K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen werde ich hier wiedergeben. Ich versuche, die alten Maschinen-Manuskripte zu konvertieren.
Kunst ABC AVZ 29.11.1975
B E L G I S C H E K U N S T 2(1-3)
An der Gründung der Gruppe COBRA (Copenhagen, Brüssel, Amsterdam) waren belgische Künstler wesentlich beteiligt, in Brüssel arbeitete ihr Sekretariat. Zum Pariser informel wurde hier die Variante des abstrakten Expresionismus erarbeitet, die sich später mit jener der New Yorker Schule traf. Pierre Alechinsky, Christian Dotremont, Bram Bogart und die Bildhauer Raoul d´Haese, Vic Gentils und Reinhoud (d´Haese) haben imposante Lebenswerke geschaffen, in denen die Antithese von formaler und inhaltlicher Aussage, Ausdruck und Bedeutung dramatisch ausgetragen wird. Sie entwickelten dabei ein besonderes Verhältnis zur makabren Arabeske – nach James Ensor, Hieronymus Bosch und dem Höllen-Brueghel.
Um 1960 folgte ihnen eine Generation, die sich zur Zeitgenossenschaft mit der amerikanischen und englische Pop Art bekannte und in der kühlen, analytischen Haltung zu den Bildern der Umwelt an Magritte anschließen konnte. Roger Raveel (geb. 1921) fiel 1968 in der Kasseler documenta mit großen Ölbildern auf, in die Käfige mit lebenden Tauben integriert waren. Er liebt diese Augenfallen, in denen Gegenstand und Abbild, Bedeutetes und Bedeutendes sich die Zunge herausstrecken. Ein Mann und eine Frau, gemalt, aus der Leinwand herausgeschnitten, geben sich die Hände, er als Vollfigur und Positiv, sie als Leerfigur und Negativ. An Raveel haben sich zeitweilig Etienne Elias und Raoul de Kayser angeschlossen, und als Nachfolger dieser Gruppe mag man den jüngeren Piero Roobje betrachten. De Kayser formalisert Landschaftsbilder und Ausschnitte in ein geordnetes System von Farbfeldern und schweren arabeskalen Konturen, der witzige Elias dagegen zitiert naive Meister wie Henri Rousseau, um freundliche ländliche Idyllen zu schildern – oder Kunstgeschichte zu verarbeiten. Roobje ist ausschließlich Historienmaler; in naiv-barabrischen Bildtafeln berichtet er von Hitler, Karl I., Napoleon oder Rembrandt.
In der kleinen Gesellschaft von belgischen Kunstliebhabern trat Marcel Broodthaers erst als Literat, dann als Künstler „accumulateur“ auf: er füllte Schränke, Schubladen, Tische mit Muscheln, Pommes Frites und geleerten Hühnereiern – Nationalgerichten „moules et frites“. Er riskierte seine Karriere, als er 1968 ein fiktives Museum moderner Kunst mit einer dem Adler gewidmeten Abteilung gründete. Erst als ihm die Düsseldorfer Kunsthalle 1972 die Chance gab, dieses Museum als Ausstellung zu installieren, entstand größere Aufmerksamkeit. Broodthaers zeigte dort Hunderte von Adlerbildern – von antiken Skulpturen bis zu neuzeitlichen Münzen, betitelt „Dieses ist kein Kunstwerk“ – In Anlehnung an Magrittes berühmtes Bild einer Pfeife „Dieses ist keine Pfeife“. Beide nutzen die Semiolöogie, die Wissenschaft der Zeichen und ihrer Bedeutungen. Die Objekte, die Broodthaers in seinem Museum zeigte, waren keine Alltagsgegenstände wie Pissoir oder Flaschenständer bei Duchamp, sondern museale Objekte, die bereits eine Aura hatten wie die Skulptur eines Adlers. Hier sollten sie ihre Aura verlieren „Dieses ist kein Kunstwerk“. Künstler, die solche Schilder unter ihren Arbeiten fanden, haben protestiert.
Abb. Roger Raveel Het verschrikkelijke mooie leven, Raveelmuseum, Machelen, Belgien