Beckeraachen

Kunstwechsel

Timm Ulrichs in Aachen 1970

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1970 – 1990 20 Jahre Neue Galerie im Alten Kurhaus

Zum 80. Von Timm Ulrichs

50 ° 46´ 42´´ nördlicher Breite, 6° 5´ 24´´ östlicher Länge

Vom Null-Meridian 429,40 km entfernt

165 m über dem Meer

Vom Erdmittelpunkt 6371 km entfernt

Bewegt in Erdrotationsgeschwindigkeit von 1056,60 km/std.

Damals, als Timm Ulrichs 1969 in das Alte Kurhaus kam, begannen einige Künstler wie Konrad Klapheck und Gerhard Richter ihre Bilder auszupacken und Plätze für sie zu suchen. Ulrichs half ihnen, die Wände zu vermessen. Er zeigte die Härtetests des Betons in der Baustelle, kennzeichnete die Himmelsrichtungen, plakatierte die trigonometrischen Daten und leitete einen Steinmetz an, die Längen- und Breitengrade des Hauses in den Marmorboden des Vestibüls zu schlagen.  Die Frage, warum die Kronleuchter im Ballsaal sich bei dieser enormen Drehgeschwindigkeit nicht bewegten, beantwortete er geduldig.

Die Erdachse hat nicht aufgehört, ihn zu interessieren (vor dem Magdeburger Hauptbahnhof) ebenso wie der Mittelpunkt der Erde (eine Pyramide zu ihm in Bergkamen). Die Nutzung der Messdaten des Universums sicherte ihm seinen eigenen Standort, seine Existenz und mehr noch die Existenz des Künstlers zwischen Null und unendlich.

Wir trafen uns in dieser Baustelle als Hannoveraner und wussten wenig über die Kurstadt, den Ballsaal, die Schokoladenfabrik und die Kunstsammlung, die hier ausgebreitet werden sollte. Wir verfolgten aus den Fenstern, wie die täglich eintreffenden Bildertransporte die Komphausbadstrasse blockierten. Ein Leierkastenmann spielte aus Spaß für die Besucher der Kunstbaustelle. Etliche kannten Timm Ulrichs, und andere hatte er aus Braunschweig mitgebracht, um ihm zu helfen. Später bediente Christiane Möbus (noch eine Hannoveranerin) eine dieser neuartigen Xerox-Kopier-Maschinen, die ich für sie ausgeliehen hatte. Jeder durfte Wangen oder Hände auf die Platte legen und die Fotokopie signiert nach Hause mitnehmen. (Ihre Arbeit habe ich immer wieder ausgestellt).

Ulrichs missachtete den Kunstmarkt, produzierte keine wertvolle „Ware“, sondern Drucksachen, Flugblätter, Postkarten, „Totalkunst“, in der der Künstler als eine herausgehobene, schillernde Persönlichkeit, ein Denkmal der Kreativität (18.360 cm² Körperoberfläche, Schädelabguss in Beton für ein „Kopfsteinpflaster“, Grabstein für die Kasseler Nekropole vorgefertigt) gefeiert wird, das sich erlauben kann, seine Welt am Himmel zu signieren.

In der Komphausbadstraße trugen er und sein Ruhm dazu bei, den Standort des transformierten Kurhauses im globalen Netzwerk der Kunst zu bestimmen, einen neuen trigonometrischen Punkt jenem Obelisken Napoleons auf dem Lousberg hinzuzufügen. Er hat 20 Jahre nicht überdauert. Aber Timm Ulrichs Standortbestimmung im Marmorboden des Vestibüls gemeißelt ist erhalten.

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