Kunst ABC Der Fotograf als Sammler – Wilhelm Schürmann
Der Dortmunder hat den trockenen Humor und Akzent des Ruhrpotts behalten, obwohl er seit 70 Jahren im Westzipfel Deutschlands lebt und arbeitet – als Fotograf, Händler historischer Fotografien, Professor der Fotografie. Als Händler geriet er (vor 1989) an die Nachlässe der in der Fachwelt berühmten Prager Fotografen, und verkaufte sie 1984 an die Getty-Foundation in Malibu, die damals ihre Sammlung aufbaute (und von Peter Ludwig im Jahr zuvor die illuminierten Handschriften des Mittelalters erworben hatte). Die erste Arbeit eines zeitgenössischen Künstlers konnte er noch gegen Fotos tauschen, die er in der alten Schokoladenfabrik in der Deliusstraße aufnahm (mit einer Erlaubnis, die ich ihm vermitteln konnte). Hans Haake verwendete sie in der großen Arbeit „Der Pralinenmeister“, eine Satire über den Kunstsammler Ludwig, und Schürmann erhielt zwei Tafeln daraus. Der Kölner Galerist Paul Maenz stellte mutig den „Pralinenmeister“ aus, und, während die Neue Galerie die NEUEN WILDEN bekannt zu machen begann – zeigte er Die MÜLHEIMER FREIHEIT mit Bömmels, Dahn und Dokoupil. Schürmann tauchte in diesen Hype der neuen Deutschen ein und gewann einen Freund in dem Dortmunder Martin Kippenberger. Mit ihm zeigte er „Gemalte und fotografierte Bilder“ in der Neuen Galerie: A SONG OF JOY.
Bis heute hat der Fotograf, der – analog oder digital – wie alle Fotografen in ein Korsett von Gewohnheiten, Regeln und Ordnungen eingeschnürt ist, die Anarchie der freien Kunst bewundert als eine „permanente Erneuerungsmaschine“, die nicht aufhört, „glaubwürdige, beispielhafte“ Bildanstöße auszulösen.
Am 27. Dezember 1991 hat die Kalifornierin Julia Scher die Sammlung Schürmann in seinem Haus in Herzogenrath in einer Video-Überwachungsanlage als Kunstwerk aufgenommen. 1992 zeigte er sie im neu eröffneten Ludwig Forum und gab dazu ein Buch DIRTY DATA heraus, in dem sich katalogisierte Werke von seinen europäischen Favoriten Georg Herold, Albert Oehlen, Martin Kippenberger, Günther Förg und Franz West mit amerikanischen wie Raymond Pettibone, Cady Noland, Jeff Koons, Mike Kelley, historischen Fotos von Robert Frank, Larry Clark, Manuskripten, Gedichten und reprints von Zeitungsartikeln zu einem Gesamtbild mischen, das bis zum Impressum ganz von ihm bestimmt ist.
Keiner wird ihm den Mut streitig machen, als Sammler einsame Entschlüsse zu fassen, Werke zu erwerben, die so komplex, umfangreich oder vergänglich sind, dass eine dauerhafte Präsentation undenkbar erscheint. Diese Lust, bedenkenlos zu sammeln, in Partnerschaft mit Künstlern zur Realisierung von Bildentwürfen beizutragen, baut auf einem Feindbild auf,
in dem alle Giganten unter den Sammlern von Getty bis Würth zusammengefasst sind, die eine Sammlung wie einen Konzern führen, und der Aachener Schokoladenfabrikant war sein nächster Nachbar, nach dessen Tod er sich 2015 den Wunsch erfüllen konnte, m Ludwig Forum die beiden Sammlungen zusammenzuführen: LE SOUFFLEUR – SCHÜRMANN TRIFFT LUDWIG.
Sein Katalog zu dieser Ausstellung ist ein Meisterwerk. Er führt in Raumfotografien von Schürmann selbst so durch das Haus, dass die Werke sich in den Räumen begegnen, zuweilen mehrfach in wechselnden Blickrichtungen. Sie sind nicht vereinzelte Kostbarkeiten, beladen mit den Namen berühmter Autoren, im Gegenteil, viele Unbekannte treten auf, sogar anonyme Autoren von fotografischen Fundstücken („Marilyn Wardrobe Test Photogtaph 50er Jahre“), Zeit- und Ortssprünge (das Foto eines Ringkampf-Champions aus dem Sudan von George Roger 1949 neben einem Arbeiterbild von Ulrich Lamsfus von 2008), das Bildnis Richard Serras von Chuck Close in der Sammlung Ludwig erblickt der Vorbeigehende angeschnitten neben dem Foto des Milchtrinkers von General Ideas, Klaphecks „Athletisches Selbstbildnis“ von 1958 neben Simon Dennys „Bentin Startup Case Mod: Getyour Guide“ von 2014; natürlich steht die Besucherin neben der Supermarket Lady von Duane Hanso still und schaut ihr in die Augen.
Die Vorstellung eines Museums mit seinen Reihen vereinzelter Meisterwerke, chronologisch geordnet, nach Gattungen getrennt, mit seinen alphabetisch geordneten Sammlungskatalogen, seinen Exkursen in die Kunstgeschichte der Ableitungen und Ikonografien weicht einer unterhaltsamen Schau und einem erregenden Bilderbuch, das keiner erläuternder Kommentare bedarf, einer Ausstellung, in der der Kurator, einem Dirigenten gleich, die Blicke des Betrachters lenkt. „Im Schatten unserer Blindheit“ heißt ein anonymes Foto. Es hat mir die Augen geöffnet.
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24. April 2020 um 21:20
Das Bild ist ikonisch, warum kennt man das nicht?
Darf man das weiterzeigen oder kommt dann gleich der Abmahnanwalt?
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