D A S S E L F I E – D I E F Ü S S E – C H R I S T I A N E MÖ B U S
Als ich in diesen Tagen den rechten Fuß des berühmten preußischen Malers Adolf von Menzel sah, versuchte ich, mich meinem eigenen so weit zu nähern wie der Künstler. Er saß – vielleicht auf der Bettkante. Das kleine Gemälde in der Berliner Nationalgalerie, dem Wikipedia eine Monografie widmet, ist mehr als eine Studie, die Teil eines größeren Bildes werden sollte. Es verrät die Besessenheit eines Malers, der nichts betrachtet, das er nicht malen möchte, und der souverän und uneitel genug ist, um zu vergessen, wem das Bild bestimmt ist. Und dann fiel mir das fast gleich große Farbfoto von Christiane Möbus in die Hände, ein Geburtstagsgeschenk 2016 nach einem Negativ von 1974. Menzels Fuß war 60 Jahre alt und hatte ein Leben lang in Schuhen und Stiefeln gesteckt. Der große Zeh reckt sich frei. Die Füße der Christiane Möbus sind 27 Jahre alt, und die sorgsam lackierten Nägel verraten, dass sie sie gern nackt oder in offenen Schuhen zeigt. Auch sie sind nah und nicht dramatisch, sondern sanft von rechts beleuchtet. Die Fotografin konnte ein schwaches Teleobjektiv benutzen, um ihren Füßen näher zu kommen. Mich irritiert die Nachricht, dass Menzel das Bild der Berliner Galerie Wagner zum Verkauf gab. Sein Fuß wurde ihm gleichgültig. Mich irritiert mehr noch, dass Christiane Möbus mir zu meinem Geburtstag 2016 einen neuen Abzug des Bildes von 1974 mit einer Widmung schenkte. Sie gehört zu den Künstlerinnen, die meine gesamte Laufbahn begleitet haben – von den ersten Tagen der Neuen Galerie, als sie mit Timm Ulrichs aus Braunschweig anreiste und an einer der jüngst entwickelten Xerox-Maschinen (die ich leihen konnte) im Ballsaal die Besucher anleitete, ihre Gesichter, Wangen, Hände (nicht Füße) zu fotokopieren, während Ulrichs die Erdkoordinaten der Neuen Galerie in den Boden der Eingangshalle meißeln ließ. Fortan habe ich zahlreiche ihrer Ausstellungen begleitet und mich bemüht, die poetischen Bildinstallationen, die sie entwarf, zu ermöglichen – Fallschirme aufzublasen, LKW-Chassis zu transportieren – und zu deuten. In meiner Abschiedsausstellung „Streitlust“ 2001 baute sie „Auf dem Rücken der Tiere“ eine große leibhaftige Arche Noahs auf lebensgroßem Tierpräparaten auf – Hirsch, Löwe, Büffel, Fuchs, Kakadu, Zebra, Flusspferd u. a. – in der Halle des Ludwig Forums auf. Sie forderte mich, den Kurator, heraus, sie beanspruchte mich, setzte sich sanft, aber kompromisslos durch. Ich litt an ihr. Lag ich ihr zu Füßen? Am Boden hätte ich ihre Füße sehen müssen, wie Mantegna die des toten Christus gemalt hat. Stattdessen schauen ihre Füße mich an, die kleinen Zehen verbergen sich, und ich könnte mit ihnen ein Gespräch beginnen. Sie sind jung. Wie sahen sie aus, als die Künstlerin 2014 die Kopie herstellte?