Beckeraachen

Kunstwechsel

Kunst als Drucksache

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K U N S T   A

1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.

Kunst ABC   AVZ  1975

K U N S T   A L S   D R U C K S A C H  E

Die Aufforderung „Künstler schaffe, rede nicht“ meint noch den Künstler als Handwerker. Er möge sein eigenes Bezugsfeld nicht verlassen, um sich an sozialen Dialogen zu beteiligen. Aber Künstler haben immer auch geredet und geschrieben: Bücher von Baumeistern, Malern, Bildhauern sind seit der Antike bekannt. Sie bieten Quellschriften für die Kunstwissenschaft. Erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts stoßen wir auf Bücher und Drucksachen von Künstlern, die selbst Kunstwerke sind. Es fruchtet nichts, sie als Künstlerschriften der Literatur zuzuschlagen, obwohl sie nicht nur in Museen und Galerien, sondern auch in Buchhandlungen und Bibliotheken zu sehen sind. Sie sind Kunstwerke und folgen anderen Gesetzen als Bücher und Zeitungen von Schriftstellern.

Die Gattungen der Künste – Musik, Baukunst, Literatur und Bildende Kunst – ebenso wie die Gattungen der Bildenden Kunst selbst – Malerei, Skulptur, Grafik – haben in der 2. Hälfte des Jahrhunderts ihre festen Grenzen verloren. Überall geht es um Austausch, Kommunikation. Ölbilder auf Leinwänden sind häufig gewollt obsolet. Bücher und Drucksachen erscheinen heute als ideales Medium der Kommunikation. Sie bestehen aus einer variablen Folge von gleich großen Rechtecken, die nicht gleichzeitig, sondern in Abfolgen sichtbar werden. Ein Buch wird nicht betrachtet, sondern gelesen. Alle künstlerischen Mitteilungen, die in einer zeitlichen Abfolge erscheinen, können nicht betrachtet, sondern müssen gelesen werden. Sie bestehen aus Zeilen, Reihen, Buchstaben und Zahlen. Die bedeutendsten Buchkunstwerke dieser Art sind die der Konzeptkünstler der sechziger Jahre. In dem Versuch, die „Aura“ des Kunstwerks abzubauen, haben sie seine autonomen Mitteilungsträger abgelehnt und die der industriellen Massenmedien benutzt: Zeitschriften, Illustrierte, Flugblätter, Einladungskarten, Funk- und Fernsehsendungen – und Bücher. Sie kämpften vergeblich gegen die fieberhafte Vermarktung auch solcher Werke durch den Kunsthandel, doch Galeristen und Buchhändler boten ihnen an, die Publikationen zu finanzieren, die Auflagen zu beschränken, die Exemplare zu signieren und zu nummerieren. Exemplare von On Kawara, Carl Andre, Joseph Kosuth, Lawrence Weiner, der Gruppe Art and Language sind heute rare, teure Objekte, die Sammler stolz verwahren. Der Versuch der Künstler, Kunstwerke für das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit zu entwerfen, scheitert weniger an einem Publikum, das sie nicht versteht, als an ihren Händlern, die sie ihm vorenthalten. Selten ist Künstlern gelungen, in Medien vorzustoßen, die ein großes Publikum erreichen – wie der deutsche Künstler Jochen Gerz, der vorschlägt, die einseitige, zweckgebundene Sprache der Telefonbücher zu torpedieren, indem er in der Sparte ARTS (Künste)  im Pariser Exemplar setzen lässt: VIVRE (Leben) – oder Wolf Vostell, der in deutschen Tageszeitungen inseriert, oder Jenny Holzer mit illegalen Aufklebern an den Straßenlaternen von New York.

Abb. Art and Language Draft for aa Anti-Textbook 1974

 

 

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