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Kunstwechsel

Suzan Pitt Asparagus

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KUNST ABC

DAS SPARGELTHEATER DER SUZAN PITT

Wem das Herz überfließt von heißer Freude, der mag in einem Theater sitzen und der Verdammung des Doktor Faust von Hector Berlioz beiwohnn, erleben, wie die gebratene Ratte und die stechenden Flöhe in Auerbachs Keller die Bühne verlassen, auf ihn stürzen, er mag Mephisto im nächtlichen Wald vor den klappernden Skeletten um Hilfe rufen, Margarete wird ihn lieben, bis Nachbarn und Soldaten ihn vertreiben, und über dem Kronleuchter des Opernhauses wird Christus gen Himmel fahren. So hat die amerikanische Meisterin des Zeichentrickfilms Suzan Pitt barocke lebende Bilder inszeniert (den Faust in der Hamburger Oper 1988, die Zauberflöte in Wiesbaden 1983) und ist mit dem ASPARAGUS, dem Spargeltheater ins Internet vorgestoßen – mit nahsichtigen Szenen, in denen ein Frauenpopo Würste in eine Kloschüssel entlässt, die sich als fröhlich kreisende Buchstabenkräuter erheben, und einen schwellenden Spargelphallus, um den sich eine zärtliche Hand schließt. Als ASPARAGUS nach seinen Premieren 1979 in New York und Europa schnell entdeckt wurde, hat sie dem Film ein kleines Modelltheater hinzugefügt, in dem etliche geknetete und kolorierte Figürchen von Theaterbesuchern im Spiegel der kleinen Bühne der Handlung folgen, die dort aus der Bühne drängt und über das entsetzte Publikum herfällt.

In der Geschichte der Opernhäuser gibt es nicht viele Beispiele, in denen die Schauspieler die Bühnen verlassen. Suzan Pitt lässt darüber nachdenken, dass die neu entwickelten Bild- und Tonprojektoren erlauben können, große Theaterräume mit hinreißenden Bildillusionen

zu füllen. Wem das Herz von Freude überquillt, der könnte auf der Empore des Aachener Stadttheaters Lysander begegnen, der in Shakespeares Sommernachtstraum Nick Bottom – Pyramus, den Esel durch das Auditorium treibt.

Suzan Pitt hat in dem Feld des bewegten Cartoons, in der Erfindung animierter Doodles, Phantasmen von Avataren eine lustvolle Meisterschaft entwickelt und dem Spiegel unserer vertrauten Wirklichkeit die erweiterte, wuchernde von Tag- und Nachtträumen hinzugefügt. Der horror vacui, der die Bewegungen in ihren Bildfolgen bestimmt, hat die New Yorker Galeristin Holly Solomon veranlasst, sie mit der Künstlergruppe der Pattern and Decoration Art auszustellen, und in ihrer Freude an Ausstattungen hat sie für ein Modestudio Kleidungsstücke entworfen.

Sie starb 2019. ASPARAGUS trägt ihren Ruf über ihren Tod hinaus. Die neue DVD enthält Stücke, die nach langen Pausen 1995, 2008 und 2013 entstanden sind – bizarr, melancholisch und frei von jener lustvollen Überfülle des Frühwerks.  Die Werke sind 8, 16 und 35 mm Filme, nicht länger als 27 Minuten. Labyrinthisch schillernd in vielen Farben, Comics in schnellen Läufen von Nah- zu Fernsichten, von Freunden vertont ­- die Märchen- und Wunderwelt einer Frau, die schwermütig nach dem Sinn ihres Lebens sucht.

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