Zu einem großen Ereignis im Ludwig Forum für internationale Kunst Aachen:
DAS VIDEO-ARCHIV
„heste nix anderes zu donn als vor de Neue Galerie in Aache erüm zu stonn? Dat sachens ich der Scheff! Der gibt Dich keine Schokolade denn mehr, und wie Du dann klar küttst, dat kannste Dich heut schon überlegen!“ Das schrieb mir Sigmar Polke auf einer Einladungskarte des Van Abbe Museums in Eindhoven von 1976. Er hatte Recht. Die Neue Galerie gäbe es ohne den Sammler Peter Ludwig nicht. Aber gerade Sigmar Polke, seine Freunde Achim Duchow, Christian Kohlhöfer, Wolfgang und Ilona Weber in Düsseldorf gehörten zu jenen unruhigen Geistern, die begeistert den technischen Neuerungen der Bild- und Tonmedien nachjagten, und sie wussten, dass die Neue Galerie ein Treffpunkt der „Künstleringenieure“ war. Zur Eröffnung 1970 signierte Christiane Möbus Blätter mit Porträts der Besucher, die eine Xerox-Maschine erzeugt hatte, Wolf Vostell brauchte für seine große Einzelausstellung einen Elektroniker und zahlreiche Geräte; es gab erste Kameras, Videobandgeräte, Monitore, Filmprojektoren, eine Tonanlage im ganzen Haus. Im Schaltraum hinter dem Ballsaal füllten sich die Kartons mit bespielten Audio- und Videokassetten von Konzerten („Necronomicon“, „Kraftwerk“) und Performances; das waren keine Kunstwerke in einem neuen Medium, sondern unbearbeitete Dokumente – im online-Videoarchiv sind einige von ihnen trotz ihrer geringen Qualität mit anderen vermischt, die als autonome Video-Werke in Ateliers oder Tonstudios entstanden sind. Ihre ersten zeigte mir damals Ulrike Rosenbach.
Mir ist wichtig daran zu erinnern, dass diese medienübergreifende experimentelle Museumsarbeit vom Mäzen des Hauses freundlich geduldet wurde, weil sie die Besucherzahlen maßgebend mitbestimmte. Gefördert hat er sie nicht, denn der klassische Sammler, der nach langlebigen Werten suchte, konnte nicht Künstlerfilme und Videokassetten erwerben oder ihre Produktion fördern. Selbst Fotografien betrachtete er skeptisch, kaufte aber schließlich, um die Sammlung abzurunden, einige Werke von Gilbert & George, Hamish Fulton, Michael Snow und Richard Long.
Im Lauf der Jahre gelang es mir, mit kleinen Ankaufsetats der Stadt Aachen, des Kulturministeriums in Düsseldorf und des Vereins der Freunde der Neuen Galerie Filme und Videowerke in London und New York zu erwerben. Dass diese Sammlung ein Schatz würde, ist mir erst langsam bewusstgeworden und ich schäme mich, ihn lange vernachlässigt zu haben. Meinen Nachfolgern gebührt Dank für die große Leistung, ihn nun geordnet und kommentiert im Netz anzubieten: einen Schatz, der nicht Teil der Sammlung Ludwig ist, sondern der Stadt Aachen als Erbschaft einer Vision gehört, die in einem alten Kurhaus Wirklichkeit wurde.
Bislang stellt das Videoarchiv online nur 30 von etwa 200 Werken vor und auch nur ausgewählte Sequenzen. Ich hoffe, dass es gelingen wird, dieses Angebot zu erweitern und den Schatz, den das Ludwig Forum verwaltet, zu vermehren.