K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.
Kunst ABC AVZ 4.5.1974
A C C U M U L A T I O N
Cumulus = Haufen ist in der Meteorologie bekannt: Kumuluswolken. Häufen ist das Gegenteil von Stapeln, der Zufall bestimmt die Komposition. In einem Plexiglaskasten, den der der französische Künstler Arman mit alten emaillierten Milchkannen gefüllt hat, scheint der Zufall zu herrschen, und doch versteht der Betrachter, dass der Autor alles getan hat, um möglichst viele Kannen in dem Kasten unterzubringen. Er hat die accumulation erfunden, eine Kompositionsweise am Rand der assemblage und der Komposition. Er gehört zu jener Gruppe der „Nouveaux Réalistes“, die die „décollage“ und die „compression“ entwickelt haben – Versuche, jenseits der Malerei, der Skulptur, der Kunst die Wirklichkeit, den Alltag, die Straße, den Zufall für die Kunst zu erobern. Der Düsseldorfer Klaus Rinke kippt ein großes Wasserfass um und bewundert, dass das zylindrische Volumen nun eine flache Lache ist. Sein Kollege Reiner Ruthenbeck nimmt von einem kubischen Papierstapel Blatt um Blatt, zerknüllt es und wirft es auf einen Haufen, der „von selbst“ die Form einer Pyramide annimmt. Weder die Künstler noch der Zufall, sondern das Wasser und das Papier haben die Objekte bestimmt. Wir gelangen an einen Nullpunkt, an dem das Nachdenken über Kunst neu beginnen kann. In den 60er Jahren, in der Ära der Pop Art, konnten Arman und César gewiss sein, dass ihr Material von den Schrottplätzen und Flohmärkten der optimistischen Konsumkultur der Industriegesellschaft ein trotziges Gegenbild bieten konnte, heute betrachten wir die abgeblätterten Milchkannen mit nostalgischen Augen. Arman selbst hat – in Verbindung mit der Autofirma Renault – Akkumulationen aus neuen Kfz-Teilen erarbeitet, in denen der Anteil des Zufalls zugunsten einer absichtsvollen Komposition von Fertigteilen sinkt. Die Anordnung ist nicht mehr aleatorisch, sondern seriell.
Arman schuf Ärger, als er anderen erlaubte, Akkumulationen herzustellen. Die „Edition M.A.T.“ gab leere Plexiglaskästen als Multiples von Arman heraus, die der Käufer selbst mit Schrauben, Kämmen, zerknülltem Papier seiner Wahl füllen konnte. Die Kästen lehrten schmunzelnd das Publikum, jede Anhäufung von Abfällen mit neuen Augen zu sehen.
Abb.Arman Accumulation de Brocs 1961 Museum Ludwig Köln