Beckeraachen

Kunstwechsel

Paradigmen wechsel

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P A R A D I G M E N W E C H S E L

Der Fotograf Wilhelm Schürmann erzählt, dass er vor 50 Jahren weit gefahren ist, um seine Exacta Varex Spiegelreflexkamera gegen eine Nikon zu tauschen, die den Film mit einem Motor transportierte. Andere kauften sich eine der neuen Polaroid-Maschinen; wir fotografierten zum ersten Mal in Farben mit Kodak Instamatic Filmen und filmten Super-8. Nam June Paik arbeitete an seinem analogen Videosynthesizer und verteidigte die ersten Video-Clips gegen die 16 mm-Filmer Andy Warhol und John Mekas.

 

Das digitale Zeitalter hatte begonnen. Der Bildschirm des Rechners würde die Dunkelkammer ersetzen, der Tintenstrahldruck auf Papier den Abzug aus dem Wasserbad. Die Unsicherheit der Beschreibung und Bewertung war überall zu spüren. Ein Nullpunkt kam näher. ZERO firmierten Mack, Piene und Uecker. Der Betonklotz von Bruce Nauman, der nichts materialisierte als die Luft unter einem Stuhl, setzte einen neuen Standard für die Bestimmung von Kunstwerken.

Heute fotografiere ich mit einem Smart Phone und begreife, dass die Aufstände und Revolutionen um 1968 einen PARADIGMENWECHSEL sichtbar machten (Thomas S. Kuhn erfand das Wort 1962), in dem Wissenschaftstheorien ebenso neu formuliert werden mussten wie alle Ordnungssysteme, die unsere Kultur und Kunst bestimmen. Wenn die Apparate ausgewechselt werden, sind auch die Produkte, die wir herstellen, andere.

 

Kicken und Schürmann 1974 ihre Fotogalerie LICHTTROPFEN in Aachen gründeten, boten sie nicht Kunst, sondern FOTOGRAFIE, und zeigten Beispiele aus der europäischen und amerikanischen Fotogeschichte. Ich war fasziniert und kaufte bei ihnen für 150 DM den Print „Road – Italy – 1973“, hinten mit Bleistift bezeichnet und signiert von Emmet Gowin. Alle Fotos, die ich damals kennenlernte, zeigten – unsicher in ihrer Bestimmung und Wertung – die Entfernung vom gezielten Schnappschuss, die Nähe zum Zufall, die Suche nach Geheimnis und eine Verdichtung der Textur. Wolfgang von Contzen schenkte mir das Bild eines Wegrands, das er „aus der Hüfte“ geschossen hatte. Er erkannte es erst in der Dunkelkammer. Für den Grad der Verdichtung in solchen Aufnahmen verwendete Schürmann später den Begriff der Entropie. Einen Zustand medialen Erdbebens erzeugte er 1983 in der Neuen Galerie mit seinen „Fotografierten Bilder“ und Martin Kippenbergers „Gemalten Bildern“  unter dem übermütigen Titel „A Song of Joy“, Ungläubigkeit, Unsicherheit und Angst  ersetzten traditionelle Glaubwürdigkeit Die doppeldeutigen „Zeitbilder“-Ikonen aus zwei vormals geschiedenen Gattungen fanden wunderbar zu einander. Heute sind Fotografien nahtlos in den Kunstmarkt aufgenommen. Inmitten des Paradigmenwechsel diskutierten wir über Arnold Gehlens „Zeit-Bilder. Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei“. (Er war in Aachen bis zu seiner Emeritierung an der RWTH 1969 eine umstrittene Autorität.) und die documenta 6 in Kassel 1977 und ihre Aufnahme der Fotografie in die Sphäre der Kunst – ihre Definitionen, Wertungen, Kritiken, ihre Öffentlichkeit und ihre Märkte.

Abb. Bruce Nauman, A Cast of the Space under my Chair, 1965-68 – Emmet Gowin, Road – Italy, Foto 1973

 

 

 

 

 

 

 

 

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