Emma Duiker, eine jungen Malerin in Amsterdam, kopiert im Städtischen Museum ein kostbares Meisterwerk von Mark Rothko, hinterlässt die Kopie unbemerkt und setzt das Original in das Zentrum eines „Projektes“: sie befreit es aus dem ästhetischen Kerker des Museums und organisiert eine Tournee, in der es in einer slowenischen Schule für Behinderte und anderen Orten, deren Bewohner nicht zu den privilegierten Kunstbetrachtern gehören, gezeigt wird. Man findet die Geschichte des Bildes in der Satire „Duell“ des Niederländers Joost Zwagerman (deutsch 2016). Zwageman definiert den Wert des Originals an etwa 40 mio. $ und widerspiegelt ein zeitgenössisches Bewusstsein, das bewundernd bedeutende Schätze an ihrem Geldwert misst. Emma Duiker dagegen missachtet den Geldwert, bewundert das meisterhafte Malwerk, eifert ihm nach und wünscht, dass viele dort ihre Bewunderung teilen, wo kulturelle Barrieren nicht existieren.
Das Schatzhaus, der Thesaurus, in dem die Athener kostbare Votivgaben bewahrten, die Schatzhöhle des Ali Baba, der Tresor in der Bank – sie alle verbergen ihre Schätze nicht anders als die zollfreien Lager in New York oder Singapur, in denen teure Kunstwerke auf ihre nächste Versteigerung warten. Ihre Besitzer sind wenigen bekannt.
Als aber in der Epoche der Französischen Revolution Kirchen und Paläste ihre Schatzkammern öffneten, als sie immer mehr Menschen zugänglich wurden, entstand das Bewusstsein, dass die Schätze allen gehörten und alle ein Recht haben sollten, sie zu sehen – und sich mit Reproduktionen von ihnen zu umgeben.
Der Status der Museen ist heute verändert. Viele ihrer Werke sind von den Staaten und Ländern, die sie verwalten, erworben, in Kriegen erobert, in kolonialen Abenteuern geraubt worden, andere wurden ihnen von großzügigen Sammlern geschenkt – ihre Bestände sind buntscheckig und umstritten. Selten gelingt ihnen, eine Epoche sinnvoll zu spiegeln.
Emma Duikers Wunsch, die Kunstschätze der Museen zu befreien, sie in Ämtern, Schulen, Universitäten, Krankenhäusern zu verteilen, ist umso verständlicher, als Tausende von Objekten in unzugänglichen Museumsmagazinen lagern – und umso verständlicher, als das ästhetische Bildbewusstsein, das, was wir Schönheitssinn nennen, unter dem Ansturm der Massen- und sozialen Medien verelendet. Gespräche über solche „Belebungen“ von Kunstwerken sollten nicht im Büro der Bundeskanzlerin enden. Das Bewusstsein, dass die Schätze der Museen allen gehören, schließt den Wunsch ein, sie eintrittsfrei betrachten zu können, und fördert zugleich die Lust, ihnen zu folgen, sie nachzuvollziehen, sie zu fälschen und zu kopieren. Emma Duikers ist ein großartiger Rothko gelungen.