterhorn“ nannte, und schon der exuberante Titel deutet die mächtige Ausstrahlung an, die der Maler in diese Naturikone hineinmalte. Der Stamm drängt sich aus einem lebendigen Chaos von Moosen, Ästen und Wurzelgestrüpp so empor, dass die Gruppe der vier Bäume als Folie für ein Denkmal in den Hintergrund tritt. Ihm steht ein anderes, ein Querformat, gegenüber, „Der Hochnarr“ von 2017, in dem der Wald in dichtem Nebel erscheint. Der Betrachter steht gleichsam überrascht in allergrößter Nähe vor dem gebirgigen Chaos eines gestürzten Baumes, dessen Wurzel sich aus einem Erdhaufen „klagend“ erhebt.

 

2018, nach der Arbeit im Hambacher Forst, malte Hommes eine zweite „Cathedral of an unknown tree“, ein weiteres Gemälde der Serie „Baum – Berg -Welten“, das reduzierter als das erste Bild des Baumstumpfes den Malprozess so verkürzt, als wäre nur eine schwindende Erinnerung an einen Wald geblieben, ein Alb, ein gespenstisches Gesicht auf einem weißen Feld. Wäre nun dieser Baumstumpf, den Hommes mehrfach gemalt hat, sein „Huang Shan“, seine Ikone, die seinem Glauben an die Unsterblichkeit der Natur, an die ewige Wiederkehr des Lebens Ausdruck gibt, so wäre er nicht ein authentischer Gegenstand, sondern ein Bild, das er wie jener Chinese ständig variieren könnte – in wechselnden Zuständen der Erregung. Aber die Serie zeigt auch eine Suche nach dem finalen Meisterwerk. Hommes wird immer wieder Baumstümpfe malen, immer hoffen, das nächste Bild würde das Beste sein.  Und er weiß, dass das eine nicht ohne das andere sein kann, dass alle verknüpft sind.

 

Saxanas Leinwände standen neben denen Helges. Beide Maler blickten in dieselbe Richtung: vier Augen sehen mehr und anders als zwei. Dann entschloss sie sich, zu den Baumbewohnern empor zu steigen, dort oben zu zeichnen und zu malen. Sie ist dort hellwach, sie sieht, was viele nicht sehen, nimmt unscheinbare Ereignisse, leise Momente in kleine poetische Fragmente auf. Wäre sie ein Fotograf, sie würde  unendlich viele Bilder produzieren.

 

Zwei Wochen vor dem tödlichen Absturz des Steffen haben beide ein letztes großes Bild gemeinsam gemalt, das ihre Erlebnisse zusammenfasst: „Himmelskinder“, 300 x 420 cm, 3. und 4. September – ein Blick in den Himmel durch die lichten Baumkronen, die Hütten und Nester tragen, die mit Stegen, Strickleitern und Seilen verbunden sind. Der weiße Grund der großen Leinwand ist spärlich mit Farben bedeckt, die Pinsel haben die schlanken Stämme von den unteren Rändern schnell zur Mitte hin in die Höhe gezogen, gering modelliert, abgeschnitten vor einem flachen Hintergrund, auf dem spontane hell- und dunkelgrüne Tupfer, Striche, Gitter tanzen, die sich zu Nestern, Leitern und Stricken verdichten. Um ein Bündel von Stämmen ist das Bild balanciert in zwei Hälften geteilt und kalkuliert nach rechts zu größerer Helligkeit geöffnet. Helge hat es komponiert, Saxana hat es belebt. Ihr bewußt kindlicher Malmodus trägt die Unschuld in das große Bild, die nur einem Kind, einem „Himmelskind“ eigen ist. Von den dramatischen düsteren Bildern des Anfangs haben sich die beiden Waldmaler auf ihre Weise entfernt – in eine Projektion wie ein Deckengemälde, eine Epiphanie, in der der Tod des jungen Waldforschers ebenso aufgehoben ist wie das Schicksal aller Besetzer des Hambacher Forsts, die in diesen Tagen, in denen die Belagerer zurückgezogen sind, in den Wald zurückkehren.

 

Vordergründig diente das waghalsige Experiment dazu, in einem belagerten Wald Bilder von einem Wald zu malen, der belagert ist; belebt von Bewohnern, ihren Gästen, Schaulustigen und Polizisten, Arbeitern, Kränen und Panzern. Aber ein Maler ist kein Fotograf, um abzubilden, was er sieht, braucht er Zeit, eine lange Zeit: ein Bild in seine Vorstellung aufzunehmen, auf eine leere Tafel zu projizieren, die Farben zu wählen, den Pinsel zu bewegen. Zwischen dem Bild, das er wahrnimmt, und dem, das er malt, fließt Zeit. Gemälde, die historische Ereignisse wiedergeben, blicken zurück, und manchmal können wir die Zeit zwischen dem Ereignis und dem Bild erfahren: Gericaults „Floss der Medusa“ 1819 erinnert an eine Katastrophe 1816, „Der Tod des Marat“ von Jacques Louis David, vollendet schon im September 1793, erinnert daran, dass Charlotte Corday am 13. Juli den Revolutionsführer Jean Paul Marat in seiner Badewanne erstochen hat. Die Maler Helge Hommes und Saxana waren vor Ort. Sie haben mit ihren Bildern nicht die Authentizität von Dokumentarfotos gesucht, die in einem Bruchteil von Zeit entstehen, sondern die Privilegien der Malerei genutzt, einen Mehrwert der Bedeutungen zu schaffen, der emotionale Betonungen, Verschiebungen, Unsichtbares, alles einschließt, was sie in diesen Tagen erregt hat. So wie der Hambacher Forst durch das, was im Herbst 2018 dort geschehen ist, einen Symbolwert erlangt hat, so reichen die zwölf Gemälde über ihren Anlass hinaus – sie bilden ein besonderes Kapitel der Landschaftsmalerei im frühen 21. Jahrhundert.

 

Oktober 2018

Wolfgang Becker

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