Beckeraachen

Kunstwechsel

Mail Art

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K U N S T   A B C

1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.

Kunst ABC   AVZ   16.3.1974

M A I L   A R T

Sie wird durch die Post versandt wie alle Kunstwerke, die nicht andere Transportarten erzwingen. Aber Mail Art paraphrasiert alle Arten von Postsendungen und stellte die Beamten vor die Frage, ob sie sie zu ihren Bedingungen befördern können. Stefan Wewerka, der viele „schräge“ Bilder und Skulpturen herstellt, hat auch eine „schräge“ Postkarte (45°) mit schräger Briefmarke drucken lassen, die bei der Post auf Widerstand stieß. Die heitere Protestgeste richtet sich nicht nur an die Post, sondern an einen Kunstmarkt, der Widerstände nicht akzeptiert, sondern auch „schräge“ Objekte anbietet. Mit Mail Art kommunizieren Künstler und Kunstliebhaber, die ihre Botschaften enträtseln. Sie sammeln sie. Einige erhalten täglich Postkarten, Briefumschläge, die unter Umständen mit 5 bis 30 anderen Umschlägen gefüllt sind, bis am Ende ein Zettel mit einem kleinen geschriebenen Gruß zu lesen ist, und winzige, verpackte Objekte. Der Pariser Kritiker Jean-Marc Poinsot hat in der Pariser Biennale des Jeunes 1973 eine Sektion Mail Art aufbauen können, die täglich anwuchs. Ein dickes Buch dokumentiert die Zusendungen. Es können auch Telegramme sein wie die des On Kawara, der mitteilt, er sei noch am Leben. In einer ausgestellten Reihe von ihnen erhält das Medium selbst eine feierliche Aura. Mitteilungen der Happening- und Fluxuskünstler sind häufig Handlungsanweisungen und können natürlich auch telefonisch übermittelt werden. Eine Ausstellung in Chicago 1969 hat etliche gesammelt: „Art by telephone“. Sie bewies, dass ein Assistent das Bild eines Künstlers nach telefonischen Angaben malen konnte. Der Katalog der Ausstellung ist folgerichtig eine Schallplatte. Hier ist die Entmaterialisierung des Bildträgers als akustisches Signal vollkommen. Der Konzeptkünstler Lawrence Weiner bietet  „Statements“ wie „Taken from the wind, bolted to the ground“ wie Haikus an, die in jeder möglichen Form angenommen und weitergegeben werden können, handgeschrieben oder getippt auf Zetteln wie gemalt an Wänden. Wenn dieser Bereich künstlerischer Kommunikation esoterisch erscheint und keinem Postboten vorgeworfen werden kann, dass er solche Sendungen missachtet, so kennzeichnet er doch einen Endpunkt, in dem Kunst das Handwerk verlässt und in die Welt der Ideen eingeht: „Art after philosophy“ bestimmte die Lehre des Konzeptualisten Joseph Kosuth.

Politische Botschaften von Künstlern scheuen sich nicht, den Postboten zu schockieren. Der Heidelberger Klaus Staeck hat zahlreiche Postkarten und Plakate entworfen und verteilt, die in das politische Leben der Bundesrepublik eingegriffen haben: „Arbeiter, man will euch eure Villen im Tessin wegnehmen. Darum CDU“. Er folgte den kämpferischen Collagen des John Heartfield, der die Titelseiten von Gewerkschaftszeitungen in den 30er Jahren beherrscht hat.

Mail Art erreicht uns in den Zeiten des kalten Krieges aus dem Ostblock als eine der wenigen Möglichkeiten von Künstlern in Ungarn, der Tschechoslowakei, der UdSSR, Kontakte zu Kollegen und Freunden im Westen zu knüpfen. Die Portefeuilles der Mail Art-Sammler enthalten heute schon Sendungen, die mit abenteuerlichen Beschriftungen und Briefmarken bedeckt sind.

Abb. Postkarte von On Kawara

 

 

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