Beckeraachen

Kunstwechsel


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Fotos lesen – B.+ M. Leisgen

F O T O S   L E S E N   – BARBARA UND MICHAEL LEISGEN

„Das Lesen aus den Wolken, den Steinen, der Sonne, den Bergen und den Tänzen ist ein Lesen jenseits der Sprache“ so schrieb das Künstlerpaar in seinem Katalog der Neuen Galerie 1974 und meinte mit Lesen: Fotografieren. Künstlerpaare waren damals so selten wie Künstler, die nicht gemalte, gezeichnete, gedruckte, sondern fotografische Bilder herstellten und das Atelier durch das Fotolabor ersetzten. Barbara und Michael waren aufeinander angewiesen:  sie posierte, er fotografierte – schwarz-weiße Kleinbildnegative. Er lenkte sie, die Rückenfigur, sie blickte in das Bild der Landschaft und suchte sich darin einen Ort. So entstanden auf den sanften Höhen der Eifel „25 Versuche über den Horizont zu springen“ und eine große Gruppe von Einzelwerken, in denen Barbara ihren Körper in die Umrisslinien der Hügellandschaft und des Himmels einschrieb. Wo Menschen den Verlust, die Gefährdung der Natur fürchten, fanden Barbara und Michael Leisgen im fotografischen Medium früh Bilder der sehnenden Betrachtung, der Meditation, der Einswerdung.

Die sennende Betrachtung, die die deutsche Romantik und Maler wie Caspar David Friedrich auszeichnet, hat die Fotografen Barbara und Michael Leisgen schon in den 70er Jahren zur Sonne geführt, zu der schwierigen Aufgabe, mit der schnell bewegten geöffneten Kamera Sonnenlicht zu schreiben, Schriftzüge, Buchstaben, ja Worte zu artikulieren. Die Wendung zum altägyptischen Sonnengott RE inspirierte sie zu „Ägyptischen Wänden“, zum „Alphabet der Sonne“ und zu dem 24-teiligen Werk der „Apokalypse“. Das Medium der Fotografie drohte, in den zuweilen mit ausgestopften Vögeln inszenierten Zyklen seinen Eigenwert zu verlieren. Wo die Sonne sozusagen die Sprache der Menschen annimmt, verliert sich der Sinn der Mimesis.

1977 zeigten Barbara und Michael Leisgen ihre Arbeiten in der Kasseler documenta und trugen dazu bei, dass die Fotografie als eines der künstlerischen Medien respektiert wurde. Seitdem haben sie an vielen Ausstellungen in Europa und Amerika teilgenommen. Es versteht sich, dass sie dort, wo die Fotografie erfunden und entwickelt wurde, in Frankreich eine besondere Wirkungsgeschichte haben. Barbara lehrte an der Ecole des Beaux Arts in Paris. Sie starb 2017. Michael erhält das künstlerische Erbe in Aachen.

GESCHENKT – GESAMMELT von Wolfgang Becker. FOTOS AACHENER KÜNTLER  1975-2018 im STADTBAD AACHEN am Blücherplatz 12.9. – 13. 10. 2019

Abb. Wolke, 1972

 

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Schnappschüsse

S C H N A P P S C H Ü S S E – Hans Martin Küsters

Den Fotografen Hans Martin Küsters traf man bei öffentlichen Ereignissen aller Art – Kirmes, Schützenfeste, Karneval, Stammtische – ohne Prominenz in Aachen und um Aachen herum in Gasthäusern und Festzelten, und weil niemand ihn um ein Foto bat, merkte auch keiner auf, wenn er fotografiert wurde. Küsters hatte den Beruf eines Sonderschullehrers und den Kopf eines kritischen Philosophen. Seine Fotos sollten Betrachtungsweisen, die er in langen Nächten vortrug, untermauern – so die „Ambivalenz zwischen normiertem und individuellem Verhalten insofern, als Menschen dazu neigen, sich so sehr in Formen zu organisieren, dass die Natürlichkeit verlorengeht.“ (Küsters im Katalog der Neuen Galerie1979). Seine Fotos stießen schnell auf ein deutsches Interesse an Selbstbespiegelungen (Wer sind wir nach Krieg und Entnazifizierung?). Schon 1977 prämiierte ihn der Kunstverein Hamburg in einem Wettbewerb „Arbeit und Freizeit“, und Bücher, in denen seine Fotos erschienen, hießen „Ordnung, Eintracht, Frohsinn“ und „Schöne neue BRD?“ Sein soziales Engagement, das die Kleinbildkamera führte, war das eines Leidenden, und so gelangen ihm Schnappschüsse, die noch heute den Betrachter anspringen – Fixierungen „normierten Verhaltens“, spontane Satiren. Die Bildtitel sind meistens Ortsnamen – Xanten, Kerkrade, Würselen, Herzogenrath – und weisen den Autor als Grenzgänger im Westen des Rheinlandes aus. Aber nicht den Orten, sondern den Bürgern in ihren Wohnungen (Weihnachten) und Gaststätten (Karneval) widmete er seine ganze Aufmerksamkeit, und er liebte sie nicht, wenn er auf den Auslöser drückte, er litt mit ihnen an dem „Verlust der Natürlichkeit“, den er beobachtete.

Auch seine Bilder wird die Ausstellung zeigen GESCHENKT GESAMMELT von Wolfgang Becker. FOTOS AACHENER KÜNSTLER 1975-2018 im STADTBAD AACHEN am Blücherplatz 12.9. – 13. 10. 2019

Abb. Kerkrade, 1980

 

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Fotos von Bildhauern

F O T O S   V O N   B I L D H A U E R N   –   W O L F G A N G   N E S T L E R

 

Der Bildhauer sieht Räume, der Fotograf Flächen. Der fotografierende Bildhauer wird Objekte suchen, die sich ihren Raum auf der Fläche der Projektionen erhalten.   Constantin Brancusi war so besorgt um seine Skulpturen in Fotografien, dass er nur seine eigenen Fotos von ihnen für angemessen hielt. Seine Kleinbildkamera sei mittelmäßig, und für die Vergrößerungen seiner Schwarz-Weiß-Aufnahmen verwende er billiges Fotopapier, sagt der Bildhauer Wolfgang Nestler. Unter den Fotos, die er mir zurückgelassen hat, zeigt nur eins eine seiner Skulpturen inmitten einer Hochebene der Eifel. Dort, in Kalterherberg, hat er sich ein altes Fachwerkhaus neu gebaut und seinen Lehrer Erwin Heerich in Düsseldorf gebeten, ihm ein Atelier zu entwerfen. Und dort ist er mit seiner Kamera gewandert.

Nestler ist immer Kräften, Energien nachgegangen, die sanft sichtbar werden – in einem Eisendraht im geöffneten Kreis an der Wand, der sich langsam senkt, an einer senkrechten Stange, die sich drehend einer Windfahne folgt – Gravitation, Ponderation, still beobachtet, kaum gelenkt; es versteht sich, dass der Spaziergänger in der Eifel die monumentalen historischen Hecken in den Dörfern entdeckte, die wie blockhafte Skulpturen zugeschnitten sind, und diese neuen Abflussbecken, -wannen und -teppiche aus unzähligen 6-eckigen Betonziegeln, die sich den Wellen der kargen Hügel anschmiegen. Sie alle bieten Blicke in große Räume und erzählen von Wind, Regen und plätscherndem Wasser.

Diese Fotos sind vor 50 Jahren entstanden, wir haben sie 1981 in der Neuen Galerie ausgestellt – mit einem eigenen Katalog in einer Reihe, die mit   Barbara und Michael Leisgen begann und 1983 mit dem „Song of Joy“ von Wilhelm Schürmann und Martin Kippenberger endete. 1977 hatte die Kasseler documenta zum ersten Mal Fotografien in ihr Programm aufgenommen, in Aachen war mi dem „Lichttropfen“ die 1. Fotogalerie entstanden. Die Kunstwelt hatte sich entschlossen, die Fotografie ernst zu nehmen. In der Neuen Galerie hingen die gemalten „Eifellandschaften“ von Gerhard Richter, die wie Fotos aussahen, in den Fotos der Leisgens öffnete die Rückenfigur Barbaras den Blick auf die Höhen der Eifel, und in der Ausstellung Wolfgang Nestlers  erkannten Besucher die Becken in Titz und die Hecken in Kalterherberg. Inmitten einer internationalen Welt von Künstlern begegnete ich dem schwierigen Wort Heimat.

 

Er fotografierte Alltagsgegenstände, die ihn in der Eifel umgaben, so, als wären sie Skulpturen, er sah sie als Bildhauer und hatte kein anderes Interesse, als ihnen in seiner Bildhauerfantasie einen Wohnort zu schaffen.

 

Verspannungen und Tore, Fontaine-Lavaganne (Frankreich) und Dedenborn (Eifel), 1976

Auffangbecken Titz, 1977

Hecken am Messeweg Kalterherberg, 1979

 

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ZEN und die Fotografie

Z E N   U N D   D I E   F O T O G R A F I E – P E T E R   H E L M

„ZEN in der Kunst der Fotografie“ hieß das Büchlein (44 Seiten) des amerikanischen Autors Robert Leverant, das seit seiner Erstauflage 1969 5x wieder aufgelegt wurde und dessen deutsche Fassung von Peter Helm 1981im Verlag Pusteblume in Aachen erschien (2. Auflage 1986). (2014 förderte amazon eine überarbeitete Neuauflage.) In jener „Wendezeit“ des „New Age“, in der Fritjof Capra die Geistigkeit des TAO in der Quantenphysik suchte, wurde die Fotografie ein Medium, die Welt anders zu sehen als die Massenmedien und eine andere Welt zu sehen als die, die uns umgibt. Bevor sich Peter Helm an der Ausstellung der Neuen Galerie beteiligte, hatte er 1982 einen kleinen Band mit Bildern von Leverant, Heiner Ix, Helmut Retsch und Harald Rumpf herausgegeben und zeigte in der großen Gruppenausstellung Bilder fließenden Wassers. 2014 erschien sein letztes Buch „Fließendes Licht – Flowing Light“.

Wo immer Vorstellungen des ZEN-Buddhismus in der zeitgenössischen Fotografie erscheinen, sind sie Teil einer entschleunigten Betrachtung der Welt und einer umfassenden Hinwendung zur Natur. Fotografinnen wie Jana Mänz und Beatrix Rautenberg fordern entschleunigtes Sehen, eine bescheidene Ausrüstung, Ruhe und Leere, unspektakuläre Motive, eine Leichtigkeit, die Kontemplation und Meditation vermitteln. Peter Helms große Bilder des bewegten Wassers des Bodensees (er lebt in Konstanz) laden zu solchen Betrachtungen ein.

 

 

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fluxus Foto

F L U X U S   F O T O

Warum finde ich eine Tube Ölfarbe Marke Van Gogh auf dem weiß gefärbten Gesicht eines Maori aus Papua-Neuguinea? Mein Gehirn quietscht: es knüpft extravagante Assoziationsketten. Karl von Monschau freut sich. Warum heißt er so, obwohl er kein Adliger ist?  Als ich 1972 ihm und seinem Freund Michel de Witte in der neuen Neuen Galerie eine Studioausstellung organisierte, dekorierte er Schaufenster am Dahmengraben und brauchte den „Kunstabfall“, den das Museum wegwarf. Der Schlachtruf der Avantgardekünstler hieß seit den 60er Jahren FLUXUS; und Karl von Monschau war von Anfang an ein fluxus-Künstler, der allein oder mit anderen in allen Bereichen kreativen Verhaltens KUNST herstellte: Kunst in Galerien, Automaten, Vereinen, Objekten, bemalten Papieren oder Tüchern, in Büros für Kunstaffären – Kunst als Grundnahrungsmittel wie Couscous für die Araber und Bulgur für die Türken. BULGUR nannte er 2014 eine Gruppe von Fotos, die Objekte aus seinem Atelier im türkischen Viertel Aachens auf den Seiten eines großformatigen Buches zeigten. Der Bildband eines italienischen Fotografen führte in Nahaufnahmen Eingeborene in Papua-Neuguinea im Alltag oder in festlicher Bemalung vor. Die pathetische Farbigkeit der Fotos überblendete die ethnografische Information. So genierte sich Karl von Monschau nicht, auf die Figuren spielerisch Pinsel, Scheren, Zangen, Orangen und Plaketten zu legen und die Bilder noch einmal zu fotografieren – zwei Welten, ganz nahsichtig gegeneinander betrachtet, die nicht ferner voneinander sein konnten. Acht von diesen Fotomontagen hat er mir geschenkt, als wir die Serie 2014 im KUNSTWECHSEL ausstellten. Er nennt sie Semi-Appropriationen, weil nur die Hälfte der Bilder, die obere, seine eigene ist. Sie sind Teil der Ausstellung GESCHENKT – GESAMMELT. Fotis Aachener Künstler 1975-2018. STADTBAD AACHEN 12.9.-13.10.2019

Abb. Karl von Monschau Serie BULGUR, Semi-Appropriation, 2014, Digitaldruck

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Aachen – Land

„A A C H E N   L A N D“

Ich lernte Dieter Kaspari als Sänger der Rockband TRUSS im Ballsaal der Neuen Galerie kennen. Er arbeitete schon damals als Werbefotograf, hatte sich aber noch nicht angewöhnt, seine Fotos für kunstwürdig zu halten – wie viele andere auch, die sich wunderten, dass die berühmte Großausstellung documenta in Kassel 1977 zum ersten Mal Fotografien ausstellte. Eine der letzten Ausstellungen der Neuen Galerie widmete ich den „Eifelmalern“; Dietmar Sous schrieb ein Vorwort „Aachen-Land (50er Jahre – 1972), und Gerhard Fehl kommentierte die Fotos von Dieter Kaspari-Küffen: „Zeitzeugen – Merkzeichen). Da sah ich sie zum ersten Mal – Zeugnisse der Industriekultur der Aachener Region ohne Ortsangaben, Dokumente einer vergangenen Epoche, Bilder einer Zivilisation, die seltsam, fremd anmutet. Und ich entdeckte Dieter Kaspari, den Fotografen. Seine Wanderausstellungen „Mit Wasser und Dampf“ 1991 und „Umbau statt Abriss“ 1995 mit Fotos aus der Rheinischen Industrielandschaft zeigten, wie gründlich er sich seine Heimat angeeignet hatte. Den „Eifelmalern“ war diese Nachbarschaft in ihrer Ausstellung gerade recht, und doch hätte keiner der Beteiligten die Fotos ebenso als Kunstwerke verstanden wie die Gemälde von Hartmut Ritzerfeld, Win Braun, Emil Sorge und den anderen. Langsam, mit historischem Abstand gewinnen sie eine geistige Dimension, die sie wertvoll macht. Gern fügt Kaspari heute die Bildtitel hinzu; sie selbst entfalten eine Poesie: Kleine Grotte in Widau, Kalkofen im Frankenwäldchen, Reichsabtei Kornelimünster, Gut Reichenstein, Hermeshammer in Hammer……..Der Fotograf teilt seine Heimatliebe mit dem Sänger, der seine Botschaften Aachen widmet.

 

 

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Fotos von Fotos

F O T O S   VON   F O T O S

Zu den Fotografen, die seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts über Aachen hinaus bekannt geworden sind, gehört Wilhelm Schürmann, damals, als ich ihn kennen lernte, Chemiestudent der RWTH, Gründer der Fotogalerie LICHTTROPFEN und Dozent für Fotografie im Institut für Architektur und im Fachbereich Design der Fachhochschule. Nur kurz hat er für eine Aachener Tageszeitung gearbeitet, lang, bis heute, frei. 1976 habe ich ihn mit Anne Gold und Klaus Herzog in der Neuen Galerie ausgestellt, Bilder aus Pennsylvania (USA), England, Holland, Belgien und Aachen. Damals fragte ich ihn:

„In Ihren Dokumentarfotografien erscheinen Pointen oder Gags, die durch Worte, Schriftzeichen oder im Bild zitierte Bilder erzeugt werden. Darin äußert sich ein trockener Humor (…)?“ Er antwortete: „Wahrscheinlich ist das sehr persönlich durch meine Herkunft aus dem Ruhrgebiet und einen nüchternen, kühlen Charakter bedingt. Mich reizen diese Bemalungen auf Kirmesbauten und die Komik der belgischen Hausfassaden.“

Diese trockenen Schwarz-Weiß-Bilder kurioser Hausfassaden machten ihn damals bekannt. Aber jetzt, als wir über ein Revival dieser Geburtsstunde der Aachener Fotoszene sprachen, interessierte ihn mehr noch, an die Ausstellung „Song of Joy“ 1983 zu erinnern, die er mit dem Maler Martin Kippenberger, ebenso aus dem Ruhrpott, in der Neuen Galerie inszeniert hat: „Gemalte Bilder“ „Fotografierte Bilder“: der 1. Auftritt des ausschweifenden, zotigen, unflätigen Malers „besser ein lebendes Komma als ein toter Punkt“, der – sozusagen – den Fotografen zu einem der mutigsten Sammler zeitgenössischer Kunst in Deutschland machte. 1980 hatte ich einer Gruppenausstellung den Titel „Die Neuen Wilden“ gegeben, 1981 nahm Kippenberger an der „Rundschau Deutschland“ in Köln teil, in der die neue Malergeneration sich versammelte.  Schürmann holte ihn nach Aachen.

Schürmann war sicher nicht der einzige, der werbende Bilder und Schriften im öffentlichen Raum fotografierte, aber in „Song of Joy“  suchte er den Dialog mit dem Maler, indem er farbige anonyme, öffentliche Bilder so aufnahm, dass sie das Foto bis an den Rand füllten; und er rahmte sie dunkelfarbig wie Gemälde. So wurde diese Werbung für ein Protein-Müsli zum schnellen Abnehmen zu einem Rückenakt, der in seiner gedrängten Fülle den Rahmen seines Bildes zu sprengen droht – aus der „Küchensprache“ stammt das Wort FARCE, das ein Zitat von Roland Barthes im Katalog benutzt, um die „höhnische Verdoppelung“ der Aussage zu charakterisieren. Drei dieser „Farcen“ wird die Ausstellung GESCHENKT – GERSAMMELT von Wolfgang Becker. FOTOD AACHENER KÜNSTLER 1974-2018 im STADTBAD AACHEN zeigen 12. September – 13. Oktober 2019.

 

 

 

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Der Rhein

Fotografien von Aachener Künstlers 1975-2018 GESCHENKT – GESAMMELT von Wolfgang Becker ist eine Ausstellung, die das STADTBAD AACHEN zeigen wird 12.9. – 13. 10. 2019. Wolfgang von Contzen ist einer von denen, die 1981 ihre ersten Fotos in der Neuen Galerie vorstellten. Er bekannte im Katalog, ihn interessierten „Aktivität, Verkehr, Leben, Arbeit, Schmutz, Hast, Vergnügen, Höhen, Tiefen, Kinos, Kaufhäuser….. Der Wahnsinn ist, in einem Sekundenbruchteil ein Bild machen zu können, auf dem mehr passiert und zu sehen ist, als im Augenblick der Aufnahmen vom Auge wahrgenommen werden kann.“  Das merkwürdigste Foto, das er jetzt wieder auszustellen bereit ist, zeigt nicht städtisches Leben, sondern blickt in ein Parkstück bei Vaals; es zeigt wirklich mehr, als der Fotograf gesehen hat. Wie seine Kollegen hat von Contzen an der RWTH studiert. Er wurde Berufsfotograf, und wer heute sein Lebenswerk in flickr überschaut, ist überwältigt von Themengruppen wie ENTROPIE und den Abraumhalden der Kohleindustrie. Er hat sich in den letzten Jahren nicht gescheut, farbig zu fotografieren, und den Rhein von der Quelle bis zur Mündung mit der Großbildkamera in einer faszinierenden Folge von über 100 Farbaufnahmen porträtiert – eine eigenbrötlerische Leistung, die sich gegen das stellt, was die aktuelle Gesellschaft braucht („Aktivität, Verkehr, Leben, Arbeit, Schmutz, Hast…“) und in eine überaus verkitschte Schicht der nationalen Romantik abtaucht – altmodisch analog, feine Abzüge in kleinen Formaten, Passepartouts und Rahmen. Und von Contzen bekennt sich augenzwinkernd zu einer Liebe, die ihn selbst in seine Kindheit zurückführt. Drei dieser Rheinansichten stellt er jetzt aus und schreibt dazu:

„Bacharach“, 2002: ein Bild mit Miniaturweltcharakter. De Szene erlebte ich wie ein Zeitfenster in die 50er oder 60er Jahre, ich dachte an die Miniaturwelten der Märklin-Eisenbahnen, mit denen wir damals spielten. Ausschnitt und Perspektive sind so gewählt, dass das realistische Abbild – falls es so etwas gibt – vom virtuellen, vorgestellten, konzipierten überdeckt ist.

Die beiden anderen Rheinbilder zeigen Hauptanziehungspunkte der frühen Rheintouristen im 18. 19. Jahrhundert, die auch Motive der reisenden Künstler und der sich breit machenden Rheinromantik waren Die Lorelei also im Hintergrund eines Doppelportraits von Rheintouristen, bunte Fähnchen im Wind….

Die Pfalz bei Kaub, eines der Großelemente der Rheinromantik in der dreifach wiederholten Form eines Bootes. der Maler auf dem Deck, eine alltägliche Genreszene, wie sie auch der von mir geschätzte Hokusai in seinen Fuji-Holzschnitten verwendete.

Ein grünes Boot grün zu streichen birgt auch eine leichte Ironie, wenn man die Handlung ganz für sich betrachtet.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Bilderstreit?

70ER J AHRE:

EIN    STREIT IN AACHEN:

I S T   F O T O G R A F I E   K U N S T ?

 

Die documenta 6 in Kassel hat 1977 die Fotografie in die Bildgattungen aufgenommen, die wir gläubig zur Kunst zählen; und sie mit der Retrospektive „150 Jahre Fotografie“ „geadelt“. Die Fotokünstler Barbara und Michael Leisgen aus Aachen nahmen an der documenta teil.  Drei Jahre zuvor hatte ich in der Neuen Galerie ihre Fotoarbeiten vorgestellt. Der Bildhauer Wolfgang Nestler fotografierte in Kalterherberg die beschnittenen Hecken, die die Häuser schützten, als wären sie Skulpturen. Aber nicht nur die Künstler, die das Medium Fotografie benutzten, auch die Fotografen, die „Lichtbildner“, die Dokumentalisten, Berufs- und Amateurfotografen meldeten sich: Anne Gold, Klaus Herzog, Wilhelm Schürmann, Herbert Albert, Hans Martin Küsters, Peter Helm, Heiner Ix, Irmel Kamp, Hans Laven, Algirdas Milleris, Ales Sobota, Mahmut Telfah und Wolfgang von Contzen. Der Fotograf Wilhelm Schürmann und der Maler Martin Kippenberger inszenierten 1983 in der Galerie eine provokante Synthese ihrer Medien mit dem Katalog „Song of Joy“. Er widerspiegelt die Verwirrung, die die zeitgenössische Kunstwelt zwischen Bildkunst und Fotografie beherrschte: „Kippenberger und Schürmann führen uns ihre Medien im Zustand von Erdbeben vor, in dem Glaubwürdigkeit durch Ungläubigkeit, Unsicherheit und Angst ersetzt ist.“ (Zitat aus dem Katalog)

 

Damals ist die Aachener Fotografen-„Szene“ vorwiegend aus Studenten der RWTH entstanden;  Privatgalerien wie Schürmanns und Kickens „Lichttropfen“ und „Medium A“ haben sie nachhaltig gefördert; und sogar der Rat der Stadt beschloss 1979, die „neue Kunst“ durch die Vergabe von Stipendien zu ermutigen (Albert, Küsters, Schürmann). Schürmann gehörte zu denen, die nach Fotografen der fruchtbaren 30er Jahre forschten. In Prag entdeckte er Josef Sudek. Der Kunstmarkt öffnete sich begierig dem neuen, alten Medium.

Aber war ein Abzug eines Negativs auf Fotopapier so viel wert wie eine originale Zeichnung, wenn der Autor das Negativ zerstörte – wie Klaus Herzog?  Wilhelm Schürmann widersprach: es sei die Eigenart des Fotos, dass es vervielfältigt auftrat, und im Übrigen sei jeder Abzug von dem vorigen ohnehin unterschieden. Erst die Digitalisierung hat den Streit beendet: das Original ist eine Datei, der Abzug ein Druck – auf einem Papier, wie es für den Druck von Zeichnungen verwendet wird. Abzüge auf Fotopapier werden Raritäten und können sehr teuer sein.

Im STADTBAD am Blücherplatz in Aachen eröffne ich am 12. September eine Ausstellung mit Fotos Aachener Fotografen 1970-2018. Einige werde ich hier vorstellen.

Abb. Wilhelm Schürmann „Dickes Kind“ 1982

 

 

 


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Verstümmelte Fotos

V E R S T Ü M M E L T E   F O T O S

COMING HOME, das Meisterwerk von Zhang Yimou 2014, stellt die junge Ballerina Dandan vor, die während der Kulturrevolution im „Roten Frauenbataillon“ die Rolle des Generals anstrebt, jedoch entlassen wird, als ihr Vater nach 10 Jahren aus einem Arbeitslager ausbricht. Wütend, ihre Karriere dadurch zerstört zu sehen, schneidet sie aus allen Fotos in den Alben ihrer Familie den Vater aus und nimmt der Mutter die Möglichkeit, sich an ihn zu erinnern. Langsam erkennt sie, damit an der Tragik der Ehe schuldig zu sein.

In den Fotoalben, die mir erhalten sind, stecken die kleinen Fotos – Box, später Rollei 4×4, dann 6×6, dann Praktika) in transparenten Klebeecken und sind häufig beschriftet. Zuweilen sind nur die Klebeecken erhalten, und ich versuche zu erraten, warum dieses oder jenes Foto von wem herausgenommen worden ist. Aber kein Foto ist verstümmelt, keine Person ist übermalt. Häufig bin ich mit meiner Mutter zu sehen. Sie hat nie fotografiert. Der Fotoapparat gehörte meinem Vater. Bis ich eine eigenen hatte, durfte ich ihn benutzen.

Feng Wanyu, die Mutter, wird ihrer Tochter nie die zerschnittenen Fotos verzeihen. Der Zerstörungsakt ist mehr als eine private damnatio memoriae, wie sie im öffentlichen politischen Raum seit der Antike bekannt ist – von den Verstümmelungen der Gesichter von Götter- und Kaiserstaturen bis zu den Retouchen, in denen Leonid Trotzki aus Gruppenfotos mit Lenin verschwindet. Denn die Erinnerungslücke, die dort entsteht, stellt der Film als eine überaus reale, eine traumatisch verstärkte vor, die zu überwinden dem Vater nur in Briefen gelingt.

Eine Variante der Bildzerstörung, privat und öffentlich zugleich, bietet Richard Hamilton, der 1965 das Glück hatte, den Kontaktbogen eines photo shooting von Marilyn Monroe verarbeiten zu können. Die public person bestimmt energisch, wie sie öffentlich erscheinen will. Solche Geschichten gehören dem Fotoabzug auf Papier. Apps werden heute sogar erlauben, gelöschte Bildausschnitte auf dem Schirm aus dem Papierkorb zurückzuholen.  Abb. Richard Hamilton Marilyn 1965 Sammlung Ludwig, Köln, Museum Ludwig

Hamilton Marylin