Ostereier – eine Kalendergeschichte
Der Schornsteinfeger, der unsere Therme kontrolliert, sah die bemalten Ostereier auf unserem Küchentisch und erzählte, er sei in einem Fischerdorf an der Nordsee eingeschult worden. Ihm hatten damals sechs weiße Gänse gehört, die ihn zur Schule begleiteten, auf der Wiese davor warteten und nach dem Unterricht nach Hause brachten. Sie zischten, wenn andere ihn angriffen. Am Montag nach Palmsonntag bot er in der Schule Gänseeier zum Bemalen an. Unter seinen Freunden war ein Rumäne aus der Bukowina, der Bilder von den Klöstern seiner Heimat zeigte, die überbordend mit Geschichten aus der Bibel bemalt waren. Mit den Mustern, die er dort kennengelernt hatte, bemalte er sein Ei und zeigte es den Gänsen. Sie klapperten mit den Schnäbeln, und er wusste, sie lachten. Aber einer gelang doch, Eier zu legen, die an Farbreichtum und Mustern das des Rumänen übertrafen. Er musste ihr glauben: der Flaum am Bürzel zeigte Reste der Farben. Und sie übertraf ihn: ie wiederholte nicht sein Dekor, sondern erfand andere, wie er sie aus Rumänien kannte. Sie war eine rumänische Gans.
Das reiche Repertoire dieser Muster ist in Moldawien nicht nur auf Klosterwänden und Ostereiern, sondern auf Tischdecken und Servietten, Hemden und Pullovern bekannt. Der Schornsteinfeger schenkte mir dieses Farbfoto. Eines der Eier habe der Rumäne bemalt, fünf seien Arbeiten der Künstlerin-Gans. Frohe Ostern! sagte er und meinte, die Eier, die die Russen zu Ostern auf die Gräber legen, seien lange nicht so schön wie die rumänischen. Ihren Gänsen mangele es eben an Kreativität. Der Gedanke, dass sie gut gextopft geschlachtet werden, gefiel uns beiden nicht.
Er
