48 Illustre Männer um Gerhard Richter
Eine Kalendergeschichte
Dass Ralf Wierzbowski vorgestern im Facebook 48 Porträts von Gerhard Richter publiziert, hat mich überrascht. Vielleicht sind sie sogar so groß wie die illustrer Männet, die Richter selbst 1971/72 gemalt hat, aber anders, ganz anders. Wierzbowski malt nicht Richter wie Richter, sondern versucht, als Wierzbowski (ich erkenne ihn wieder), einem anderen, Alten (seinem Vater, an dem er sich reibt?), seinem Ruhm, seinem Preis nahezukommen.
Richter saß 1972 im Caffé Florian am Markusplatz in Venedig und wunderte sich über den schlechten Zustand der galleria degli uomini illustri seines Kollegen Giulio Carlini an den Wänden. Marco Polo, Palladio, Goldoni und Tizian waren kaum noch zu erkennen. Wie wird seine Galerie der Prominenten, die drüben im deutschen Pavillon hängen, in 150 Jahren aussehen?
Warum 48? 48 Ölbilder, 55 cm breit, im Abstand von 55 cm gehängt, würden eine Wand von 53 m Länge füllen; 48 illustrer Männer im Saal, nichts weiter. Kafka, der frontal den Betrachter aus der Apsis anschaut, bezeichnet die Achse. Kein anderer: die Angst des ratlosen Jahrhunderts Die Reihe hängt hoch, man hebt den Kopf, um sie wahrzunehmen. Der sakrale Raum ist pathetisch kalt und leer, und nur einige der schwarz-weiß gemalten Personen sind den Besuchern bekannt.
Kunsthistoriker denken hier an die Galleria degli Uffici, der Cosimo di Medici ein neues Foro Romano hinzufügen wollte, das im 19. Jh. als Würdigung des italischen Genius in einer Loggia von Porträtskulpturen vollendet wurde. Und damals, im Zeitalter der Walhallas und Liebestode malte der Münchener Hofmaler Josef Karl Stieler- in Konkurrenz zu Franz Xaver Winterhalter, dem gerade „Sissi“ in Wien Modell saß, die Galleria delle Bellezze, die Schönheitsgalerie im Schloss Nymphenburg, 36 Porträts (in den Maßen der 48 von Richter!) bedeutender Frauen Münchens – Prinzessinnen, Hofdamen, Tänzerinnen, Sängerinnen……..
2015 zeigte die Nationalgalerie von Urbino das rekonstruierte Studiolo des Herzogs Federico di Montefeltre, ein Meisterwerk der Frührenaissance, in dem 28 Philosophen, Theologen, Dichter, Wissenschaftler, Plato, Aristoteles, Augustinus, Moses, Petrarca, Cicero, Euklid, Albertus Magnus, „Uomini Illustri“, dem Fürsten als Vorbilder weiser Herrschaft dienten. Keinem Zeitalter war so bewusst, das Rinascimento, die Wiedergeburt der antiken Kultur Europas zu erleben.
War es wirklich die Größe des deutschen Pavillons, die Richter veranlasste, 48 Porträts von Männern zu malen, die das 20. Jahrhundert bewegt haben? Hat er den deutschen Pavillon, der im Dritten Reich gebaut wurde, um die deutsche Kunst zu feiern, in eine Gedenkstätte des deutschen Geistes, in eine „galleria degli uomini illustri“ verwandeln wollen, wie sie in der italienischen Geistesgeschichte bekannt ist? Oder wird hier ein trockener Sarkasmus sichtbar, der die feierliche Geste entwertet und sich in dem Moment offenbart, in dem die 48 Porträts an irgendeiner Museumswand in einer Reihe oder mehreren aufgehängt werden? Welche Mühe! Welche Arbeit!
Die 48 Porträts Gerhard Richters haben weitergewirkt. Um sie zu schonen, hat Richter eine Serie von 48 Fotos herstellen lassen, die – hinter Glas – den Originalen gleichen. Sie sind häufig ausgestellt worden. Gottfried Helnwein hat den Männern 1991, angeregt von Alice Schwarzer, 48 Gemälde prominenter Frauen hinzugefügt. Er greift in das 19. Jahrhundert zurück und wählt Tänzerinnen (Pina Bausch, Josephine Baker), Schriftstellerinnen (Simone de Beauvoir, Hannah Arendt), Politikerinnen (Rosa Luxemburg) aus Europa und USA.
Richters 48 Porträts wanderten aus Venedig nach Aachen. Viele haben sie dort gesehen, bevor sie das Kölner Museum Ludwig aufnahm – wie auch die Bilder Helnweins. Ihre Betrachtung ist unscharf geblieben. Sie hängen noch immer zu hoch. So unscharf bleibt auch das Bild Gerhard Richters, das Ralf Wierzbowski 48x malt. Ruhm ist unscharf und vergänglich. Aber seit Gerhard Richter eine seiner ersten Einzelausstellungen 1969 im Gegenverkehr Aachen ausrichtete, seit 1970 in der Neuen Galerie die „Eifellandschaften“ heimatliche Neugier erregten und neben dem Sammler Peter Ludwig sich andere um den Erwerb von Richter-Bildern bemühten, gab es in Aachen auch etliche, die sich gern Schüler des Düsseldorfer Akademieprofessors nannten – wie jene anderen, die Joseph Beuys folgten.
Es ist mir nicht gelungen, für die Zahl 48 eine andere Bedeutung als die Gerhard Richters zu finden. Wer, sich wie ich an die Zahl fesseln lässt, möge für sich 48 Personen versammeln, die seinem Leben einmal einen Sinn gegeben haben – etwa die Judith der Bibel, die dem Holofernes den Kopf abschlug, Don Quixotte und sein Kampf gegen die Windmühlenflügel, Papst Johannes, Herkules, der Antäus in der Luft erwürgte, Janis Joplin, 50 Cent oder die überaus langweilige Mona Lisa. jeder hat ein Recht auf seine Galleria degli personnaggi illustri e famosi.
Abb. Richters Porträts in Venedig 1972 und Katalogtitel dea Studiolos in Urbino 2015

