Beckeraachen

Kunstwechsel

Überschwemmung

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Kcho Boat people 1994Die 8. Kalendergeschichte – ÜBERSCHWEMMUNG

Der junge Amerikaner aus Arlington, der, ohne Geld zu nutzen, durch Europa wandert, hat sich auf dem Lousberg in dem verlassenen Forsthaus gegenüber dem Couven-Pavillon eingerichtet. Die alte Frau Houben bringt ihm regelmäßig Brot und Gemüse und plaudert gern über die Kriegsjahre. Damals, 1944, hat sie sich im Keller ihres Hauses in der Kupferstraße versteckt und mit Kartoffeln ernährt. Der Keller war nass, der Regen drang vom Abhang hinein. Jetzt steht er unter Wasser. Die unteren drei Etagen ihres Hauses sind überschwemmt. Sie hatte ihre holländischen Freunde ausgelacht, die aus Angst vor der großen Flut am Atlantik hoch gelegene Häuser in Limburg, in der Eifel und im Bergischen Land kaufen. Auch sie nutzen jetzt ihre Motorboote, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Sie haben Stricke mitgebracht und ihr eine Leiter geknüpft, auf der sie vom 4. Stock ihres Hauses zu dem Rokoko-Gitter des Couven-Pavillons klettern kann. Von dort bis zum Belvedere auf dem Berg betritt sie festes Land und schaut über eine Seenlandschaft, die sich viele nicht hier, sondern nebenan gewünscht haben, dort, wo die tiefen Gruben des Kohleabbaus langsam mit Rheinwasser gefüllt würden und Segelregatten, Tauchmanöver, Anglerwettbewerbe zulassen würden.

Bei klarem Wetter würde sie bis zum Hohen Venn schauen und in dem Aachener Becken recht genau die 15 kleinen Rauchsäulen der heißen Quellen lokalisieren,  die sich durch das kalte Wasser empordrücken.

Als allein die Kupferstraße die Fahrt zur Spitze des Lousbergs erlaubte, gab es einen Bildhauer in Aachen, der meterlange Haifische aus Drahtgeflechten herstellte. Kunstbegeisterte Einwohner schlugen ihm vor, etliche wie Girlanden über die Straße zu spannen, so dass Autofahrer das Augenblickserlebnis einer submarinen Durchquerung hätten. Jetzt warten sie auf dem Dach ihres Hauses auf die Ankunft der Fische selbst.

Es regnet heftig seit vielen Tagen, und es ist warm geworden. Sie erinnert sich an das laute Trommeln der Tropfen auf dem Blätterdach des Krals in Kribi in Kamerun. Starke Monsungüsse wie aus Eimern in mehreren Nachtsunden und mächtiger Dunst über dem Meer, wenn die Sonne aufstieg. Das war ein Neckermann-Urlaub vor langer Zeit.

Der Amerikaner sichert das Dach und seine Abflussrinnen und versucht, den Ratten, Mäusen, Eichhörnchen und Füchsen den Zugang zu erschweren. Gegen Spinnen, Wespen, Mücken, Fliegen, Mistkäfer, Flöhe, Wanzen, Schimmelpilze und zahllose, dem menschlichen Auge nicht sichtbare Flüchtlinge ist er machtlos. Nie ist ihm die Welt so dicht bevölkert erschienen.

Er hat Fragmente von Krebsen, Schnecken. Korallen und Muscheln aus dem Boden gekratzt, die 80 Millionen Jahre lang hier ein großes fischreiches Meer bevölkerten – 80 Millionen gegen die Zeitrechnung unserer Zivilisation von 5000!

Er zeigt der alten Frau im Obergeschoss des Couven-Pavillons eine Wohnung, die sich ein Professor der RWTH nützlich eingerichtet hat; er könnte nachfragen, ob sie das Hausrecht übernehmen dürfte. Eigentlich erscheinen solche Ansprüche jetzt veraltet, und es wird wichtiger zu überlegen, wie vielen Flutflüchtlingen Gastrecht gewährt werden kann. Der angenehme Egoismus des Wohlstandes weicht einer selbstverständlichen Einsicht des Miteinanders.

Taucher haben im Aachener Becken Funkmasten und Stromleitungen vom Boden gelöst und auf Pontons eingerichtet, um den Kontakt der Smartphones und die Energiezufuhr der Server zu erhalten. Satelliten kreisen nahe. Im Forsthaus funktionieren Radio, TV und Wlan einwandfrei. FRIDAYS FOR FUTURE hat eine große Demonstration angekündigt. 10.000 Boote werden am Freitag über dem Kölner Hauptbahnhof ankern.

 

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