Beckeraachen

Kunstwechsel


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HAUSVERWALDUNG

Hausverwaldung – eine Kalendergeschichte

Er erwartet nicht, dass sein „Gartenhaus“, eine Skulptur, die er aus der Ruine eines Gartenhauses modelliert hat, in einem Gesträuch von Efeu, Clematis und Schlingknöterich verschwunden ist. Aber er hört einen, der in diesem Gebüsch mit zwei Frauen telefoniert. Er findet sie; sie iassen Lianen aus den Fenstern der Gästewohnungen herab wie Rapunzel ihren Zopf. Sie sind Gäste eines Stadtteil -Förderprograms, wie sie in Corona-Zeiten entwickelt werden dort, wo Wohnungen leer stehen und Arbeitslose das Stadtbild beherrschen. Künstler und Handwerker aller Gattungen erhalten Geld, werden in eine der Wohnungen eingeladen und aufgefordert, sie, ihre Fenster, die Fassaden der Häuser und die Freiflächen der Straßen und Plätze zu bepflanzen – und das größte Haus unter ihnen, das Ludwig Forum. Gartenzentren häufen Berge von Mimosen, Kletterhortensien, Euonymus, Geissblatt, Trompetenblumen, wilden Wein im Hof an der Jülicher Straße. Hier konzentriert sich die Arbeit. Hier erreicht die Aufgabe ihren höheren Sinn. Ein Museum moderner Kunst in Aachen Nord, im Industrie- und Arme-Leute-Viertel, das seine Herkunft aus einer Regenschirmfabrik nicht leugnet, diesen mächtigen Klotz aus rotem und gelben Backstein in ein vielfältiges grünes KJeid zu hüllen, ist den ästhetischen Ansprüchen des Hauses angemessen und wird von vielen Menschen schnell verstanden.

Es wird eine Sensation und ein Forschungsobjekt zugleich.  Boden- und wandabhängige Pflanzen, ihre Ernährung und Bewässerung werden ebenso untersucht werden wie ihre klimatische Wirkung auf die Innenräume. Ohne Zweifel werden in den heißen Sommern der nahen Zukunft die grünen Wände kühlend wirken, Feinstaub, Gase und Lärm abwehren.

Es war nicht immer die öffentliche Meinung einer Mehrheit, dass lebende Pflanzen und Bäume zur Existenz des Planeten beitragen. Die Künstlerin Tita Giese ging in der Ausstellung des Ludwig Forums „Natural Reality“ 2000 so weit, eine Baumbepflanzung der Jülicher Straße vor dem Haus vorzuschlagen. Joseph Beuys ermutigte die Kasseler Stadtverwaltung 1982 zu einer Stadtverwaldung mit 7.000 Eichen. Jetzt übernimmt in Aachen eine Bürgerstiftung die Verantwortung für 1,000 Bäume in der Städteregion. Könnte jemand gegen die Begrünung des Ludwig Forums protestieren, wo sogar in der Mitte der Stadt ein Parkhaus durch eine Wiese ersetzt wird? Nichts ist sinnvoller, nichts ist schöner.

Nichts ist einfacher: Das große U des Gebäudes setzt sich aus glatten Flächen zusammen. Die Straßenfassaden werden große bepflanzte Vorhänge bedecken, aus denen die Fenster ausgeschnitten sind, die Horizontalen des Dachs werden wie Wiesen bepflanzt und beschränkt begehbar gehalten (die Kunsthalle Bonn bietet ein gutes Beispiel). Die Horizontalen könnten zu der Kreuzung Jülicher Straße – Lombardenstraße ansteigen, um dort einen Aussichtspunkt zu erreichen.

Die beiden Frauen aus den Gästewohnungen bemühen sich jetzt, den Mann aus dem Gestrüpp der Gartnlaube von Thomas Virnich zu befreien. Sie wollen ihm im Garten zeigen, was von den Installationen Nils-Udos und Alan Sonfists übriggeblieben ist. Ein Freund von ihnen hat die leere Wohnung von Peter und Trude Lacroix bezogen und sie nach dem Test zum Abendessen eingeladen. Auf dem SMS steht VERDE QUE TE QUIERO VERDE: Er hat grünen Spargel geerntet Der Frühling hat begonnen.


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48 illustre Männer

48 Illustre Männer um Gerhard Richter

Eine Kalendergeschichte

Dass Ralf Wierzbowski vorgestern im Facebook 48 Porträts von Gerhard Richter publiziert, hat mich überrascht. Vielleicht sind sie sogar so groß wie die illustrer Männet, die Richter selbst 1971/72 gemalt hat, aber anders, ganz anders. Wierzbowski malt nicht Richter wie Richter, sondern versucht, als Wierzbowski (ich erkenne ihn wieder), einem anderen, Alten (seinem Vater, an dem er sich reibt?), seinem Ruhm, seinem Preis nahezukommen.

Richter saß 1972 im Caffé Florian am Markusplatz in Venedig und wunderte sich über den schlechten Zustand der galleria degli uomini illustri seines Kollegen Giulio Carlini an den Wänden.  Marco Polo, Palladio, Goldoni und Tizian waren kaum noch zu erkennen. Wie wird seine Galerie der Prominenten, die drüben im deutschen Pavillon hängen, in 150 Jahren aussehen?

Warum 48? 48 Ölbilder, 55 cm breit, im Abstand von 55 cm gehängt, würden eine Wand von 53 m Länge füllen; 48 illustrer Männer im Saal, nichts weiter. Kafka, der frontal den Betrachter aus der Apsis anschaut, bezeichnet die Achse. Kein anderer: die Angst des ratlosen Jahrhunderts Die Reihe hängt hoch, man hebt den Kopf, um sie wahrzunehmen. Der sakrale Raum ist pathetisch kalt und leer, und nur einige der schwarz-weiß gemalten Personen sind den Besuchern bekannt.

Kunsthistoriker denken hier an die Galleria degli Uffici, der Cosimo di Medici ein neues Foro Romano hinzufügen wollte, das im 19. Jh. als Würdigung des italischen Genius in einer Loggia von Porträtskulpturen vollendet wurde. Und damals, im Zeitalter der Walhallas und Liebestode malte der Münchener Hofmaler Josef Karl Stieler- in Konkurrenz zu Franz Xaver Winterhalter, dem gerade „Sissi“ in Wien Modell saß, die Galleria delle Bellezze, die Schönheitsgalerie im Schloss Nymphenburg, 36 Porträts (in den Maßen der 48 von Richter!) bedeutender Frauen Münchens – Prinzessinnen, Hofdamen, Tänzerinnen, Sängerinnen……..

2015 zeigte die Nationalgalerie von Urbino das rekonstruierte Studiolo des Herzogs Federico di Montefeltre, ein Meisterwerk der Frührenaissance, in dem 28 Philosophen, Theologen, Dichter, Wissenschaftler, Plato, Aristoteles, Augustinus, Moses, Petrarca, Cicero, Euklid, Albertus Magnus, „Uomini Illustri“, dem Fürsten als Vorbilder weiser Herrschaft dienten. Keinem Zeitalter war so bewusst, das Rinascimento, die Wiedergeburt der antiken Kultur Europas zu erleben.

War es wirklich die Größe des deutschen Pavillons, die Richter veranlasste, 48 Porträts von Männern zu malen, die das 20. Jahrhundert bewegt haben?  Hat er den deutschen Pavillon, der im Dritten Reich gebaut wurde, um die deutsche Kunst zu feiern, in eine Gedenkstätte des deutschen Geistes, in eine „galleria degli uomini illustri“ verwandeln wollen, wie sie in der italienischen Geistesgeschichte bekannt ist? Oder wird hier ein trockener Sarkasmus sichtbar, der die feierliche Geste entwertet und sich in dem Moment offenbart, in dem die 48 Porträts an irgendeiner Museumswand in einer Reihe oder mehreren aufgehängt werden? Welche Mühe! Welche Arbeit!

Die 48 Porträts Gerhard Richters haben weitergewirkt. Um sie zu schonen, hat Richter eine Serie von 48 Fotos herstellen lassen, die – hinter Glas – den Originalen gleichen. Sie sind häufig ausgestellt worden. Gottfried Helnwein hat den Männern 1991, angeregt von Alice Schwarzer, 48 Gemälde prominenter Frauen   hinzugefügt.  Er greift in das 19. Jahrhundert zurück und wählt Tänzerinnen (Pina Bausch, Josephine Baker), Schriftstellerinnen (Simone de Beauvoir, Hannah Arendt), Politikerinnen (Rosa Luxemburg) aus Europa und USA.

Richters 48 Porträts wanderten aus Venedig nach Aachen. Viele haben sie dort gesehen, bevor sie das Kölner Museum Ludwig aufnahm – wie auch die Bilder Helnweins. Ihre Betrachtung ist unscharf geblieben. Sie hängen noch immer zu hoch. So unscharf bleibt auch das Bild Gerhard Richters, das Ralf Wierzbowski 48x malt. Ruhm ist unscharf und vergänglich. Aber seit Gerhard Richter eine seiner ersten Einzelausstellungen 1969 im Gegenverkehr Aachen ausrichtete, seit 1970 in der Neuen Galerie die „Eifellandschaften“ heimatliche Neugier erregten und neben dem Sammler Peter Ludwig sich andere um den Erwerb von Richter-Bildern bemühten, gab es in Aachen auch etliche, die sich gern Schüler des Düsseldorfer Akademieprofessors nannten – wie jene anderen, die Joseph Beuys folgten.  

Es ist mir nicht gelungen, für die Zahl 48 eine andere Bedeutung als die Gerhard Richters zu finden. Wer,  sich wie ich an die Zahl fesseln lässt, möge für sich 48 Personen versammeln, die seinem Leben einmal einen Sinn gegeben haben – etwa die Judith der Bibel, die dem Holofernes den Kopf abschlug,  Don Quixotte und sein Kampf gegen die Windmühlenflügel, Papst Johannes, Herkules, der Antäus in der Luft erwürgte, Janis Joplin, 50 Cent oder die überaus langweilige Mona Lisa. jeder hat ein Recht auf seine Galleria degli personnaggi illustri e famosi.

Abb. Richters Porträts in Venedig 1972 und Katalogtitel dea Studiolos in Urbino 2015


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Seidenstraße Chaina

Seidenstraße CHAINA

Eine Kalendergeschichte

In Taipeh schenkte mir ein Künstler diese Teller. Sie sind aus niedrig gebranntem grauem Ton, und Trudel Klefisch, Asiatica-Händlerin in Köln. meinte geringschätzig,  so etwas exportierten die Chinesen nicht; die Ware kam in kleinen Auflagen aus kleinen Öfen, ihr Dekor folgte bestimmten Vorlagen, und jeder Maler variierte es schnell nach Lust und Laune; ein Vergnügen, das, so meinte der Künstler, sie wertvoll machte.  Wer Erden fand, die bei höheren Temperaturen nicht zerfielen, wer größere Öfen bauen konnte, stellte menschen- und pferdegroße Skulpturen her und entwickelte Farblasuren, die heute in großen Museen leuchten. Die höchste Temperatur – 1450 ° C – verträgt ein Gemisch aus Tonmineralien, Felsspat, frei von Eisen: Kaolin, das in großen Mengen seit dem 18. Jahrhundert im Nordwesten Chinas, in Gaoling abgebaut wird. Dorthin ist Edmund de Waal, Keramik-Künstler in London, gefahren und hat in „Die Weiße Reise“ eine aufregende Geschichte geschrieben. Seine schneeweißen Skulpturen habe ich in einer Ausstellung des Bonnefantenmuseums in Maastricht gesehen. Aber auch Gagosian in New York bietet sie an.

Niedlich, albern fand ich als Student 1961 die weiß0en Figürchen der Berliner Manufaktur, die mir der Direktor des Kölner Kunstgewerbemuseums bewundernd zeigte. Er schickte mich in das Märkische Museum in Berlin, um ihre fotografischen Vorlagen zu inventarisieren.

Das Kaiserreich China förderte von Gaoling aus zwei Produktlinien, die chinesische und die europäische (Porzellan = China). Diese Linie, die zahlreiche Schifffahrtslinien beschäftigte, schrumpfte, je mehr heimische Manufakturen den Markt übernahmen: Meissen, Wien, Sèvres, Chelsea. Berlin….. Die Sammelleidenschaft der Fürsten, Adligen, Großbürger und Bankiers wuchs so sehr, dass ihre Häuser sich von den Salons bis in die Küchen und Gärten mit Porzellanen füllten. Über der Regnitz in Bamberg zieren heute die Straßburger Fayencen und Meißener Porzellane der Sammlung Ludwig das prächtige Alte Rathaus.  So hat erst wieder die amerikanische pop art eine Epochenkultur in Europa beeinflusst. Das Empire der Französischen Revolution hat die Chinoiserie abgehlöst.

Kaum eines dieser europäischen Werke befindet sich in einem chinesischen Museum, sie werden dort, so neinte der Direktor des Keramions in Taipeh, für minderwertig neben den chinesischen Meisterwerken gehalten, Tischdekorationen, Gebrauchsgüter, durchaus nicht vergleichbar mit den kostbar geformten, glasierten, kolorierten Figurinen, die er mir zeigte.

Es war den europäischen Mächten nicht möglich, das chinesische Kaiserreich so zu kolonisieren wie afrikanische Königreiche. Da ihre kostbaren Bildgegenstände komplexer Rituale als Raubkunst nach Europa importiert wurden, wird es lange dauern, bis sie zurückgeführt in neue Museen ihrer Heimatländer als Zeugnisse einer eigenen Kulturgeschichte verinnerlicht werden.

Der taiwanesische Künstler trennte sich nicht gern von dem Schälchen, dessen Außénwand der Töpfer unordentlich mit Kreisen überzogen hat. Er hätte, so meinte er, ohne Ruhmsucht und Geldgier der Kunst ihre Freiheit erhalten.


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Seidenstraßenkunst

Seidenstraßenkunst – Eine Kalendergeschichte

1996 saß ein junger Mann in Peking vor der Nationalgalerie und bot an, eine Ansicht des HUANG  SHAN mit einem feinen Pinsel und schwarzer Tusche auf einen DIN-A 4 Karton in 15 Minuten zu malen –  für 5 US $. Alle kennen die Heiligen Berge und die Kunst der Tuschmalerei, und die ihm zuschauten, freuten sich, wie die Felsen und Bäume vor ihren Augen auf dem weißen Papier entstanden­.

In den Hallen des Museums standen sie dagegen unwissend vor den Werken der Sammlung Ludwig aus Europa und Amerika. 10 sehr große (180 x 230 cm) Linolschnitte von Jörg Immendorff kommentierte ein Mann, der sie überragte: Li Hong-tao, ein feiner, gebildeter Maler, dem der Ruf vorauseilte, nicht nur das Wesen von Kunstwerken zu erkennen, sondern in das Innere anderer Menschen zu sehen und ihre Krankheiten zu heilen. Das Kulturzentrum der Stadt hatte ihn eingeladen, die exotischen Arbeiten zu erklären. Was ist Linoleum? Womit schneidet man Linoleum? Wie groß muss eine Maschine sein, um solche Linolschnitte in 4 Farben zu drucken? Viele Werke dieser Ausstellung ließen erst am Ende die Antwort auf die Frage zu, was sie darstellten. Viel wichtiger erschien dem Publikum: wie waren sie hergestellt? Man kannte seit Jahrhunderten Papier, Tuschsteine und Pinsel, Holzschnitte und gerollte Bilder. Erst als sich China in den kriegerischen Wirren um 1900 dem Westen öffnete, wurden Ölfarben inTuben bekannt. Li Hong-tao war ein Ölfarben-Maler und wünschte sich, seine Bilder neben Ölbildern europäischer Maler zeigen zu können.

Ein Gast des Pekinger Goethe-Institut besuchte das Atelier von Li Hong-tao und vermisste dort alles, was er für chinesisch hielt: die feine kalligrafische Tuschmalerei, die Gegenständlichkeit; stattdessen zeigte ihm der Maler sein neuestes Bild: seinen groben Auftrag von Ölfarben von der Palette, ihre Mischung zu klumpigen Formen, eine kartografische Komposition; in der er Europa am Beginn des Holozäns zu entdecken meinte, als die Landmassen der Kontinente und Inseln aus dem tiefen Atlantik wie Felsen hervorragten. Besser konnte der chinesische Maler sich nicht verstecken: jeder Betrachter des Bildes konnte das chinesische Meer in dieser Landkarte suchen oder annehmen, der Maler lebe in Europa – wie Zao Wou–ki in Paris.

Es gibt  wahrscheinlich weniger europäische Fälscher chinesischer Meisterwerke als chinesische, die Bilder von Van Gogh, Monet oder Matisse in großer Zahl kopieren. Der Kunstmarkt der kleinen Preise nutzt die Seidenstraße gern. Li Hong-tao ist kein Fälscher, aber er nimmt gern in Kauf, für einen Exoten der Ecole de Paris gehalten zu werden – so wie Zao Wou-ki oder die Araberin Far El Nissa Zeid.

Der junge Maler der Heiligen Berge vor der Nationalgalerie begleitete den Gast des Goetheinstituts in die Kunstakademie. Die Studenten fragten ihn über den deutsche Künstler Mas-Dew -iiz aus. Sie meinten Baselitz.