Kunst ABC
N A C H R I C H T E N N E W S
V O S T E LL S L U N G E N E N T Z Ü N D U N G
Der Künstler Wolf Vostell teilt in einer handgeschriebenen Botschaft, großzügig quer auf ein DIN A 4-Blatt gesetzt, mit, dass er eine, seine Lungenentzündung vom 2. bis zum 15. Januar 1970 ausgestellt hat – betitelt RLL = Run Length limited (begrenzte Laufdauer).Der damals 38-jährige happening- und fluxus-Künstler war in Westdeutschland bekannt; die Nachricht kann nicht so verstanden werden, dass er einer Todesgefahr entronnen ist, sie berichtet nur von einer der Ausstellungen, mit denen er beschäftigt ist und, dass er sich auch in Chicago präsentiert hat. Heute schriebe sein Nachfolger: “Meine Corona-Infektion im Grand Hyatt Hotel in Hongkong vom 20.2. bis zum 5.3. 2020 ausgestellt“.
Künstler haben in den 60er Jahren begonnen, jener Regel der Massenmedien zu folgen, dass die Botschaft ihren Träger vergessen lassen muss – und sie gebrochen. Andy Warhol malte die Schlagzeile des New York Mirror „129 die in jet“ auf eine Leinwand, und Lawrence Weiner verwandelte das Medium der Wortpropaganda im öffentlichen Raum in Buchstabenfolgen auf Galeriewänden, etwa „Funken zu Flamme, Spark to Flame“ oder “After here & there“. Die Botschaften nahmen die Provokation auf, Kunstwerke zu sein. Vostell hat die Nachricht über seine Krankheit nicht gedruckt, sondern mehrfach auf ein Blatt Papier geschrieben und einigen Freunden auf den Tisch gelegt – ein Autograph, ein Geschenk, das an Wert zunehmen würde – keine Nachricht, niemand würde fragen, wie viele Chicagoer ihn besucht haben. Man begreift: der Künstler Wolf Vostell: das sind nicht nur seine Werke, nicht nur die Fotos seiner Person mit Kippa und Pejes-Locken, sondern sein Herz, sein Gewissen, seine Lunge. Performance-Künstlern sind solche Demonstrationen seit den 60er Jahren geläufig – bis hin zu blutigen Selbstverletzungen. Damals war das Kunstpublikum eingeladen, dem Sterben eines todkranken Künstlers in der Kölner Galerie Klang beizuwohnen. Es erschrickt nicht mehr, wenn ein russischer Künstler seine Hoden auf dem Pflaster des Roten Platzes festnagelt. Diese Künstler bevölkern ein Welttheater, in dem die Nachricht der realen Begegnung, der Vorführung, der performance folgt. So hatte Vostell sein Happening „Nie wieder – never – jamais“ gemeint, das er unter lauten Protesten am 20. Juli 1964 im Audimax der Aachener RWTH inszenierte. Die Nachricht durchlief die Medien und bleibt in Büchern erhalten.