Beckeraachen

Kunstwechsel


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Bonjour Voyage

Ludwig Forum Aachen: Bonjour Voyage!

Keine Kunstwerke und keine Menschen, die sie begleiteten, sind so weit gereist wie die der Sammlung Ludwig in Aachen. Sie waren in Verviers, Aschaffenburg. Zandvoort, Rom, Stockholm, Luzern, Humlebek, Luxemburg, Budapest, Koblenz, Peking, St. Petersburg, Lyon, Marseille, Bordeaux, Paris, London, Groningen.Teheran, Wien, Regensburg, Lübeck, Hovikodden,Tilburg, Saarbrücken, Mainz, Kulmbach, Berlin, Esslingen, Oberhausen, Aalborg, Tokyo, Hasselt und Koblenz. Mancherorts sind sie heute noch zu sehen. Wenn die solche vorbei ist, werden viele wieder auf Reisen gehen. BONJOUR VOAGE ist eine Ausstellung des Ludwig Forums, die zur Zeit große Lust erzeugt. Die Kuratorin Alexandra kolossal hat mit ihren Helfern und Helferinnen eine große Ausstellung mit Werken zeitgenössischer Künstler zu diesem Thema aufgebaut, und seit heute spricht sie darüber in einem bunt bebilderten Podcast; der allen Zuhörern und Zuschauern großes Vergnügen bereiten wird.

https://dieleichtigkeitderkunst.de/bon-voyage/

viel Vergnügen!


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Für Mary Wollstonecraft

Für Mary Wollstonecraft

46. Kalendergeschichte

Will eine Frau einen Mann für sich gewinnen, so bietet sie ihm Herrschaft wie die Göttin Hera, Weisheit wie Athena oder Liebe wie Aphrodite. Europäische Künstler konnten diesem Leitbild des Paris-Urteils folgen, solange sie unter sich waren. Die Venus von Milo im Louvre wurde ihnen das Leitbild der Schönheit, die Freiheit, die das Volk führt, von Delacroix das Leitbild der Macht, und das Leitbild der Weisheit hat sich an die Mona Lisa geheftet.

Vor 3 Wochen   wurde im Norden Londons, dort, wo die Ahnfrau des Feminismus, Mary Wollstonecraft, seit 1784 eine Mädchenschule leitete, die Bronzeskulptur einer lebensgroßen nackten Frau von Maggi Hambling, einer bekannten britischen Malerin und Bildhauerin, als Denkmal des Feminismus eingeweiht. Sie provoziert als “perfectly formed wet dream of a woman“ein Streitgespräch unter Frauen. Hambling verteidigt sich: sie habe sie dem „traditional male heroic statuary“ entgegengestellt.

Mary Wollstonecraft hoffte, eine neue Art der Frau zu schaffen(“I do not wish them  to have power over men; but over themselves“) und Maggi Hambling hoffte, ihr folgen zu können – eine neue Species, die, unabhängig von der Fantasie der Männer, ihren eigenen Fantasien folgt. Für mich, den alten Kunsthistoriker, der von den Leitbildern der griechischen Antike geprägt ist, hat sie ein erschreckendes Frauenbild geschaffen, : die „Allerweltsfrau“ (“everywoman“) tritt nicht graziös hervor und bedeckt nicht ihre Scham wie Botticellis Venus, sie steht mit angelegten Armen „zur Parade“ auf einer Blüte aus Lehm und schaut ernst ins Weite. Die kurzen Haare folgen der Form des Kopfes, die Geschlechtsmerkmale – Brüste und Scham – sind kräftig betont. In diesem Vorort von London ist sie eine Europäerin mittleren Alters, die sich den schätzenden Blicken derer anbietet, die sie in ihren Kreisen aufzunehmen bereit sind: keine Göttin, keine Mutter, keine junge Frau, die sich wünscht, eine Familie zu gründen. Sie folgt einer Vorstellung, die faschistische und sozialistische Frauengruppen in ertüchtigenden Sport- und Tanzveranstaltungen geprägt haben.

Es versteht sich, dass mich als Mann diese Statue anders verwirrt als Feministinnen, die ihre Nacktheit bemängeln. Vielleicht ist es die nahezu kämpferische Pose der Frau, die nicht bereit ist, im Hintergrund ihres Spiegelbildes das Gesicht eines Mannes zu sehen. Sie ist eine Arbeiterin im Anthrpozän, die hofft, eine Geschichte hinter sich zu lassen, die vor 5000 Jahren begonnen hat. Sie hat das Füllhorn des Eros verbrannt: die unendliche Geschichte der Verführungen, Ekstasen, Vergewaltigungen, Entbehrungen, Sehnsüchte, Tragödien, der Rache und des Glücks. Maggi Hambling zeigt sie gesund. kräftig, vorwärts blickend. Wird sie zur Rettung der Welt beitragen?


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Sie können, wenn Sie wollen

45. Kalendergeschichte

Sie können, wenn Sie wollen

Im April 1986 habe ich begonnen, Wolfgang Becker ein Jahr lang 30 Briefe zu schreiben und frankiert mit der Post zu senden – in unregelmäßigen Abständen, zuweilen zwei an einem Tag. Alle enthalten die Botschaft: „Ich glaube, Sie können, wenn Sie wollen.“ Mit einem Bleistift auf einen DIN A 4-Papierbogen gesetzt, von Bildzeichen umgeben, zuweilen farbig aquarelliert, signiert: Geert Westphal oder Webel. Die frankierten Umschläge enthalten meinen Kölner Absender, wenige den von Hans-Peter Webel in Hamburg. Becker würde sich den Satz merken, so konnte ich ihn nach den ersten Briefen zerstückeln. Er sah ihn aus Vogelsicht wie auf einem Stadtplan, „atmend“ zwischen zwei roten „Lungenflügeln“ oder in den Haken abwärts fließender Farbtropfen.

Die drei Elemente des Satzes – glauben, können, wollen – behaupten sich beharrlich. Dabei sind sie überaus zerbrechlich. Ich glaube nicht wirklich, bin nicht sicher, dass er will, und weiß nicht, ob er kann. Er muss nicht einmal annehmen, dass ich meine Briefe eigennützig schicke, als ob ich ihn bäte, sich für meine Arbeit als Künstler zu interessieren. Ich lade ihn auch nicht ein, mir zu antworten; und er hat nicht geantwortet, aber die 30 Umschläge mit den Briefen in einer Sammlung von Botschaften, die er von Künstlern erhalten hat, aufbewahrt.

Die drei Worte glauben, können, wollen gewinnen erst Klarheit, wenn sie sich auf Ziele richten: ich glaube an den Zufall, kann auf den Zehenspitzen stehen, will berühmt werden. Es sieht so aus, als hätte ich die Botschaft an mich selbst geschickt und mich in Becker gespiegelt. Dabei leitete er eine Institution, die meinen Interessen nützlich ist; er organisierte Ausstellungen und machte junge Künstler in einem Milieu bekannt, das neue Informationen sucht.

Ich spreche ihn in meinen Briefen nicht an, wenngleich sie einen Imperativ enthalten – Sie können, wenn Sie wollen –, den ich nur durch den Vorsatz – ich glaube – zurücknehme. Ich bleibe höflich, ich sieze ihn. Er hat die Umschläge vorsichtig mit einem Federmesser geöffnet, weil er daran gewöhnt ist, Botschaften von Künstlern zu erhalten, die wert sind, aufgehoben zu werden. Er gibt diesen DIN-A-4 Blättern einen ästhetischen Wert und betrachtet ihre gezeichneten und aquarellierten Anteile mit den Augen des Kunstamateurs. Sie haben dazu beigetragen, dass er die 30 Botschaften aufbewahrt hat.

Versuche, Kunstwerke an Empfänger zu binden, scheitern häufig, weil viele sie als Objekte betrachten, die ihren Eigentümer wechseln können. Schließlich werden sogar Porträts von Besitzern häufig benutzt, um an einem dritten Ort an sie zu erinnern. Der amerikanischen Maler Paul Wiesenfeld versuchte, ein sehr schönes Porträt seiner Tochter an den Sammler Peter Ludwig zu verkaufen; der lehnte ab: er habe keine Tochter. Widmungen in Bildern werden nicht selten wegretouchiert, wenn sie nicht Namen von kultureller Bedeutung enthalten. Also:  meine 30 Briefe an Wolfgang Becker sind bei ihm in guten Händen.

Geert Westphal


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Vom Ende

Vom Ende

Vom Ende

44. Kalendergeschichte

hattest Du auch diesen Traum? Ja. Und alle im Büro hatten ihn auch. Warum steht er nicht in der Zeitung? Wenn alle ihn hatten, ist es nicht nötig, ihn zu publizieren. Hat er Dich überrascht? Zuerst ja, dann staunte ich, wie selbstverständlich er mir war. Hattest Du ihn erwartet? Die Art, wie wir gelebt haben, hat oft die Frage erzeugt, wann es zu Ende sei. Und Du? Hast Du etwas tun, abschließen, besprechen müssen, um es vorzubereiten? Eigentlich nicht. Hast Du etwas Besonderes für den Abend vorbereitet? Nein. Es sollte so sein wie immer. Hast Du es den Kindern gesagt, als sie aus der Schule kamen? Nein. Ich denke, sie können mit der Nachricht nichts anfangen. Bringen wir sie zu Bett wie immer. Sollen wir uns nach der Abendschau einen Krimi suchen?…

Die Kurzgeschichte von Ray Bradbury, die ich nacherzähle, endet so: „They stopped laughing at last and lay in their cool bed and their hands clasped, their heads together. „Good night”, he said, after a momrent. “Good night“, she said.

Er publizierte sie 1951 mit 17 anderen in dem Band THE ILLUSTRATED MAN: ich las sie gestern vor dem Einschlafen und war überrascht.


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Stimmen aus dem Jenseits

Stimmen aus dem jenseits

44. Kalendergeschichte

 Die Indios am Apure in Venezuela sollen Alexander von Humboldt erzählt haben, dass sie von ihren Hauspapageien an tote Verwandte erinnert werden, deren Stimmen sie benutzen. Die Indios wußten nichts über die Geschichten von Ahnen, die in spiritistischen Sitzungen durch den Mund eines Mediums sprechen oder als Geister den Nachkommen in englischen Schlössern erscheinen. Sie kannten nicht die Geschichten von Tischen und Stühlen, die von unsichtbaren Energien wie der Elektrizität geschoben, bewegt und gehoben werden.  Aber sicher kommunizieren auch die Indios in ihren Träumen mit Wesen aus anderen Welten.

Als Roswitha aus Melbourne mich besuchte, druckte ich ihr Protokolle von Gesprächen aus, die der „auferstandene“ Guy Ballard, Gründer der amerikanischen Theosophen-Sekte „I AM“ mit dem „auferstandenen“ Grafen von St. Germain führte, der in Paris vor der französischen Revolution als Alchimist, Rosenkreuzer, Okkultist und Komponist am politischen Leben teilgenommen hat. Ich möchte annehmen, dass das Audio Archiv der amerikanischen Stiftung Saint Germain diese Zeugnisse ebenso bewahrt, wie das Kloster in Walberberg Aufnahmen der letzten Kastraten konserviert. Diese, aus der Zeit der ersten Schallplatten, hab e ich hören dürfen. Solche Dokumente erhalten sich eine magische Faszination.

Alexander von Humboldt hat den Papagei Jakob, der im Salon seiner Berliner Wohnung lebte, ausstopfen lassen, als der Vogel 75-jährig starb. Er soll häufig gesagt haben „bitte den Kaffee mit viel Zucker und Milch“. Dass Papageien weniger andere Tiere als Menschen nachahmen können, gibt Ihnen eine besondere Rolle. Ein Japaner soll seinem Vogel Adresse und Telefonnummer so eingeprägt haben, dass er ihm nach einem Diebstahl zurückgegeben werden konnte.

Papageien singen nicht, weil sie einen schwächeren Stimmkopf als andere Vögel haben, mit ihrer dicken Zunge plappern sie. Francis Drake und andere Piraten waren die ersten, deren Schultern sie besetzten. Bis heute finden wir sie vereinsamt oder zu zweit in Käfigen bürgerlicher Salons in der ganzen Welt. Sie nutzen bescheiden wenige Elemente des gewaltigen Schatzes, den die Menschen seit dem Turmbau von Babel aufgehäuft haben – ihre unzähligen Sprachen, ihren Gesang, ihre Virtuosität, die sie von allen anderen Arten von Lebewesen unterscheiden.

Millionen von Papageien, Aras und Kakadus suchen im Umgang mit ihnen die Nähe zu ihrer Sprache und lassen nicht nach, ihnen zu folgen. Ihre Fortschritte sind größer als die der Affen, die doch eigentlich die nächsten Nachbarn sind.  Der berühmten Graupapagei Alex der Irene Pepperberg konnte sprechen ohne nachzuplappern.

CORONA hat mich verleitet, einen farbprächtigen Papagei anzumieten, um meiner Einsamkeit entgegen zu wirken. Er spricht, aber er sieht mich dabei nicht an. Und noch hat er kein Wort gesagt, dass er nicht von mir gehört hätte.


Ein Kommentar

Hinter Gittern

Kunst hinter Gittern

Die 42. Kalendergeschichte

1977 sucht der New Yorker Künstler Alan Sonfist ein Gespräch mit dem Direktor des Aachener Zoos. Man spricht über ihn auch in Europa, seit es ihm gelungen ist, ein Brachland von 25 x 40 m am La Guardia Platz mitten in Manhattan mit solchen Gräsern, Sträuchern und Bäumen zu bepflanzen, die es bedeckten, bevor die Holländer die Insel 1629 von den Algonkin für 60 Gulden kauften. Jetzt stellt die Neue Galerie – Sammlung Ludwig ihn aus.

Der Zoodirektor willigt ein, ihm für eine Woche einen der Affenkäfige auszuräumen und ihn wie seine Tiere darin auszustellen. Die Schimpansen begrüßen ihn lebhaft im Nachbarkäfig, erwachsene Besucher, ihre Kinder und Hunde sehen ihm zu, wie er ihren Gewohnheiten folgt: sich morgens wäscht und rasiert, Hauskleider anzieht, frühstückt und die Tageszeitung liest, mit ihnen plaudert und den Gedanken vermittelt, mit dem Charles Darwin 1859 ihr christliches Weltbild erschüttert hat, dass sie nicht Gottesgeschöpfe aus Lehm sind, sondern mit Affen die Herkunft von einem gemeinsamen biologischen Prototyp teilen. Anders als die Affen ist der Land art Künstler Sonfist kein Gefangener hinter Gittern. Sein Auftritt ist eine Demonstration, in der er die Bewusstheit mitteilt, dass alle Lebewesen eins sind. So haben die meisten sie noch nie erfahren.

Literaturfreaks erinnern sich an den Hungerkünstler, dessen trauriges Schicksal Franz Kafka 1922 beschrieben hat, und Historikern fallen die Schaustellungen von afrikanischen „Wilden“ im Hagenbeckschen Zoo in Hamburg und im Afrika-Museum Leopolds II. inTervuren ein. Aber Sonfist folgt einer neuen Bewegung der ökologischen Kunst, die um 1970 mit GREEN PEACE, dem Earth DAY, dem WHOLE  EARTH  CATALOG  und zahlreichen „Hippie“-Bewegungen in Kalifornien angestoßen wurde. In den Zoos von San Francisco und Santa Fee hatte schon Bonnie Ona Sherk 1971 an den Fütterungen der Tiere in ihren Käfigen. mit einem Lunch teilgenommen (sogar, so hei8t es, bei den Löwen und Tigern).

Ich besuche Sonfist im Zoo an diesen Tagen und fotografiere ihn. Der Direktor der Aachener Forstverwaltung erlaubt uns danach, eine verlassene Höhle von Wühlmäusen mit flüssigem Gips zu füllen und trocknen zu lassen. Wir graben das komplexe Gerippe einer verzweigten Wohnung aus und stellen sie auf einer großen Tischplatte in der Neuen Galerie vor. Sonfist spricht vom Ende der Kunst und einer Renaissance der Natur.

Ich muss an ihn denken, als eine Nachbarin gestern anbot, zwei mongolische Wüstenrennmäuse zu verschenken. Mir fielen die Menagerien Ludwigs XIV., Montezumas und indischer Maharadschas ein. Sind mongolische Wüstenrennmäuse so aufregend, wie ihr Name klingt?


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Das Gefängnis

Das Gefängnis

Die 41.  Kalendergeschichte

Michel Huisman, Künstler und Architekt, den der Heerlener Bahnhof unsterblich machte, hatte die Aufgabe, für die lebenslang Gefangenen in einer niederländischen Anstalt ein Spiel, eine Unterhaltung zu entwerfen, in der sie am Bildschirm eines Rechners in einen Raum mit zwei Ausgängen blickten und einen wählen konnten, der sie in einen anderen mit zwei Ausgängen  führen würde usw. Da ein Ausgang in die Freiheit nicht vorgesehen war, begann einer der Einsitzenden, sich Levi Uken, Sprecher einer Weltregierung, zu nennen, der im Jahr 2316 in einen Streit mit der Geo-Wissenschaftlerin Naomi Oreskes gerät, die in einem neokommunistischen Verlag in Peking den großen Kollaps der Erde im zweiten Jahrtausend und die Ordnung der Überlebenden in neuen Gesellschaften beschreibt, ohne der Besiedlung des Mars besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Aber gerade sie feiert die Weltregierung in diesem Jahr. Levi Uken war ein Kindeskind weißer Amerikaner aus Alabama, und Naomi Oreskes wusste, dass seine Ahnen die Besiedlung des Mars für die Schwarzen ihres Landes durchführten so, wie die Engländer ihre Strafgefangenen nach Australien verbannten.

Sie hatte auf dem Mars eine friedliche Siedlung besucht, deren Bürgermeister ihr erzählte, wie nach dem großen Kollaps auf der Erde ein Raumschiff mit Flüchtlingen bei ihnen gelandet sei; die Weißen hätten sie um Asyl gebeten und ein Archiv mit Erinnerungen an ihr Leben als Sklaven und underdogs im Süden der Vereinigten Staaten als Geschenk mitgebracht. Nein, sie hätten sie nicht gelyncht und gehängt, aber unter der Bedingung aufgenommen, dass sie ihren Lebensunterhalt nur als Bauern und Handwerker verdienten.

Levi Ukes hielt ihre Geschichte für ein Märchen. Er kannte Schwarze nicht; in den Migrationen nach der Katastrophe hatten sich die Überlebenden so vermischt, dass hier, in Peking, keiner mehr so aussah, wie Europäer sich einen Chinesen vorgestellt hatten. Naomi Oreskes lud ihn zu einer Reise auf den Mars ein.

Der Strafgefangene seufzte. Die Aufseher erzählten tröstend von der Kronenseuche draußen, die viele Menschen zwang, sich in ihren Wohnungen wie in Gefängnissen aufzuhalten. Sie öffneten die Fenster und ihre TV-Monitore, lasen Bücher und flohen in die Welten ihrer Fantasien – wie Boccaccio 1349, der aus dem pestgeschüttelten Florenz in die schöne Villa in Fiesole flüchtete und die fröhlichen Geschichten des Decamerone schrieb. Huisman hat mir erzählt, dass sein Projekt im Gefängnis nicht weitergeführt wurde, obwohl man den Einsitzenden einen pompösen Sessel vor dem Bildschirm anbot. Die Psychotherapeuten warfen ihm vor, die Schwermut und Sehnsucht nach Befreiung unendlich zu steigern. Levi Ukes hat ihm seine Geschichten in das Smartphone gesprochen. Da habe ich sie gehört.

Abb. Zeichnung eines Unbekannten, die ich auf einem Tisch im Ludwig Forum gefunden habe.