Hartmut Ritzerfeld
Zeichnen
Wenn einer nichts als zeichnen will, einen Stift mit einer weichen Graphitmine zwischen 2 oder 3 Finger klemmt, einen rauen Papierbogen auf dem Tisch ausbreitet, einen dicken schwarzen Punkt in die Mitte des Blattes setzt, so hat er dem, was er zeichnen wird, ein Auge gegeben, sein Auge. Er wird sich zeichnen und eine Antwort auf Fragen suchen, die er sich stellt. Der Stift gleitet zögernd gleichmäßig über den Bogen, nein, er zittert nicht, zum Rand hin läuft er aus und ohne Unterbrechung zurück, er sucht keine eleganten Schwünge, eher leichte gekritzelte, wie Kinder sie lieben. Der Zeichner entdeckt, dass er sich auf dem großen Bogen verliert, er beginnt sich zu suchen und entdeckt sich auf einem großen Volumen aus 2 Teilen, einem „Nilpferd“, das ihn von rechts nach links trägt. Er freut sich. (Ob er Dürers Nilpferd kennt?). So fühlt er sich: fortgetragen von einer mächtigen, stampfenden Kraft, die zu bändigen ihm mit einer locker geführten Leine nicht nötig erscheint. Der Reiter soll nicht klein sein, seine Beine reichen bis zum Boden, aber er ist leicht. Der Zeichner entdeckt, dass er selbst ein Tier ist mit Hundekopf und gestrecktem Ohr. Der Stift hat seinen Lauf an wenigen Stellen unterbrochen und endet in der Mitte dort, wo der Reiter auf dem Sattel sitzt.
Es fehlen Worte, um ein Psychogramm des Autors zu schreiben, ohne Gegenstände zu verwenden, die der Leser kennt. Hartmut Ritzerfeld hat diese Zeichnung in den achtziger Jahren neben vielen anderen schnell geschaffen, und ich habe die fröhliche Leichtigkeit bewundert, die ihn beflügelte. An den Belastungen des Lebens „ritt“ er vorbei und sprach am liebsten mit sich selbst. Er ist sozusagen der Künstlerkünstler geblieben, und manchmal spürte ich, dass wir, die wir der Kunst ihren Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen suchten. Ihm nicht mehr als Gelächter abgewonnen haben.
Zu einem Monolog können auch neuartige Medien dienen („Selfies“), aber die Arbeit zwischen Kopf, Hand, Stift und Papier ist das einzige Selbstgespräch, das Erkenntnisse vermittelt, wenn es entsteht.
Heute wird Hartmut Ritzerfeld in Büsbach 70 Jahre alt.

7. Oktober 2020 um 13:56
Wir (Annette und ich) mögen Deine Texte sehr! -:)
LikeLike