BANKSY`S SUPERWOMAN – eine Kalendergeschichte
Alle Kunstwerke, die in internationalen Auktionen Rekordsummen erreichen, betrachten verächtlich ein 1 m² großes Bild, das, wie die Massenmedien und Fachzeitschriften berichten, 20 Millionen € eingebracht hat. Jener Tulpenzwiebel Semper Augustus, die in Amsterdam 1637 für 30.000 Gulden den Besitzer wechselte, traute man zu, dass sie eine wunderschöne Blume hervorbringen würde, doch dieses Abbild zeigt nicht mehr als einen hockenden Jungen, der in seiner linken erhobenen Hand die kleine Puppe einer Krankenschwester betrachtet, und einen Papierkorb, in dem ihm verworfene Figurinen von Batman und Spiderman zuschauen. Ein leichter Schatten liegt auf seinem Gesicht; er hockt irgendwo. In Fotos von mir in seinem Alter sehe ich ihm ähnlich: ein mitteleuropäischer Junge. Er scheint sich über die kleine Krankenschwester mit Mundschutz nicht zu freuen, und seit der Künstler das Bild in Instagram bekannt gemacht hat, sollten alle wissen, dass er sie bewundert und mit ihr leidet: eine von jenen, die mühevoll gegen ihre Ermüdung um das Leben unzähliger Ovid-19-Opfer kämpfen. Nicht ihnen allein, sondern der Universitätsklinik in Southampton und dem nationalen Gesundheitsdienst NHS soll die erzielte Summe zugutekommen.
Banksy hat das Bild nicht dem Krankenhaus geschenkt, damit es dort im Vestibül seine Botschaft mitteilt, sondern im weltberühmten Kunstauktionshaus Christies für eine Rekordsumme versteigert wird. So kann er mit Picasso und Raffael wetteifern. Niemand wird fragen, ob das Bild sich neben dem Porträt einer Frau mit Artischocke des spanischen Meisters behaupten kann; und kein Kunstkritiker, der Wert darauflegt, in den Medien eine Rolle zu spielen, wird wagen, diese liebenswürdige, bescheidene Illustration einem Akademieschüler zuzuschreiben. Mit einem Versteckspiel sondergleichen und einem anarchischen britischen (?) Humor ist es dem street artist wie keinem Künstler seiner Generation gelungen, enorme Einnahmen zu erzielen und kritisch wohltätig auszugeben: ein Hotel in Palästina, ein Rettungsschiff im Mittelmeer, ein Krankenhaus in England…..

Verborgen ist er, und wir stellen uns vor, dass er eine schöpferische Gruppe ist, geschützt vor staatlichen Eingriffen – wie Shakespeare in seinem Theater, dessen Angriffe auf das Königshaus unerwidert blieben. An seiner Biografie wird bis heute gearbeitet. Der Kunstmarkt hat Banksy integriert, und Museen sind bereit, seine Werke aufzunehmen. So trägt er dazu bei, den Bezirk, dem das Grundgesetz Freiheit garantiert, zu erweitern. Die Eitelkeit, die Künstler verleitet, ihre Werke zu signieren, vor sie zu treten, um sie zu kommentieren, sogar sie selbst zu sein, hat er spöttisch hinter dem Vorhang eines Straßentheaters verborgen. Das Bild, die liebenswerte Zeichnung, die eine herzliche Szene entwirft, ist nur der Anstoß zu einem Welttheater, dem Shakespeare applaudiert hätte.