K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.
Kunst ABC AVZ 17.5.1975
A N T I – P R O F E S S I O N A L I S M U S
Diese Haltung ist eine Eigenart der europäisch-amerikanischen Kunst des 20. Jahrhunderts – ein ebenso konstituierendes Element wie die Abstraktion – anders als überall geförderte Laien- und Amateurkunst, deren Ziel ist, Aussagen mit traditionellen Mitteln der Kunst so deutlich als möglich zu formulieren. Dem Anti-Professionalisten dagegen sind alle Mittel recht. 1913 begann der als solcher anerkannte Maler Marcel Duchamp, Pissoirs, Schneeschaufeln, Fahrräder, Flaschentrockner als Kunstgegenstände, „objets trouvés“, „ready mades“ auszustellen und erweiterte die Grenzen der Kunst mit einem grausamen Humor. Von da an schienen Kenntnisse der Malerei, der Zeichnung, des Modellierens ebenso überflüssig wie Kunstakademien, ja, der Anti-Professionalist konnte den Professionellen, die von Kunstmärkten und Sammlern lebten, sogar Pragmatismus, Opportunismus und Unfreiheit vorwerfen. Er hatte sich von dem alten Handwerker-Ethos befreit und andere Wege des Gelderwerbs eingeschlagen. Freilich war Duchamp ein ausgewiesener akademischer Maler, nicht anders als Kasimir Malewitsch in Moskau, der 1915 ein kleines Bild in die obere Raumecke eines Ausstellungslokals hängte, das nichts zeigte als ein schwarzes Quadrat auf einem weißen Feld – die 2. revolutionäre Geste am Beginn des Jahrhunderts, die am Beginn der abstrakten Malerei steht. Paul Klee fand die Bezeichnung „Bildnerisches Denken“ für eine Vorstellung der Bildenden Kunst, in der die Techniken der Realisierung hinter der Konzeption von Bildgedanken in den Schatten treten. Diese Trennung vom Bildgedanken und Produkt führt in beiden Bereichen, dem Anti-Professionellen und dem abstrakten, zu einer Fülle von Epigonen und Nachahmern, denn jeder, der Lust hat, kann ein ready made, eine Collage, eine Assemblage einerseits und ein abstraktes Bild andererseits herstellen.
Hat die Kunst des 20. Jahrhunderts ihre Grenzen so radikal erweitert, so schöpft sie ihre Kraft zur Weiterentwicklung weniger aus den Erfindungen der Professionalisten als aus den Impulsen der Anti-Professionellen, die nicht aufgehört haben, die provisorischen Zäune einzureißen. Sie stoßen aus verschiedenen Bereichen der Kultur- und Naturwissenschaften zur Kunst und bringen ihre Bezugsfelder mit und sind gewohnt, intermediär zu denken. In DADA und fluxus wirken Bildende Künstler, Schriftsteller, Musiker und Theaterleute zusammen, in der Op Art und Kinetik sind Techniker und Ingenieure dabei, in der Videokunst Insider der Medienkommunikation, in der Konzeptkunst Philosophen. Eine mögliche Definition des Künstlers heute ist die des Kybernetikers, die A.R. Penck geliebt hat:
Der Kybernetiker arbeitet gegen die Neigung der Kunst zur Autonomie und öffnet ständig ihre Bezugsfelder.
Solche Vorstellungen vom Künstler sind natürlich nur solchen Zivilisationen zugänglich, die sich auf einer hohen Ebene technologischer Entwicklung neue Lebensregeln zu erarbeiten suchen.
Abb.Wolf Vostell 1970 Installation Neue Galerie Aachen Klingender Acker Singende Überlandleitung Ich + die Panzer in Prag