Duane Hanson in Paris 1976
37. Kalendergeschichte
1974 konnte ich vom Berliner Künstlerprogramm eine Ausstellung von Duane Hanson für die Neue Galerie übernehmen. Seine Supermarket Lady war schon die „Mona Lisa“ des Hauses geworden. Wir würden sie nicht zur Eröffnung des Centre Pompidou in Paris 1977 ausleihen. Hanson hätte es gern gesehen und rächte sich für die Verweigerung auf seine Weise: käme er nicht in die Erstausstellung, so würde ich in der Baustelle vor dem Museum eine Skulptur von ihm finden.
Vor der Eröffnung traf ich ihn vor dem Centre Pompidou wieder, und er lachte: natürlich sei sie da, ich sollte nicht versäumen sie zu suchen. Hanson ist ein Meister der Mimesis; als wir die Supermarket Lady an der Kasse des Kaufhauses gegenüber der Neuen Galerie ausstellten, gingen die meisten Menschen achtlos nahe an ihr vorbei. Es würde also nicht einfach sein, seine Skulptur hier zu finden. Nach einigen Spaziergängen durch die bewegte, staubige große Baustelle um die Rue Beaubourg gab ich die Suche auf.
44 Jahre später digitalisiere ich ein schwarzweißes Kleinbild-Negativ aus jener Zeit und schaue fasziniert in diesen großen Container, den ich aus dem 2. Stock des Museums aufgenommen habe. Zweifellos interessierten mich die 2 Männer deshalb, weil ich nicht ausschließen konnte, dass einer oder beide jene Skulpturen von Hanson sind, die er angekündigt hatte. Die Männer scheinen nicht zu arbeiten; der kleinere steht dem großen nahe gegenüber und stützt sich auf eine Schaufel. Der Große lehnt teilnahmslos an der Wand. Er entspricht meiner Vorstellung des baumlangen kräftigen Farbigen, und mich verwirrt seine schwarze Weste über dem weißen Hemd, die von der Arbeitskleidung abweicht. So könnte er ein Security Guard sein, wie Hanson sie mehrfach gestaltet hat. Ich schließe auch nicht aus, dass der Kleine als Lebender erst langsam begreift, dass der andere eine Imitation, eine Fälschung ist, die eigentlich hier nichts zu suchen hat. Für eine zurückgebliebene Schaufensterpuppe aus einem Kaufhaus, das hier Männerkleidung anbot, hält er ihn nicht.
Hanson ist vor 24 Jahren gestorben. Er kann nicht mehr ausschließen, die große Gestalt des unberührten Schwarzen hergestellt zu haben. Der kleine erregte Pariser hätte seine Brille vergessen und den Fremden verjagen wollen, bevor er ihn als leblos erkannte. Hanson würde mir gratulieren, die Figur entdeckt zu haben, denn wenige hätten sie wahrgenommen und so hätte er sie nach einigen Tagen weggeräumt. Eifersüchtig hätte er verfolgt, wie Gordon Matta-Clark mit seinem großen Loch in der Außenwand des Abrisshauses nebenan die Aufmerksamkeit aller auf sich zog.
Das Digitalisieren alter Negative erlaubt, sie auf dem Bildschirm neu zu betrachten. Sie erzeugen, da sie nicht beschriftet waren, Geschichten, die sich wie Kletten an die Erinnerungen heften.
