Zu der Ausstellung „Die Erfindung der Neuen Wilden“ im Ludwig Forum für internationale Kunst in Aachen 2018
DIE WILDEN
Sie erscheinen in dem Titel der Ausstellung „Les Nouveaux Fauves – Die Neuen Wilden“ 1980 in der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig. Ich bin ihr Erfinder. Die Bezeichnung FAUVES erhielten Henri Matisse und seine Freunde 1906, als ein Kritiker im Pariser Herbstsalon eine konventionelleFrauenbüste lobte: „Voilà Donatello au milieu des fauves“ – und er meinte große wilde Katzen, die gestreiften Felle von Tigern. Georges Duthuit hat der Gruppe lange, nachdem sie sich durchgesetzt hatte, ein großes Buch gewidmet „Les Fauves“ 1949 französisch, englisch und schwedisch. Es versammelte Artikel, die er 1929-31 in den Cahiers d’Art veröffentlicht hatte.
„Die Wilden“ ist eine falsche Übersetzung, „Die Wilden“ würden französisch „Les Sauvages“ heißen. Ein TV-Dokumentarfilm hieß kürzlich „Die Wilden in den Menschenzoos“ und berichtete, wie Barnum, Hagenbeck und andere Unternehmer „Heiden“, „Untermenschen“, „Wilde“ importierten und zur Schau stellten. Mit dieser tiefschwarzen Seite des Kolonialismus hatten der Ethnologe Claude Lévi-Strauss und sein Buch „La Pensée Sauvage – Das wilde Denken“ gründlich aufgeräumt. Es war 1962 erschienen (1973 deutsch) und stellte dem wissenschaftlichen Denken der Moderne das mythische Denken zeitgenössischer Kulturen dieser Welt, der streng umrissenen Kunst die bricolage, die Bastelei gegenüber, die sich der second hand, einer 2. Qualität bedient, um Werke mythischer Strukturen zu schaffen. In diesen Texten fand ich mich bestätigt, wenn ich Werke der „Neuen Wilden“ betrachtete.
Der unansehnliche billige Katalog der Ausstellung, in einer Auflage von 300, trug nicht dazu bei, den Titel zu verbreiten. Im Haus am Waldsee hieß die Ausstellung der Berliner der Galerie am Moritzplatz 1980 „Heftige Malerei“, die Italiener um Bonito Oliva hiessen „Transavanguardia – Arte Cifra“, Engländer und Amerikaner sprachen von „New Image Painting“, die Franzosen von „Figuration Libre“. Die Ausstellung „Rundschau Deutschland“ 1981 in München und Köln zeigte die Protagonisten der einzelnen Zentren, die großen Ausstellungen in London 1981 („A new spirit in painting“), Berlin 1982 („Zeitgeist“) und Kassel 1982 (dokumenta 7) erzeugten einen Hype, der die Künstler und ihre Händler und Sammler begeisterte.
„Die (Aachener)Wortprägung wurde kritisch aufgenommen, vor allem auch bei den Künstlern selbst, die auf ihre gänzlich subjektive Bildsprache und das fehlende übergeordnete Programm aufmerksam machten und zudem eine Gleichsetzung ihrer Arbeit mit einer Kunstströmung der Vergangenheit ablehnten. Doch trotz aller Skepsis etablierte sich die Bezeichnung.“ (Stefanie Gommel)
In der Tat ist es nicht leicht, unter dem Titel Individuen und Gruppen von Künstlern zu vereinen, ohne zu der Vorstellung der Wildheit zurückzukehren, die jener Kritiker 1905 in der Ausstellung der Fauves empfand: Revolten gegen die etablierte Kunst und ihren Markt, gegen die entsinnlichte, vergeistigte minimal und concept art, für die Rechte der Frauen und der Homosexuellen, gegen den Kalten Krieg und die Teilung Deutschlands, für eine weltoffene Ornamentik, für erotische Begegnungen, für eine aktionistische, performative Malerei auf großen Tüchern, für Dilettantismus und Hässlichkeit, für eine emotional geladene „mythische“ Malerei – kurzum: für einen nächsten Paradigmenwechsel nach dem ersten um 1968.
Abb. George Braque „L´Estaque“ 1908