M O D E L S
Eine Kalendergeschichte
In dem 3Sat-Film „My Body – My Art. Frauen. Körper. Kunst.“ sagt Annique Delphine, sie habe früher zuweilen „gemodelt“ – eine einträgliche Tätigkeit für Menschen, die gut gewachsen sind und es gern zeigen. Models sind Mannequins und „Probierdamen“ gefolgt. Coco Chanel und Elsa Schiaparelli brauchten sie auf den Laufstegen, um ihre Kreationen von Kleidern für die neue Frau der zwanziger Jahre zu präsentieren. In dem Überfluss der europäischen und amerikanischen Konsumgesellschaften zwischen den Weltkriegen entstand eine Berufsgruppe zwischen Laufsteg und Fotostudio, Modezeitschrift und Playboy, Casting Shows, Spielfilmen und Performance Art – eine der wenigen Gruppen, in der Frauen mehr verdienen als Männer. Vogue, Harper’s Bazaar und Elle verbreiteten weltweit FASHION, BEAUTY, CELEBRITY und beschäftigten renommierte Fotografen wie Edward Steichen, Horst P. Horst, Cecil Beaton und Helmut Newton. Überall lagen die glanzvollen Hefte auf den Coffee Tables von Frauen, die die Zeitenwende als Befreiung feierten.
2020 erschien in einer Kölner Versteigerung ein Ölgemälde von Herbert Rolf Schlegel „Models am Ammersee“ von 1930, 120 x 150 cm groß. Sieben Frauen in mittlerem Alter füllen es aus. Sie stehen auf einer Landzunge vor dem hellen, wolkenlosen Himmel über dem See aund führen zeitgenössische Kleidung vor: kurze Pluderhosn, ein geschürztes Tanzkleid, gestreifte Shorts, Kniestrümpfe, Schnürstiefel, Pumps. Sie sind offensichtlich nicht professionelle Mannequins, sondern kräftige, sportliche Frauen, die sich und dem Maler den Spaß erlauben, Stücke ihrer Garderobe vorzuführen. Der Maler variiert ihre Stellungen in Stereotypen: die Kokette, die sich abwendet und zugleich den Kopf dem Betrachter zuneigt; die Schüchterne, die ihre Arme über der Brust verschränkt und zur Seite schaut; die Zarte, Betörende mit Sonnenschirm; die maskuline Hauptfrau, den Daumen im Gürtel der kurzen Hose. Könnten sie und die links Hinzutretende nicht verkleidete Männer sein? Der Maler selbst? Schlegel spielte gern androgyn mit den Merkmalen der Geschlechter. Das Bild zeigt, dass er in der Sphäre der „Neuen Sachlichkeit“, des „Magischen Realismus“ groß geworden ist Aber er liebte auch Vorbilder für seine Komposition in der Kunstgeschichte – wie Botticellis Bild „Primavera“ – „Der Frühling“, in dem sich acht Personen in den Vordergrund drängen. Schlegel lebte und arbeitete seit 1924 als Kunsterzieher im Landschulheim Schondorf am Ammersee, einem Hotspot nahe München, nachdem er in der Kasseler Akademie eine gründliche Ausbildung erhalten hatte. Kolleginnen, Lehrerinnen des Internats, mögen seine Modelle gewesen sein.
Er starb dort 1972 und hinterließ ein Oeuvre, das der Aachener Sammler Axel Hinrich Murken zusammengetragen hat und vom März bis August 2021 im Museum Haus Opherdicke in Holzwickede ausstellt. Das Bild der Models vom Ammersee ist leider nicht darunter. Der heitere, spöttische Ton, den es ausstrahlt, kehrt in den Bildern, die ihm folgen, nicht wieder. Die Frauen sind nicht mehr als Models aufgetreten.
