52. Kalendergeschichte
ZUM 1.000.057. GEBURTSTAG DER KUNST
D I E S A M M L E R
Peter Ludwig, tätig in der alten Aachener Schokoladenindustrie, bat 1975 den unbekannten Maler Jean Olivier Hucleux aus dem kleinen Ort Andrésy an der Seine, ihn mit seiner Frau Irene zu porträtieren. Er kannte die ersten fotorealistischen Tafeln französischer Friedhöfe, die der Einzelgänger in der documenta 5 1972 vorgestellt hatte; 3 von ihnen hat er erworben. Hucleux kam mit einer 6×7 Spiegelreflexkamera, blieb mehrere Stunden und nötigte die beiden als Modelle nicht nur zu vielerlei Stellungen, sondern zu verschiedensten Kleidern aus ihren Garderobeschränken, bis ein Seidenkleid und ein hellgrauer dreiteiliger, genutzter Sommeranzug alle befriedigten. Sie würden dem Maler ein Höchstmaß an Virtuosität abverlangen. ihr Dekor sollte der Nüchternheit der taghellen Szene vor einer anonymen Zimmerecke entgegenwirken.
Hucleux arbeitete fast ein Jahr an dem Doppelporträt. Er hatte den Diaprojektor auf seinem Stativ und die Holzplatte des Bildes so festgeschraubt, dass sie ihre Stellung über lange Zeit nicht verändern konnten. Als er das Bild in seinem Auto nach Aachen brachte, mochte der belgische Zöllner es nicht als Fotografie anerkennen, sondern bestand darauf, dass es als Malerei deklariert würde. Das Ehepaar Ludwig war zufrieden; das Bild entsprach seinem Selbstverständnis. Es macht deutlich, dass der Sammler von Kunst – anders als der Künstler – seine Rolle als Teilhaber der bürgerlichen Gesellschaft nicht aufgibt, sondern einen Zuwachs an Achtung gewinnen kann. Nicht als Schokoladenfabrikant, sondern als Kunstsammler hat Ludwig mit Fidel Castro. Leonid Iljitsch Breschnew und anderen Mächtigen gesprochen.
Ganzfigurige Standesporträts dieser Art sind selten. Im Oeuvre Hucleux´s findet sich eine große Zeichnung des Ehepaars Besin in sehr ähnlicher Haltung, nur hat sich hier die Frau in den rechten Arm ihres Mannes eingehakt, und sie sind nach rechts gewendet und schauen aus dem Bild hinaus. Das Porträt der Ludwigs war teuer und leitet heute in die Präsentation der Sammlung Ludwig im Wiener Museum ein.
Wir können die Haltung der beiden in diesem Bildnis nicht für bescheiden halten: Sie sind nicht mehr die Studenten der Kunstgeschichte, die an der Mainzer Universität an einer Doktorarbeit über Picasso arbeiteten. Nicht die Würde zahlreicher akademischer Ehren, sondern das Selbstbewusstsein reicher Großbürger trägt sie. Ihre Verdienste, ihren Ruhm konnte es noch nicht sichtbar machen. Führen wir uns vor Augen, dass sie zu ihren Lebzeiten eine der größten Sammlungen alter und moderner Kunst zusammengetragen haben, vor großen Konvoluten wie den 48 Porträts berühmter Männer von Gerhard Richter, der Buckminster Fuller Map von Jasper Johns, dem Lebenswerk von Picasso oder einer vielteiligen Sammlung illuminierter Handschriften des europäischen Mittelaltersnicht zurückgeschreckt sind, dass sie an der Gründung zahlreicher Museen innerhalb und außerhalb Europas mitgewirkt und vorgesorgt haben, dass eine Stiftung in Aachen ihre Erbschaft pflegt, so ist die Besessenheit, die Leidenschaft, der Furor, die sie getrieben hat, in ihrem Porträt tief verborgen.
Wer ist verrückter, der Künstler/ die Künstlerin oder der Sammler/ die Sammlerin? Der/die eine schöpft aus dem spannungsreichen Schatz seiner/ihrer Kreativität und gerät in den Blickpunkt einer anwachsenden Öffentlichkeit, der/die andere teilt seine/ihre Besessenheit zwischen der Lust, Geld anzusammeln und es verachtend einzutauschen für Güter, die ihm unendlich wertvoller und unvergänglicher erscheinen. Der Ruhm, den beide genießen, endet mit ihrem Leben nicht. Die Kunstwerke des einen stehen im Museum des anderen, dessen Namen es trägt.
Abb. Jean Olivier Hucleux, Peter und Irene Ludwig, 1975/76, 155 x 122 cm, MUMOK Wien
