Beckeraachen

Kunstwechsel


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Eismänner

Eismänner

Eine Kalendergeschichte

im großen Geviert einer zehnstöckigen Siedlung sind die ersten Männer am frühen Morgen auf die Balkons ihrer Wohnungen getreten. Es hat geschneit. Es ist kalt. Sie sind nackt. Die in die Morgensonne blinzeln, spüren ihre Wärme – Hyperthermie. Die im Schatten stehen, zittern in der Kälte – Hypothermie. Ihre Kinder und Frauen drücken die Nasen auf die Schneekristalle an den Fensterscheiben. Sie sind stolz auf die Väter. Die Männer bereiten die Arme aus, stoßen lange Luftfontänen aus, saugen sie in ihre Lungen zurück und zählen laut, so lange sie können. Alle, auch die in der Sonne, stehen fest auf beiden Füßen und schauen in den Kosmos. Selten begegnen sich ihr Augen. Tadelnd bemerken sie Vakanzen. Wieder hat sich einer erkältet. Die Balkons der Sonnenseite leeren sich schneller, die Atemluft erwärmt sich, ihre therapeutische Wirkung lässt nach. Diese Männer legen sich in den Wohnungen zwischen zwei Kissen, die mit heißem Wasser gefüllt sind, und unter Infrarotstrahler, die dazu beitragen, ihre Körpertemperatur schnell auf 45° zu erhöhen. Die der Schattenseite setzen ihre Atemübungen fort, bis ihre Bronchien knirschen und ihre Lungen eine Temperatur von -10° erreichen.

Es hat damit angefangen, dass einer die Bücher von Wim Hof anbot, in denen Empfehlungen der Hypo- und Hyperthermie für andauernde Gesundheit und ein langes Leben ausgebreitet sind. Jetzt, da eine Epidemie die Menschen zwingt, zu Hause zu bleiben, unterhält sie eine distanzierte Gemeinschaft von Verschworenen. Auf der Wiese unter den Balkons haben jetzt Frauen damit begonnen.

Am Abend zünden alle Kerzen auf ihren Balkons an und stellen Kofferradios neben sie, aus denen eine sanfte Männerstimme über das Leben nach dem Tod spricht. Die Siedlung gehört mittlerweile einer religiösen Genossenschaft, an der alle Bewohner beteiligt sind.


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Kunst im Rathaus

K U N S T   I M   R A T H A U S

54. Kalendergeschichte

Pardon. Corona schafft Zeit für unwichtige, aber bedeutungsvolle Gedanken.

Vor 30 Jahren war der Neuseeländer Peter Robinson an einer Ausstellung im Aachener Ludwig Forum beteiligt und hinterließ mir ein Bild auf einer Schranktür über „Bad Aachen“. Er verstand nicht, dass wir Aachen „bad“ finden. 2013 benutzte ich das Bild für eine Ausstellung über die heißen Quellen. Wir telefonierten: ob ich Marie-Helene Delemolle kenne, fragte er. Sie sei  ein Jahr in Neuseeland gewesen, habe sich mit „frommen“ Bildern über Marien und Engel im Stil der italienischen Renaissance bekannt gemacht, sei das Thema leid und habe hier die ALL BLACKS entdeckt, die Rugby-Nationalmannschaft, Weltmeister zuletzt 2011, die ihr in den schwarzen Trikots mit dem weißen Farnblatt (für sie Engelsflügel) Alternativen zu den weißen Engeln der Renaissance boten. Der Ritualtanz HAKA der Maori, der jedem Spiel vorangeht, habe sie begeistert.. In Düsseldorf hätte sie mit Kunststudenten Rugby geübt, und schon ihre Großväter seien in Südfrankreich Rugbyspieler gewesen. Robinson, der sich selbst als zehnprozentigen Maori betrachtet, war überrascht und hat ihr geholfen, Zugang zu dem Trainingslager der All Blacks in dem abgelegenen Küstenort Ruatoria zu erhalten.

 Marie-Helene Delemolle, 1961 geboren in Cannes, hat in den 80er Jahren an der Ecole des Beaux-Arts in Bourges studiert, bevor sie 1990/91 Künstlerwohnung und Werkstatt des neu eröffneten Ludwig Forums mit einem Stipendium des deutsch-französischen Jugendwerkes nutzte. Aus einer Ausstellung jener Bilder aus Bourges, die Robinson „fromm“ nannte, die sie in Aachen ergänzte, sehr abstrakt und vorzugsweise in feierlich glatten roten und goldenen Farbfeldern komponiert, hat sie ieinige verkauft, es heißt sogar, eines an Peter Ludwig, der es der städtischen Sammlung geschenkt hat.  Dieses Bild hängt nun im Aachener Rathaus.

Marie-Hélène Delmolle zog nach Düsseldorf in die Klaus-Rinke-Klasse der Akademie und arbeitete 1998 bis 2001 dort im Französischen Kulturinstitut. Hier endet ihr „frommes“ Oeuvre. Sie lernte unter dem Kommilitonen eine Rugby-Gruppe kennen, deren Übungen und Spiele sie fotografierte. Sie sahen Filme von der neuseeländischen Nationalmannschaft als Weltmeiste. Sie reiste nach Neruseeland, um die Gruppe der ALL BLACKS kennezulernen.. Im Mai 2002 erzählte sie dort der Zeitung NEWS 24, dass sie die Rugby-Bilder, die jrtzt entstanden seien, in Pessac bei Bordeaux anlässlich eines Rugby-Fetivals im September ausstellen wolle. Sie schloss nicht aus, danach zurückzukehren. Tatsächlich finden wir sie 2003 in einer großen Gruppenausstellung südfranzösischer Künstler im Pariser Hotel de Ville wieder „Au delà du Sport L´Art Emmêlé“ und im Festival der „Rencontres Ovales“. „Le Site des Arts et du Rugby“. In die Ankündigung sind drei ihrer Bilder eingetragen, die Rugby-Spieler in schnellen Bewegungen als schwarze Silhouetten auf dem grünen Feld zeigen.

Die Gruppe der „frommen“ Bilder, die die Aachener geschätzt haben, sind Zeugnisse einer Versenkung der Künstlerin in die Frömmigkeit der Frührenaissance, die wir in Bildern von Frau Angelico bewundern. Der „Atem des Engels“ (so heißt das schöne Bild im Aachener Rathaus) schwebt unsichtbar zwischen den beiden „ Heiligen Köpfen“. Die Konversion der Künstlerin zu den schwarzen Engeln der All Black Rugby-Spieler konnte nicht dramatischer sein.

Warum nun dieses Frühwerk einer französischen Künstlerin aus Pessac Im Aachener Rathaus hängt, wird eine Schrifttafel erklären, die es ergänzt.  Moge der Atem des Engels alle berühren, die hier arbeiten.


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Genie ohne Talent Robert Filiou

Ein Glückwunsch zum Geburtstag

Robert Filiou – Genie ohne Talent

53. Kalendergescichte

Der 17. Januar, an dem die Kunst 1.000.057 Jahre alt wird, ist natürlich sein Geburtstag. Unter allen Künstlern, die ich kenne, ist er der Philosoph, Hauskaplan der „république géniale“, Franzose, der in Korea, Ägypten und Amerika gelebt hat, bevor er die Fluxus-Nester in Düsseldorf, Berlin und Kopenhagen entdeckte, das „Genie ohne Talent“, unfähig zu malen und zu modellieren, fähig, eine Fülle von Botschaften zu produzieren – in Reden, Filmen, Videos, Postkarten, bedruckten Spiegeln….. Als ich die Eröffnung der Neuen Galerie in Aachen vorbereitete, trafen wir uns in Kopenhagen bei dem fluxus-Künstler Addi Köpke. Auch er hatte wie Filiou 1964 am 20. Juli an dem großen Kunstfestival in der Aula der RWTH Aachen teilgenommen. Filiou entwickelte das Projekt COMMEMOR – Commision mixte des monuments aux morts als eine Aktion zwischen Aachen, Lüttich und Maastricht, die in der Neuen Galerie ihr Zentrum hätte. Wir schwärmten aus und fotografierten Kriegerdenkmäler in der Grenzregion, organisierten Pressekonferenzen und Versammlungen in den Universitäten der Nachbarstädte. Holländische Soldaten boten Lastwagen ihrer technischen Dienste an, um Denkmäler zu transportieren; die Lütticher Zeitungen warfen Filiou Missachtung der Kriegsveteranen vor; die Rheinländer begriffen die Aktion als Kunstwerk. Kunstwerke zeigte die Neue Galerie in der Ausstellung COMEMOR1970. Sie waren als solche schwer zu erkennen, denn sie bestanden nur aus Kistenbrettern, die mit Nägeln, Drähten und schlagwortartigen Texten wie „Pfeil zeigt durch die Decke zum Himmel“ und „Pfeil zeigt durch den Boden in die Erde“ besetzt waren. Peter Ludwig hat drei dieser Arbeiten erworben. Alle liebten den immer lächelnden „Heiligen“ und seine dänische Frau Marianne. Zuletzt traf ich sie bei der Verleihung des Kurt-Schwitters-Preises in Hannover 1982, da erschienen sie in weiten weißen Kleidern. Sie waren nun Mönche und Nonne in 2 buddhistischen Klöstern in Südfrankreich.

Er schrieb und lehrte, komponierte und skizierte: künstlerische Arbeit war nicht Teil seines Lebens, sondern sein Leben selbst. Wir lasen damals – wie die Situationisten in Paris oder die Wiener um Wilhelm Reich, wie Adorno und Marcuse, „Le Nouveau Monde Amoureux“ des Sozialutopisten und Feministen Charles Fourier aus dem frühen 19. Jahrhundert und fanden es großartig, dass er in einem Gewächshaus lebte.    


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Die Kunstsammler

52. Kalendergeschichte

 ZUM 1.000.057. GEBURTSTAG   DER   KUNST    

D I E   S A M M L E R

Peter Ludwig, tätig in der alten Aachener Schokoladenindustrie, bat 1975 den unbekannten Maler Jean Olivier Hucleux aus dem kleinen Ort Andrésy an der Seine, ihn mit seiner Frau Irene zu porträtieren. Er kannte die ersten fotorealistischen Tafeln französischer Friedhöfe, die der Einzelgänger in der documenta 5 1972 vorgestellt hatte; 3 von ihnen hat er erworben.  Hucleux kam mit einer 6×7 Spiegelreflexkamera, blieb mehrere Stunden und nötigte die beiden als Modelle nicht nur zu vielerlei Stellungen, sondern zu verschiedensten Kleidern aus ihren Garderobeschränken, bis ein Seidenkleid und ein hellgrauer dreiteiliger, genutzter Sommeranzug alle befriedigten. Sie würden dem Maler ein Höchstmaß an Virtuosität abverlangen. ihr Dekor sollte der Nüchternheit der taghellen Szene vor einer anonymen Zimmerecke entgegenwirken.

Hucleux arbeitete fast ein Jahr an dem Doppelporträt. Er hatte den Diaprojektor auf seinem Stativ und die Holzplatte des Bildes so festgeschraubt, dass sie ihre Stellung über lange Zeit nicht verändern konnten. Als er das Bild in seinem Auto nach Aachen brachte, mochte der belgische Zöllner es nicht als Fotografie anerkennen, sondern bestand darauf, dass es als Malerei deklariert würde. Das Ehepaar Ludwig war zufrieden; das Bild entsprach seinem Selbstverständnis. Es macht deutlich, dass der Sammler von Kunst – anders als der Künstler – seine Rolle als Teilhaber der bürgerlichen Gesellschaft nicht aufgibt, sondern einen Zuwachs an Achtung gewinnen kann. Nicht als Schokoladenfabrikant, sondern als Kunstsammler hat Ludwig mit Fidel Castro. Leonid Iljitsch Breschnew und anderen Mächtigen gesprochen.

Ganzfigurige Standesporträts dieser Art sind selten. Im Oeuvre Hucleux´s findet sich eine große Zeichnung des Ehepaars Besin in sehr ähnlicher Haltung, nur hat sich hier die Frau in den rechten Arm ihres Mannes eingehakt, und sie sind nach rechts gewendet und schauen aus dem Bild hinaus. Das Porträt der Ludwigs war teuer und leitet heute in die Präsentation der Sammlung Ludwig im Wiener Museum ein.

Wir können die Haltung der beiden in diesem Bildnis nicht für bescheiden halten: Sie sind nicht mehr die Studenten der Kunstgeschichte, die an der Mainzer Universität an einer Doktorarbeit über Picasso arbeiteten. Nicht die Würde zahlreicher akademischer Ehren, sondern das Selbstbewusstsein reicher Großbürger trägt sie. Ihre Verdienste, ihren Ruhm konnte es noch nicht sichtbar machen. Führen wir uns vor Augen, dass sie zu ihren Lebzeiten eine der größten Sammlungen alter und moderner Kunst zusammengetragen haben, vor großen Konvoluten wie den 48 Porträts berühmter Männer von Gerhard Richter, der Buckminster Fuller Map von Jasper Johns, dem Lebenswerk von Picasso oder einer  vielteiligen Sammlung illuminierter Handschriften des europäischen Mittelaltersnicht zurückgeschreckt sind, dass sie an der Gründung zahlreicher Museen innerhalb und außerhalb Europas mitgewirkt und vorgesorgt haben, dass eine Stiftung in Aachen ihre Erbschaft pflegt, so ist die Besessenheit, die Leidenschaft, der Furor, die sie getrieben hat, in ihrem Porträt tief verborgen.

Wer ist verrückter, der Künstler/ die Künstlerin oder der Sammler/ die Sammlerin? Der/die eine schöpft aus dem spannungsreichen Schatz seiner/ihrer Kreativität und gerät in den Blickpunkt einer anwachsenden Öffentlichkeit, der/die andere teilt seine/ihre Besessenheit zwischen der Lust, Geld anzusammeln und es verachtend einzutauschen für Güter, die ihm unendlich wertvoller und unvergänglicher erscheinen. Der Ruhm, den beide genießen, endet mit ihrem Leben nicht. Die Kunstwerke des einen stehen im Museum des anderen, dessen Namen es trägt.

Abb. Jean Olivier Hucleux, Peter und Irene Ludwig, 1975/76, 155 x 122 cm, MUMOK Wien


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Der 1.000.057 Geburtstag der Kunst

52. Kalendergeschichte –

Der 1.000.058ste Geburtstag der Kunst1

Araham und Sarah; vom Horn Afrikas, glücklich in Aachen vereint, feierten am 8. Januar mit ihren Freunden das orthodoxe Weihnachtsfest. Zwei Tage zuvor hatten die Heiligen 3 Könige die Krippe in Bethlehem besucht. Alle Kalender haben nun begonnen, Jahrestage aufzulisten. Keiner ist so bedeutend wie der 17. 1.

Am 17. Januar 1963 hat der Künstler 58und Philosoph Robert Filiou in Paris begonnen, die Geburt der Kunst zu feiern – vor 1.000.000 Jahren. Damals war die Kunst nicht ein zerbrechliches, umstrittenes Gebäude menschlicher Fantasien, sondern eine Erscheinung der Gezeiten von Sonne und Mond, der die Tiere bei ihren Wanderungen auf der Erde, im Wasser und in der Luft ebenso folgten wie die Menschen nach ihnen. Sie begegneten ihr mit Ehrfurcht und sprachen mit ihr.

Filiou hat 1963 diese Geschichte der Kunst geflüstert, und als zehn Jahre später viele Menschen in der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig in Aachen ihren 1,000.010. Geburtstag feierten, las man sie laut am Rand einer großen Geburtstagstorte vor.

Kinder wissen es: Berge besteigen ist Kunst, der Gesang einer Lerche und eines Käuzchens, ein blühender Kirschbaum, das Flügelpaar eines Schmetterlings sind Kunst – die Spuren einer Wildkatze im Sand wie die eines Künstlers auf einer Leinwand. Es ist nicht nötig, sie in Museen zu suchen, sie ist überall. In den Geburtstagsfesten, die Freunde der Kunst  seit 1973 feiern, sehen viele nicht wie Künstler, sondern wie Kunst aus, und so erwarte ich, dass am 17. Januar zu Ehren des Geburtstages in den sozialen Medien Kunst erscheint. Corona gönnt dem Fest keinen Ort; sie wird in Schaufenstern und Unterführungen, Straßen und Plätzen, auf Bahn- und Schulhöfen, in Kirchen und Hörsälen sichtbar sein. Kunst: das ist nicht ein Gegenstand, sondern eine Botschaft – eine Botschaft, die die Sehnsucht verrät, die unsere Vorfahren vor 1 Million Jahren den Gesetzen der Natur entgegenbrachten – sie zu verstehen und ihnen zu folgen – eine Botschaft planetarischer Kunst.

Schamanen und Priester haben sie in ihren Dienst genommen, und sie hat ihnen die schönsten Häuser gebaut. Je mehr diese Häuser verwittern, umso mehr – wie ein unverwüstliches Unkraut – tritt die Kunst hervor – singend, tanzend, zeichnend, malend, gießend, matschend, leuchtend, mit Spritzpistolen und Trompeten, Amplifiern und Beamern. Sie dringt in die letzten Winkel der Städte und schaut von den Dächern hinab. Sie feiert Geburtstag.

Eine Frau aus Novosibirsk hat ein Rentier begleitet, das den mit Geschenken beladenen Schlitten zog, den der Weihnachtsmann am Heiligabend durch Aachen lenkte. In ihrer Heimat, so erzählt sie, folgen alle Menschen jährlich den Wanderungen der Trughirsche, die im Frühjahr von der Tundra in die Taiga wechseln – seit 1 Million Jahren.

Abb. Die Geburtstagsgstorte am 17. 1. 1973 in Aachen


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Parlamentarische Rituale

50. Kalendergeschichte – Parlamentarische Rituale

Dass der Senat eines Staates eine Gruppe seiner Mitglieder bestimmt, einen missliebigen Präsidenten so zu erstechen, dass kein Einzelner als Mörder bezeichnet werden kann, ist seit dem Tod Cäsars selten geschehen. Dass ein Präsident sich so an seinen Palast klammert, dass er a Ende seiner Amtszeit hinausgetragen werden muss, ist ebenso außergewöhnlich. Aber im Ritual der Wahl ist er so lange machtlos, als er Fälschungen und Manipulationen nicht nachweisen kann.

Der sonderbare Fall eines Wahlrituals ist eingetreten, als in ihrer Vorbereitung eine der Parteien, gewiss, eine Mehrheit zu erringen, sich entschloss, eine Frau als Kandidatin der Präsidentschaft zu nominieren, die ihr nicht angehörte. Diese Frau gewann schon viele Stimmen, weil sie eine Frau war und die erste Präsidentin sein würde. Sie ließ sich auf den Stuhl des Präsidenten fotografieren, gab einige Interviews – und verschwand. Spätestens am 1. Januar des neuen Jahres erwarteten viele eine ermutigende Ansprache von ihr in schweren Zeiten. Sie schwieg.

Das Parlament und die Verwaltung hatten sich nach der Wahl neu geordnet und insbesondere dem Abriss eines Parkhauses und der Konsolidierung der Prostitution gewidmet. Bitten um Gespräche wurden vom Büro der Präsidentin abgewendet; man würde sich melden. Man stellte fest, dass die Büros der Präsidentin nicht besetzt waren, und erfuhr, dass sie, um dem Personal nahe zu sein, in weniger repräsentative Räume umgezogen wäre.

Wenige waren bereit, weiter nach ihr zu fragen. War sie der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen? Brauchte man eigentlich eine Präsidentin? War diese Stille an der Spitze des Parlaments und der Verwaltung nicht ein wünschenswerter Zustand für alle, die mit dem existierenden Verhältnissen zufrieden waren? War es nicht angenehmer, vorhandene Arbeitsverträge zu verlängern als neue Stellenbesetzungen ins Auge zu fassen?

Einige wenige meinten zu wissen, dass es zwischen der siegreichen Partei und der Präsidentschaftskandidatin eine Verabredung gegeben habe, in der sie nach der Wahl unsichtbar würde, wenn die Partei Abstimmungen auch ohne sie gewinnen könnte. In der Zwischenzeit wird der Präsidentenstuhl neu gepolstert.