Beckeraachen

Kunstwechsel

Betende Hände

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Zu  Dürers Ausstellung im Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen

Die betenden Hände

In vielen Palästen, Villen, Hütten, Zelten, Gruben, in Salons und Schlafkammern der ganzen Welt sind Ecken und Nischen Bildern, Skulpturen, Kästen und Dosen bestimmt, die nicht als Kunstwerke wertgeschätzt, sondern verehrt, geliebt, angesprochen, besungen werden. Zwei aneinandergedrückte Hände gehören dazu, die Hände eines Apostels, zuerst auf einem blaugrundierten 30 x 20 cm großen Papier schwarz und grau mit dem Pinsel gezeichnet vor 500 Jahren als Studie für einen Altar – die Hände Albrecht Dürers selbst. Die Zeichnung wurde aus einem größeren Blatt geschnitten und gewann so den ungestörten Ausdruck des Motivs: feine, gekrümmte, gealterte, demütig gefaltete Hände, die sich aus der rechten Ecke nach oben richten.

Der umfangreiche Handel mit verehrungswürdigen Gegenständen – von Reliquien zu Souvenirs von Wallfahrten wie Jakobsmuscheln und geweihtem Wasser aus Heiligen Quellen – nahm die „Betenden Hände“ dankbar als Devotionalie auf, und die zunehmende Industrialisierung Europas und Amerikas bewirkte ihre Multiplikation in Holz, Bronze, Glas,  Bakelit und Acryl. Heute haben sie Briefmarken in Uganda und Geldstücke in Neu-Guinea erobert.

In mobilen säkularisierten Gesellschaften  zeigen die Nischen der Wohnungen häufig Erinnerungsstücke und Trophäen – afrikanische Ebenholzskulpturen, Masken und gemalte Ladenschilder, Statuetten Buddhas oder der Osiris, Tuschzeichnungen der Heiligen Berge Chinas, Schilde australischer Ureinwohner – und zugleich gewinnen alte Ikonen aus den Wohnungen russischer und griechischer Christen einen Handelswert und drängen ebenso wie alte Tanzmasken und Skulpturen Afrikas in den Kunstmarkt. Sie verlieren ihre Bedeutung, ihr emotionales Gewicht, ihre Religiosität und werden Kunst.

Modernen Kunstwerken, die Heiligkeit anbieten, Anbetung fordern, fehlt das Alter, das Behältnis, in dem sie Erinnerungen bewahren, In den Nischen der Wohnungen werden sie häufig durch gerahmte Fotografien von Familienmitgliedern oder von Dokumenten ersetzt, die von einer Hochzeit, Taufe, Kommunion, Konfirmation, Preis- oder Ordensverleihung  berichten. Es gibt auch silberne Fußbälle und Schlittschuhe.

Klaus Staeck hat „die betenden Hände“  in den siebziger Jahren für sich entdeckt – nicht die meisterhafte Zeichnung Dürers, sondern das Bild eines Zwangs, eine der Fesseln, die jungen Menschen nach ihrer religiösen Einweisung in die bürgerliche Gesellschaft als Erinnerungsblatt zur Konfirmation vom Pfarrer überreicht wird: Vergesst nicht zu

 Beten! Er hat sie mit Schraubzwingen aneinandergedrückt. Nie sollten die betenden Hände gelöst werden. Er beschreibt, wie seine Erinnerung an seine eigene Konfirmation den Anlass zu dem Druck gab. Das Bild war die erste von fünf Editionen „Fromage à zu Dürer“. Weniger an Dürer als an das Gebet der Hände denken die Käufer, die die Devotionale online bestellen. Dürer? Devotionalien haben keinen Autor –  wie die Ikonen in den Häusern von Nowosibirsk, die ihre Heiligen unter einem gehämmerten Silberblech verbergen.

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