Vom Nutzen der Kunst
2017 stand ich in der großen Vorhalle des Museums von Eindhoven und drückte die Beine gegeneinander. Ich suchte ein Pissoir und fand es zu meiner Überraschung in einer Ecke des Raumes. Ich war erleichtert – und sehr beschämt. Denn das Pissoir trug den Titel mit dem Namen einer Künstlerin, die ich kannte: Tanja Bruguera. Das „Pissoir“ war ein umgedrehtes „ready made“, eine Replik der berühmten „Fountain“ von Marcel Duchamp, ein Pissoir, das er 100 Jahre zuvor auf den Kopf gestellt hatte.
Die Ausstellung der Tanja Bruguera, zu der es gehörte, hieß „ARTE UTIL“ und begleitete ein Lexikon „Towards the Usership of Art“ von Stephen Wright und ein Seminar über nützliche Kunst, das in diesen Monaten ebenso in Liverpool und San Francisco stattfand. Das Verhältnis zwischen Produzent und Konsument, zwischen Künstler und Betrachter nahm im digitalen Zeitalter neue Formen an, Kunstwerke müssen nicht interesselos wohlgefallen, sondern gebraucht, genutzt werden. . Wright kritisiert in seinem Lexikon „ Deaktivieren (ästhetische Aufgabe der Kunst)“, die „Expertenkultur“, „die Faulheit (kreativ und ausdrucksstark)“, „Kunst als Eigentum (copyright ist nichts für Benutzer)“ , „Spezifische Sichtweise (sub specie artis)“. Der Betrachter wird Nutzer. Der Künstler verlässt den ästhetischen Raum, in dem er politische Freiheit genießt, und mischt sich in das Leben so ein, dass seine Werke mit solchen des öffentlichen Lebens verwechselt werden können. Siehe das „Pissoir“ der Tanja. Bruguera und ich. (Ich war froh, ihr hier nicht wiederbegegnet zu sein. Sie ist eine streitbare Kubanerin.).
So auch die YES MEN, 2 New Yorker, die seit 30 Jahren als art guerilla-Anarchisten die amerikanischen Medien beschäftigen. Sie produzieren nicht nur Fake News, sondern verführen TV und Zeitungen, über ihre Auftritte in Kongressen als Vertreter der World Trade Organisation zu berichten, in denen sie Großkonzerne wie Dow Chemical und Exxon angreifen, in einer Tagung über die katastrophalen Folgen globaler Erwärmung einen mannsgroßen „Survival Ball“ für Manager aus Plastik mit Sichtöffnung und 6 Armen bekanntmachten, der vor Stürmen, Erderwärmung, Flutwellen, aber auch Terroristen schützt.
Sie sind die bekanntesten unter den “Interventionists“. So hieß 2004 Nato Thompsons Aussteliung im Massashusets Museum of Contemporry Art mit weit verbreitetem Handbuch), und Stephen Wright konkurrierte mit einer Installation zum “use of Art” in APEX, Manhattan. Sie beriefen sich auf die Paiser „Situationisten“ der 60er Jahre mit ihrem Wortführer Gux Deborde. Das „Zentrum für politische Schönheit“ des Philipp Ruch hat sich in Berlin gebildet und zuletzt durch eine verkürzte Replik des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas neben dem Thüringer Haus des AFD-Funktionärs Bernd Höcke große öffentliche Aufmerksamkeit erzielt.
Die Lobby der Künstler im politischen Raum ist klein, aber mächtig in ihrer Erfindungskraft“. Sie kann in zivilem Ungehorsam aufsehenerregend im öffentlichen Raum agieren, ihr gehört „die Straße“, sie kann Obdachlose in leerstehenden Fahrzeugen unterbringen, sie kann Jacken entwerfen, die Wohnungslosen als Zelte dienen, sie kann viel mehr als Graffiti auf leere Wände malen. Die „Interventionists“ boten in ihrer Ausstellung „tool boxes“, Werkzeugkisten. Es lohnt sich hineinzuschauen. Sie definierten Kunst, die für sozialen Wandel agitiert „using magic
tricks, faux fashion and jacked-up lawn
mowers,”
