- Kalendergeschichte – D E R G R O S S E S P R U N G
Wenn nur 750 Millionen Chinesen, einem Befehl folgend, im gleichen Moment von 2 m hohen Plattformen springen, jeder 1 Zentner schwer, so erzeugen sie ein Erdbeben von der Magnitude 4,5 auf der Richter-Skala, das in China großen Schaden anrichtet. Wiederholen sie diesen Sprung alle 54 Minuten immer dann, wenn einer der Stöße den Erdball umkreist, so erzeugen sie eine Erschütterungswelle, die auch andere von China entfernte Länder beschädigt. Um dem Beben, wenn es den Pazifik überquert, entgegenzuwirken, müssen die Bewohner der Westküste Amerikas, eine kleinere Zahl von Menschen, dann, wenn es sich nähert, von Plattformen herabspringen, die etwa 10 m hoch sind.
Als Siegfried Neuenhausen 1971 im Ballsaal der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig in Aachen seine Ausstellung um die Skulpturengruppe der „Bürger von B.“ aufbaute, entrollte sein Assistent Gendolla ein großes Panneau, auf dem der große Sprung zu lesen war. Damals lebte noch Mao Tse Dong, und kleinere oder größere Erdbeben erwartete niemand. Die Kunstwelt studierte die Chinesischen Varianten des Sozialistischen Realismus, Harald Szeemann bemühte sich, den „Hof für die Pachteinnahme“ für die documenta zu gewinnen. Alle, die den Text lasen, lächelten. Tim Ulrichs fand in seinem Archiv die Quelle, die Gendolla benutzt hatte, und schickte sie mir; David Stone, Geophysiker der Alaska University, hatte seinen Artikel am 19. Dezember 1969 in TIME veröffentlicht und ihn auf ein altes Zitat von Mao bezogen: „Several hundred million peasants will rise, like a mighty storm, a force so swift and violent that no power, however great, will be able to hold it back.” Seit 1927 haben sich die Chinesen vermehrt. Nun sind sie nebenan, und wir teilen Leben und Tod mit ihnen.