K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen werde ich hier wiedergeben. Ich versuche, die alten Maschinen-Manuskripte zu konvertieren.
Kunst ABC AVZ 6.12.1975
B E L G I S C H E K U N S T 3(1-3)
Der vornehme Brüsseler Literat und Künstler Marcel Broodthaers hat auf den 1. Blick nichts mit dem tüftelnden Antwerpener Ingenieur Panamarenko zu tun. Und was verbindet diesen gar mit dem Lütticher Jacques Charlier oder den Jüngsten der Gruppe CAP – Cercle d´Art Prospectif? Zweifellos handeln sie alle in kritischer Distanz zu einem traditionellen Kunstbegriff und zu ihrem künstlerischen Selbstverständnis. Kunst in Belgien heute ist unakademisch, unorthodox, anarchisch frei und vielfältig in ihrem Vokabular. Und alle stehen umso mehr in der Nachfolge von Magritte, als Pop Art und Konzeptkunst nachhaltig seine internationale Pionierrolle bewiesen haben. Ihnen, seinen belgischen Nachfolgern, muss er am nächsten stehen. Über ihn haben sie als 2. Bezugsperson Marcel Duchamp gewählt, auf den viele ihrer Stücke verweisen.
Charlier arbeitet nicht nur als technischer Zeichner beim Service technique de la Province de Liège, um seine Existenz zu sichern, sondern weil die meisten seiner Arbeiten Materialien seiner Berufstätigkeit vorführen. So hat er Straßen- und Landschaftsaufnahmen des Behördenfotografen anonym ausgestellt, eine Reihe von Lappen, an denen seine Kollegen routinemäßig ihre Federn putzen (der Ausstellungsbesucher wertet diese Stücke als Beispiele neuer spontaner Malerei), er stellt einen dieser Kollegen in einem Film vor, wie er die Rolle des Elvis Presley als Rock´n Roll–Sänger täuschend kopiert. Charlier führt die Beschäftigung mit dem ready-made fort. Die letzten Arbeiten 1975 zeigen ihn als Gitarristen-Performer; die Verstärker erlauben ihm, einen Klangkörper zu schaffen, der den der Professionellen in seiner Ausbreitung weit übertrifft.
In der2. Hälfte der 60er Jahre hat Antwerpen an der internationalen Fluxus- und Happening-Bewegung stärker teilgenommen als Brüssel, weil Annie de Dekker mit der Wide White Space Galerie und Isy Fissmann und Kaspar König mit dem allzu kurzlebigen Künstlerhaus A 37 90 89 (seine Telefonnummer) ideale Begegnungsorte geschaffen haben. PANAMareno oder PANAMArenko (sein Künstlernahem vereinigt die Neigungen zum Fliegen und zur Gründerzeit) fuhr mit seinen Freunden Nihil und Happy Spacemaker einen großen alten Cadillac durch die Hafenstadt, gab sich als Multimillionär aus und begann, Flugmaschinen zu entwickeln – auf der Basis der Einheit von Menschen-, nicht Pferdekraft. Grundgedanke seiner Konstruktionen ist die melancholische Einsicht, dass die technologische Entwicklung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die Fähigkeit des Menschen zu fliegen beiseitegelassen hat. Eine Zeit lang schien es, als würde Panamarenko, der Künstler, diese scheinbare Fehlentwicklung zurücknehmen und das archetypische Bild des Menschen, der aus eigener Kraft fliegt, wiederbeleben. Doch mit jedem Stück, das er entwickelte, verunsicherte er sein Kunstpublikum: jeder neu entwickelte Prototyp einer Flugmaschine schien weniger Kunstwerk und mehr technische Erfindung zu sein. Eine Fülle von technischen Zeichnungen Dokumenten begleitete ihn und zeigte die Maschine in Funktion. Aber jedes Flugschiff stürzte ab – aus Höhen, die in Zentimetern gemessen werden.
Eine Bildserie von M;agritte heißt „La Trahison des Images“ (Der Verrat der Bilder). Dieser Verrat, die Illusion, die die Kunst produziert, ist Leitmotiv der belgischen Kunst bis in unsere Tage.
Abb. Panamarenko The Aeromodeller 1969/71