Kalendergeschichten – news – fake news
Die social media teilen Zustandsbekenntnisse, Kommentare zu Tagesereignissen, Berichte von Erlebnissen, politische Pöbeleien und Berichte über Kunsterfahrungen mit. spontan, improvisiert, und verlieren schnell ihre Aktualität – wie die Tageszeitungen. Deer „Trierische Volksfreund“ erschien1875 zuerst 3x wöchentlich, später täglich. Der „Rheinländische Hausfreund“, der Johann Peter Hebels Kalendergeschichten 1803-14 verbreitete, war dagegen ein Jahreskalender, der die Stunden-Aktualität der social media auf die Dauer von Jahren verlängerte. Nachrichten wurden Literatur.
Die 9. Kalendergeschichte Zum großen Monarchen
Eigentlich wollten Winfried und seine Freunde im Oktober 1920 im Restaurant Carlton des Hotels zum Großen Monarchen über die Monarchisten herziehen. Das hatte er freilich seinem Vater, dem Geschäftsführers des Hotels, nicht gesagt. Der war kein Monarchist, residierte aber gern, wenngleich er seit 2 Jahren seine Steuern einer Republik zahlte, in einem Hotel, das mit der Heißen Quelle, die er in den Baderäumen nutzte, einem Monarchen gewidmet war. Sein großes dreistöckiges Haus mit einem beherrschenden Giebel am Büchel war eines der feinsten am Platz.
Das Wort Monarch erhält sich die Sphäre des himmlischen Mandats, die eine unfassbare Macht enthält. Waren Hotel und Quelle nach den 3 Monarchen des Aachener Friedenskongresses 1818 genannt, nach den legendären Kaisern Heinrich II. und Friedrich Barbarossa oder der Chimäre einer Vision, die sich mit einer Marienerscheinung 1846 im Kloster von La Salette zu entwickeln begann und etliche Blütezeiten erlebte? Ihr Großer Monarch, der Erlöser und Friedensbringer der Zukunft, ist er ein Franzose oder ein Deutscher? Ein Katholik? Ist er unbesiegbar? Wird er die Finsternis und Hungersnot beseitigen? Wird er die Weltrevolution führen? Wird er aus Russland kommen und im Namen des alten rechten Glaubens die Protestanten Europas vernichten? Wird er nach Jahren des Blutvergießens Eintracht und Wohlstand herbeiführen?
Die monarchistischen Politiker hatten nach der Gründung der Weimarer Republik im November 1918 100-Tages-Programme einer Reichsregierung bekanntgemacht, die die Wiedererschaffung des Sacrum Imperium, die Einsetzung eines Königs, des Primas Germaniae und der Reichskirche, die Wiederschaffung des Lehnsrechtes und des Untertanenstatus vorsieht. Winfried war erstaunt, 86 Jahre später das Programm aktualisiert bei Wikipedia wiederzufinden. Darin ist sogar der Abriss der Autobahnen vorgesehen.
Einige Graffiti-Maler um Hook gaben 2011 an der Hauswand vor dem Kanaldeckel, der die Quelle des großen Monarchen zudeckt, ihm, dem Monarchen das Gesicht des Verbrecherlords Jabba auf Tatooine aus der Starwars Saga. Der Gottgesandte lebt als Dämon fort.
Als Winfrieds Vater entdeckte, dass die 5 Studenten nicht ein fröhliches Fest inszenieren – etwa „Ein Maskenfest auf Capri“ – , sondern sein eigenes königliches Nest beschmutzen würden, klebte er das Anna-Blume-Gedicht von Kurt Schwitters an ihre Tür „Anna Blume, du tropfes Tier, ich liebe dir.“ und den kämpferischen Spruch „„Der Sozialismus verhält sich zum Bolschewismus wie die Grippe zur Lungenentzündung: Jene macht einen krank, an dieser stirbt man“. So war die Richtung vorgegeben, nicht nach rechts, sondern nach links sollte die Satire zielen, nicht zum düsteren Sinn, sondern zum heiteren Unsinn. So vertraten Winfried und seine Freunde, deren Namen nicht überliefert sind, den RHEINDADA, und das „Echo der Gegenwart“ berichtete über sie am 22. Oktober. Winfried war als Anna Blume maskiert, „unseres Wissens eine Art künstlerisches Idol der Bewegung“. “ein Jüngling im Hosenrock, tanzte nicht schlechter als manche weibliche Tanzblume“ Der Kritiker berichtete, dass die „politischen, literarischen und gesellschaftlichen Knallerbsen“ „mit Singen, Pfeifen, Johlen, Miauen, Bellen“ quittiert wurden, und schließt mit dem Satz „Wir haben ernstere Dinge zu tun, als dass wir uns in übermütiger Zeitvergeudung mit den tollen Launen sorgloser Literaten befassen könnten.“ Das versteht jeder, der sich die düsteren Jahre nach dem 1. Weltkrieg vorstellen mag. 5 Reichsmark Eintrittsgeld waren so viel wie 5 Pfennige 1914.
Über das tumultuarische fluxus-Festival am 20. Juli 1964 in der Aula der RWTH sind wir ausführlicher informiert, so dass wir die Aggressivität der Ansprachen und ihre politisch-philosophischen Inhalte bewerten können. Im Oktober 1920 hat uns bereits der Ort der Veranstaltung, von dem eine Postkarte bekannt ist, und der vornehme, belastete Name misstrauisch gemacht. Aber schließlich fand die erste Stunde von DADA in Zürich auch in einem Café statt. Freilich trug es nicht den Namen eines Monarchen, sondern eines Philosophen der Aufklärung: Voltaire.
Abb. Hotel Zum Großen Monarchen 1906