Eine Kalendergeschichte
Zwillinge in Böhmen
Kladno ist eine Stadt der Schwerindustrie wie Dortmund. Dort, hinter den großen Stahlwerken, wurden 1922 die Zwillinge Jitka und Kveta Valova geboren. Als sie mir diese Zeichnung schenkten, waren sie 70 Jahre alt – glücklich, dass einer sie besuchte. Den Ehrentitel „Damen der tschechischen Kultur“ erhielten sie posthum. Der Festredner lobte 2019 ihre Vitalität und Ausdauer, sie seien nicht intellektuell, spekulativ, feministisch, moralisierend gewesen wie Künstler heute.
Sie hatten zeichnen, radieren, lithografieren und große Bilder zu malen gelernt. Das Haus ihrer Kindheit blieb ihr Atelier bis über ihren Tod hinaus. Ihr Nachbar Jiri Kolar hat sie besucht und von seinen Reisen nach Paris und zur documenta in Kassel erzählt. Nein, sie reisten nicht, sie seien unzertrennlich miteinander und der Ordnung ihres Arbeitsplatzes verwoben. In den Cocon, der sie umgab, sollten die lärmenden Turbulenzen des Weltkriegs und der kommunistischen Herrschaft nur gedämpft eindringen. Er schützte zwei alleinstehende Frauen vor jeder Männerherrschaft. Dennoch trieb die Neugier einige wie mich zu ihnen. Die Aura der Kunst umgab sie. Zwillinge sind selten.
Sie gehörten zur Generation der abstrakten Expressionisten – de Kooning, Soulages, Schumacher – Jetzt, 1983, erinnerten Historiker an die sehr großen, dunklen, informellen Tafeln, mit denen die Schwestern vor 20 Jahren Aufsehen in Prag erregt hatten. Was machten sie jetzt – nach der langen Pause der Malverbote durch die kommunistische Regierung – jetzt, als die Neuen Wilden und die Transavangarde diskutiert wurden? Arbeiteten sie noch heute mit gleichen Pinseln oder Stiften gemeinsam auf Leinwänden und Papieren? Sie lachten und schenkten mir diese kräftige Kohlezeichnung. Ja, jede hatte einen Stift in der Hand, und die eine hatte den spitzen Keil entworfen, der sich nach links beugt; die andere „setzte ihm einen Hut auf“. „Denken Sie auch an eine Weltraumstation?“Nein. Ich wusste, dass die schwungvolle Rotation wirklich nichts darstellte als sich selbst, ein „Ding“ zwischen Auge und Gehirn. Auf der Rückseite trägt die Zeichnung Stempel aus Bukarest. Viele haben sie schon gesehen. Sie zeigten mir eine andere, zart geriebene, in der sich die „Gestalt“ wie ein Rhizom über das Blatt zieht. Ihr Lyrismus gefiel ihnen besser als die glatte, muskulöse Schrift des „Satelliten“.
Diese Zwillinge scheinen sich nie gestritten zu haben. Sie trugen die gleiche Kleidung und gaben ihre gemeinsamen Einkünfte gemeinsam aus. Der Frisör schnitt ihnen die weißen Haare gleichermaßen. Sie blieben ihr Leben lang gleich groß und teilten ihre Krankheiten. Ihre Sehschärfe hätte nachgelassen. Nun haben sie eine Brille erworben, EINE zum Arbeiten.
Jitla und Kveta Valova sind die einzigen Zwillinge unter den Künstlern, denen ich begegnet bin. Über andere wird im Netz berichtet. Man erwartet, dass Zwillinge Bilder gemeinsam malen. Jitka und Kveta haben sich dieser Erwartung nicht verschlossen. Aber die Zeichnung gibt auch dem Betrachter Recht, der eine von ihnen als Autorin vermutet. Aber welche?
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