WOLFGANG NESTLER IN KALTERHERBERG
Die Fotografien eines Bildhauers verraten ihn. Sie gleichen seinen Skulpturen. Nestler und ich haben ihnen 1981 eine eigene Ausstellung in der Neuen Galerie in Aachen gewidmet. Einige dieser Fotos habe ich jetzt wiedergefunden. Nestler hatte den kältesten, windigsten Ort auf den nackten Hochflächen der Eifel als Domizil gewählt – in einem eigens rekonstruierten Fachwerkhaus. Es war eine Zumutung, ihn zu besuchen.
Der Katalog gliedert die kargen schwarz-weißen Fotos (so karg und dokumentarisch wie die Fördertürme der Bechers) in Kellergitter 1970, Verspannungen, Tore, Leitplanken 1976, Auffangbecken 1977 und Hecken am Messeweg in Kalterherberg 1979.
Diese Auffangecken auf den Hochebenen verhindern Überschwemmungen und sind vor wenigen Jahren wie Teppiche aus 6-eckigen Zementplatten in Gräben ausgelegt worden. Sie schmiegen sich den Wellen der Wiesen an und vermitteln dennoch Bilder von rechteckigen Netzwerken, die überaus künstlich den Rundungen der Erde hinzugefügt sind. Nun, da Nestler sie fotografiert hat, gewinnen sie an Bedeutung. Nicht so die Rotbuchenhecken am Messeweg. Im „Monschauer Heckenland“ existieren etwa 1000 von ihnen. Sie können 1 m dick, 10 m hoch und 40 m lang sein, und die Besitzer der Häuser, die sie gegen die Westwinde beschützen, düngen sie, beschneiden und durchflechten sie mit großer Sorgfalt, erhalten sich Fenster-, Tür- und Toröffnungen in ihnen und bringen sie in regionale Wettbewerbe ein. Der Bildhauer Nestler hat die Hecken wie große skulpturale Blöcke wahrgenommen, die ihren Nutzen vergessen lassen. Lange, seit dem 17. Jahrhundert, so lange Holz zum Heizen knapp war, hatten die Bauern sie wie doppelte Wände betrachtet, jetzt sind sie Attraktionen geworden und erlauben sensiblen Gemütern die Frage, ob es denn richtig sein kann, die Natur so gewaltsam zu domestizieren, ein Gewächs, das groß werden will, in die Form einer Mauer zu zwängen. Der Bildhauer, der die Ösen seiner Skulpturen selber schmiedet, der den Gesetzen der Schwerkraft, der Gravitation folgt, fotografiert diese Heckenblöcke wie staunenerregende Menhire, die nicht auf der Erde stehen, sondern aus ihr emporgewachsen sind – Bäume, die Menschen geformt haben.