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Kunstwechsel

Wem gehört die Erde 10

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1Wem gehört die Erde 10. Tag

Affentheater

Alan Sonfist gehörte zu denen, die – wie Bonnie Ora Scherk im Zoo von San Francisco 1973 „Public Lunch“– die Nähe zu Tieren in Zoologischen Gärten suchten und verbrachte in Aachen einen Tag im Affenkäfig des Tierparks, nachdenklich beobachtet von Nachbarn und Besuchern.

Es sind Schimpfwörter: Schwein, Ochse, Hund, Laus, Gans, Kamel – und Affe. Sie bezeichnen Schmutz, Dummheit, Unterwürfigkeit, Bösartigkeit, Schwatzhaftigkeit und Geilheit. Sie treffen Haustiere, die die Menschen umgeben – und Affen, die von Seereisenden als Trophäen importiert wurden. Sie gehörten zu den exotischen Tieren, die der internationale Tierhandel an königliche Menagerien asiatischer, amerikanischer und europäischer Herrscher verkaufte, bis im 19. Jahrhundert nicht nur Tiere, sondern auch Menschen aus Feuerland oder Kongo in anthropo- und zoo-logischen „Völkerschauen“ und Tiergärten für alle zugänglich wurden. Bis heute steht der Name Hagenbeck für die umtriebigen Unternehmer in diesem Gewerbe.

Damals, 1879, veröffentlichte Wilhelm Busch die Geschichte von Fipps, dem zügellosen Affen, den Herr Schmidt von einer afrikanischen Palmeninsel nach Bremen bringt, den ein Frisör als „Plaisir“ für seine Kinder kauft, der den Menschen auf den Rücken springt und immer zu „bösen Streichen“ aufgelegt ist, bis er erschossen und beerdigt wird.

Das Bild des Freien, Gesetzlosen, das Busch im Affen schildert, hat der Künstler Jörg Immendorff auf das des Künstlers übertragen: „Für mich war und ist der Affe einfach ein zweites Ich. Symbol für Ambivalenz der Künstlerexistenz, der Überzeugung und Selbstzweifel. Er ist albern und weise und steht für Gegensätze. Der Affe erscheint auf meinem Rücken sitzend, und vor mir ist das Bild, das ich male, das er angreift und dann etwas anderes malt oder mich bemalt.“ (1992).  So habe ich ihn 1995 als Wandbild an einem deutschen Bunker von 1943 an der Nordseeküste Jütlands vorgefunden. „Affe“ dient der Selbstfindung des Künstlers als Doppelgänger, Spiegelbild, Zwilling („Immendorff was here“) in der Kulisse des einsamen Strandes, der im zweiten Weltkrieg eine überflüssige Rolle spielte.

Es genügte Busch und Immendorff, so wenig vom Affen zu wissen, wie wir auf ihren Bildern erkennen: das Klischee eines Affen, das sie nutzen wie ein Kostüm, das ihnen zur Verkleidung dient. Das Klischee verlässt das Feld der Schimpfworte und bietet sich als Schlüssel zum Verständnis von Künstlern an.

Der Maler Eric Peters hatte einen großen würdigen Schneegorilla im Krefelder Zoo bewundert. Den Titel des Bildes, das er ihm widmete, übernahm er aus einem Buch von Daniel Quinn „ISHMAEL“, das 1992 großes Aufsehen erregt hatte: „Gibt es eine Zukunft für den Gorilla ohne den Menschen?“  Der würdige Berggorilla des Romans thront in einer verlassenen Lagerhalle in Austin und lehrt telepathisch jungen Menschen eine bessere Welt. Er ist in einem Wanderzirkus nach Amerika gekommen, ein Russe hat seine Begabung gefördert, und er wird wieder in einem Wanderzirkus untertauchen, wenn der Schüler Alan Lomax ihn sucht. Der große Berggorilla ist mehr als ein Tier, er gewinnt die Würde eines Propheten und Heiligen – wie die Mantelpaviane im Alten Ägypten oder Hanuman im Hinduismus.

Rotdorn, der Affe in Franz Kafkas „Bericht für eine Akademie“ von 1917 (erschienen in Prag in der Zeitschrift DER JUDE), ist von einer der Afrika-Expeditionen Hagenbecks nach Hamburg gelangt und hat sich in einem Akt strengster Selbstdisziplin einem Menschen so anverwandelt, dass er mit anderen schwerelos kommunizieren kann. Er ist eingeladen, über sein „äffisches Vorleben“ und die Assimilation zum Menschenimitator zu sprechen.

Die Geschichten von Kafka und Quinn enthalten den Käfig, die Gefangennahme und die Befreiung durch mühselige Anpassung an die Erscheinung und Sprache der Menschen. Rotpeter ist zynisch genug, sein Vorleben als Affe zum Vergnügen der Zuhörer „äffisch“ zu schildern. Und das Adjektiv hat sich bis heute als Verb NACHÄFFEN erhalten. Die Vorstellung der Assimilation wird überanstrengt, wenn sie nicht Affen, sondern Menschen anderer Hautfarben, Sprachen und Kulturen erfasst. Obwohl die Anthropoidea wie der Mensch zu den Primaten gehört, erscheint es heute noch schwieriger, ihre Sprache und Kultur zu verstehen, als die der Menschen eines anderen Kontinents.

Das Dilemma wurde 1977 sichtbar, als der New Yorker Künstler Alan Sonfist nackt einen Tag lang in einem der Affenkäfige des Aachener Zoos verbrachte – frühstückte, eine regionale Zeitung lass, sich wusch und rasierte, Radio hörte und telefonierte. Die Affen in den benachbarten Käfigen schauten ihm gestikulierend und palavernd zu. Eine Verständigung fand nicht statt. Wikipedia nimmt immerhin die Nähe ernst: „Die heute mit Abstand individuenreichste Affenart ist der Mensch mit einer weltweiten Population von mehr als 7 Milliarden.“

Illustration:

Alan Sonfist im Aachener Zoo, 1977

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