Kalendergeschichten – news – fake news
Die social media teilen Zustandsbekenntnisse, Kommentare zu Tagesereignissen, Berichte von Erlebnissen, politische Pöbeleien und Berichte über Kunsterfahrungen mit. spontan, improvisiert, und verlieren schnell ihre Aktualität – wie die Tageszeitungen. Deer „Trierische Volksfreund“ erschien1875 zuerst 3x wöchentlich, später täglich. Der „Rheinländische Hausfreund“, der Johann Peter Hebels Kalendergeschichten 1803-14 verbreitete, war dagegen ein Jahreskalender, der die Stunden-Aktualität der social media auf die Dauer von Jahren verlängerte. Nachrichten wurden Literatur.
PRALINEN FÜR KUBA
Auf dem Rollfeld des Flughafens von Varadero bewegte sich im Wind einer landenden Maschine ein Mann mühsam vorwärts, der auf jedem seiner Arme einen LADA-Reifen trug (eine begehrte Mangelware auf Kuba). Er war ein Minister, und sein Fahrer erwartete ihn an seinem Dienstwagen. Der Minister kam aus Düsseldorf und hatte in Aachen mit kubanischen Künstlern verhandelt. Ihnen war es gelungen, jenseits der polnischen Grenze auf einem der größten Schrottplätze Europas 3 LADA-Limousinen auszuweiden, aneinanderzuschweißen, zu glätten, zu lackieren und zu polieren, so dass sie einer U.S.-Großlimousine zum Verwechseln ähnlich sahen – ein Prachtstück kubanischen Erfindungsgeistes gegen den Protz der Millionäre in Miami. Sie wünschten es in Havanna auszustellen, und versuchten, ihn mit dem Geschenk von LADA-Reifen für sein eigenes Auto freundlich zu stimmen.
Der Geschäftsführer der Düsseldorfer Fluglinie hatte die Limousine besichtigt. Er war durchaus motiviert, viele Mittel einzusetzen, um die Flüge zu den sozialistischen Stränden und Hotels von Varadero deutschen Touristen anzupreisen, verteilte Flugtickets an kubanische und deutsche Künstler und Kuratoren und überredete seine Piloten, Kunstwerke als Sperrgüter in Passagiermaschinen mitzunehmen. Für die Limousine schlug er freilich an Ende einen Katamaran vor, der in Düsseldorf produziert und auf dem Rhein zu Wasser gelassen werden könnte. Er appellierte an die Direktion einer rheinischen Schokoladenproduktion, sich an den Kosten zu beteiligen und gewährte ihr das Privileg, in den Maschinen zwischen Düsseldorf und Varadero durch die Stewardessen Pralinés verteilen zu lassen.
Der Fahrer des Ministers lud die Reifen in den Kofferraum und bot seinem Dienstherrn ein Taschentuch. Der wischte sich die Schokolade von den Lippen.