Beckeraachen

Kunstwechsel

Salvador Dali

Ein Kommentar

K U N S T   A B C

1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.

Kunst   ABC   AVZ   15.6.1974

S A L V A D O R   D A L I

Zu Mariä Himmelfahrt am 15. August dieses Jahres 1974 wird in Figueras das Teatro Museo des Salvador Dali eröffnet werden. 1966 bis 1970 hat der prominente Film- und TV-Regisseur Jean Christophe Averty an einem Dokument über den Katalanen gearbeitet, das ihn unsterblich werden lässt: ein Monstrum unter den Künstlern des 20. Jahrhunderts. Er eröffnet das Museum mit einer Sammlung der zeitgenössischen Fotorealisten, als deren Vater er sich betrachtet. (Es war nicht möglich, ihm Leihgaben aus der Neuen Galerie zur Verfügung zu stellen.) Schon 1952 hatte er bekannt: „Die Begeisterung für Matisse und die abstrakten Tendenzen kontere ich mit der ultra-reaktionären und subversiven Technik Meissonniers“. Meissonnier, Freund Adolf von Menzels, ist ein realistischer Kleinmeister im Paris des 19. Jahrhunderts, dessen Bild der Barrikade in der Revolution von 1848 sehr bekannt ist. Wenn der italienische Dichter Unanumo sagt: „Realismus ist das Korrelat der Mystik“, so ist Dali der Mystiker, der sich des Realismus bedient. Wir würden ihn zu den „Magischen Realisten“ zählen, wäre er als Spanier nicht 1928 auf Picasso, den Kubisten, und André Breton, den Papst der Surrealisten gestoßen, Der eine zeigte ihm die Collage, das Abziehbild, die Kombination von disparaten Wirklichkeiten, der andere verhalf ihm zu einer surrealistischen Haltung, zu theatralischen Auftritten. 1929 und 1930 drehte Luis Bunuel mit ihm die Filme „Un Chiern Andalou“ (Ein andalusischer Hund) und „L´Age d´Or“ (Das goldene Zeitalter), die Skandale auslösten. Seit dieser Zeit arbeitet er an seiner Legende als Universalgenie. Einen geldgierigen Showmaster nennen ihn seine Feinde. Als Star der Massenmedien geht er Andy Warhol und Joseph Beuys voraus. Er malt, druckt, fotografiert, filmt, schreibt („Das geheime Leben des Salvador Dali“ 1942 und „Tagebuch eines Genies! 1964 sind großartige literarische Dokumente), er gestaltet Schmuckstücke, Möbel, Paläste, Filme… In diesen Tagen beschäftigt ihn die Holografie.

Er arbeitet „paranoisch-kritisch“: „eine spontane Methode irrationaler Erkenntnis, basierend auf der interpretierend-kritischen Assoziation der Phänomene des Wahnsinns“, sucht ihre wissenschaftliche Begründung in den psychoanalytischen Schriften Sigmund Freuds und in der Bildnerei der Geisteskranken. Die Hinwendung zum Unterbewussten, die den Surrealisten gemeinsam war, konzentriert er – ausführlich in seinen biografischen Schriften – auf das des Kleinkindes.  Er lässt zu, ihn so zu beschreiben: er spielt wie ein Kind, verkleidet sich, verwertet seine Exkremente, sucht in seiner Frau Gala die „Gradiva Rediviva“ (die antike Statue einer „Emporsteigenden“, Hauptfigur in einem Roman des Dänen Wilhelm Jensen, dem Freud 1907 eine psychoanalytische Deutung als „Archäologie der Seele“ widmete), hasst Nebenbuhler, versetzt sich in seelische und körperliche Randzustände, bevorzugt autoritäre Gesellschaftssysteme (nennt sich Monarchist, verehrt den römischen Kaiser Trajan, der Spanien kulturierte, Karl den Großen (er erhielt nicht die Erlaubnis, auf seinem Thron im Aachener Münster zu sitzen) und Adolf Hitler, verehrt Geld als Gold und weltlichen Wert (Breton persiflierte seinen Namen in Avidadedollares (Dollargierig).

Der Exzentriker ist kein Psychopath und mehr als ein Showmaster; er kennt das psychosomatische Muster, verfeinert es, trägt es in die Kunst hinein und setzt sich in die Szene. Dabei ist der Kind-Künstler ein altmeisterlicher, sehr erwachsener Maler, Zeichner und Grafiker, der jede Improvisation und Spontaneität meidet und die vollendete Tafelmalerei sucht. Aber das gemalte Kruzifix in Glasgow und das Meisterwerk der „Vorahnungen des Bürgerkrieges“ erhöhen seinen Bekanntheitsgrad weniger als die „Antennen“ seines Schnurrbartes. Dabei ist sein Leben von geringem Interesse, frei von moralischen oder ästhetischen Skandalen. In diesen Jahren präsentiert sich der Kind-Greis als wissenshungriger Performer, der Bücher zu essen bereit ist. Im Pariser Hotel Meurice sah ich ihm 1973 zu, wie er auf den gesammelten Werken des französischen Enzyklopädisten Malesherbes tanzte, um sie „in sich aufzusaugen“. Er lud die Erfinder der Atombombe und der Holografie zu Gesprächen, beteiligt sich an metallurgischen, „alchimistischen“ Untersuchungen und fördert die jungen fotorealistischen Maler. In der unscharfen Zone, die zwischen den Gattungen der Künste entstanden ist, hat er sich bewundernswert eingenistet. Das große Publikum liebt nicht den Salvador Dali, der einen wichtigen Beitrag zum Surrealismus zwischen den 2 Weltkriegen leistete, sondern den STAR, der die Bildkunst in die Sphäre von Hollywood transportierte. Sind die Surrealisten damals als Nicht- und Antikünstler angetreten, so ist er, der spät, 1934, zu der Kerntruppe stieß und bald ausgestoßen wurde, der einzige, dem es gelungen ist, die Ränder zwischen Kunst und Unkunst, Kunst und Wissenschaft, Kunst und Leben zu aktivieren, in der sich inszenierte Wunder ereignen können.

Abb. Salvador Dalí „Construction molle avec des haricots bouillis, Prémonition de la Guerre Civile (Weiche Konstruktion mit gekochten Bohnen, Vorahnung des Bürgerkrieges) 1936 Philadelphia Museum of Art

 

 

 

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