K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere
K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.
Kunst ABC AVZ 1977
A L L A N K A P R O W Das 1. Happening
Der kalifornische Maler, geboren 1927, ist weithin berühmt und hat doch kein epochales Bild geschaffen. Sein Oeuvre beginnt mit gemalten Tafeln, öffnet sich zu Fotografien (nicht von ihm) und Texten – wie: „Es regnet. Plastik-Planen werden als Regenschutz hochgehalten. Die Leute darunter bleiben trocken, bewegen sich langsam und still zum Fluss hinunter. Das aufgefangene Wasser wird in den Fluss gegossen. Die Plätze werden getauscht: die trockenen Leute halten die Planen hoch, die nassen kommen unter die Planen. Sie bewegen sich langsam, still die Uferböschung hinauf. Oben angekommen, gießen sie das aufgefangene Wasser auf die Erde, damit es zum Fluss zurückkehren kann.“ 1972 wurde dieses Happening aufgeführt. Den Begriff Happening hat Kaprow 1959 geprägt – für eine Vorführung in der New Yorker Reuben-Galerie „18 happenings in 6 parts“. Er weiß: das Wort wird in den Medien und beim breiten Publikum verbunden mit Nacktheit, Hemmungslosigkeit, Schmutz, Unordnung und Raserei. Das meint es aber nicht. Die 18 Happenings in 6 Teilen bilden eine musikalische Vorstellung, angeregt von John Cage, dem großen Vordenker der 50er Jahre: eine Musik, die sozusagen nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen ist, an der nicht nur Musiker, sondern Tänzer und Bildkünstler teilnehmen, die neben gewohnten Tönen auch Geräusche von „kulturlosen“ Geräten wie Staubsaugern und Automotoren bietet, aber auch Pausen der Stille und jene Zwischenzone des „weißen Rauschens“.
So lange er Maler war, versuchte Kaprow wie Robert Rauschenberg, aus der Aktionsmalerei des Jackson Pollock eine „Aktionscollage“ zu entwickeln – zuerst ein gestuelles Bild, das Zitate massenmedialer Bilder aufnimmt. Dann zerschneidet er eigene Bilder und klebt sie in die Collagen: er füllt sie mit autobiografischen Elementen. Dann distanziert er sich von der akademischen Malerei, indem er nicht mehr dauerhafte Ölfarben verwendet, sondern Kaffee, Marmelade, Käse, verderbliche Güter. Er missachtet den Pinsel und wirft die Farbstoffe, reibt sie in die Leinwand, knetet und matscht sie. Die Leinwand wird zum Relief, bläht sich, genügt nicht mehr: er baut eine Installation in einem Raum, ein „environment“ aus kulturlosen, hässlichen Materialien. Die „Musik“ für diesen Raum muss ebenso kulturlos sein, und die Bewegungen der Besucher dieses Raumes müssen anders sein als die der Besucher einer traditionellen Kunstausstellung – ein neues Ritual. Es soll nicht den Gläubigen und nicht den Kunstliebhabern dienen, sondern kunstfernen Menschen näherkommen, die es als Teil des Lebens, des banalen Alltags verstehen. Kaprow hat sich bemüht, den Anteil der Zeugnisse, der kunst- und museumswürdig wäre, klein zu halten. Jedes Happening, das einer seiner Partituren folgte, sollte nur einmal aufgeführt werden. Unter den Künstlern der Jahrhundertmitte ist er der Proteus. „Wahrscheinlich ist das, was wir Wirklichkeit nennen, unsere Teilnahme an Traumprozessen.“ sagt er. Die Einladung zu seinen „18 happenings in 6 parts“ lautete: „….als eine von 75 anwesenden Personen werden Sie ein Teil des Happenings sein; gleichzeitig werden wir Sie erleben“. Die lange schmale New Yorker Galerie war durch Panneaus (bespannt mit transparenten Folien, aktionistisch bemalt und mit Applikationen künstlicher Äpfel, natürlicher Blätter versehen) in 3 Räume unterteilt; Jeder Raum enthält eine bestimmte Zahl von einzeln beleuchteten Stühlen. Die Besucher folgen festumrissenen Anweisungen nicht anders als die Schauspieler: Kaprow, Robert Whitman, Sam Francis, Alfred Leslie und George Segal. Die Zeitfolgen sind festgelegt und 14 Tage vorher eingeübt. Eine Glocke kündigt Anfang und Ende der Teile an, Lautsprecher geben Geräusche von 4 Tonbandgeräten wieder. Vor den Besuchern auf den Stühlen der 3 Räume (der 1. rosa, der 2. blau, der 3. weiß-blau) verteilen sich die Schauspieler (Alltagskleidung) langsam, marionettenhaft, eingeübt, bewegen sich rechtwinklig zueinander: ein Ritual. Diaprojektionen beginnen, wenn das Licht ausgeht. Sie zeigen Bilder Kaprows und Kinderzeichnungen. Am Ende sitzen die Teilnehmer 5 min. im Dunkel, bevor die Glocke erklingt. Sie wechseln den Raum. Im 1. und 3. Raum lesen 2 Schauspieler Texte von Schrifttafeln ab, Diaprojektionen zeigen Gemälde alter Meister, Aktfotos und Bilder von Kaprow Die Schauspieler reden: „..es wird gesagt, dass Zeit wesenhaft ist..,,,wir haben Zeit kennen gelernt…geistig….als Erinnerung, Erwartung, Offenbarung und Projektion, als eine Abstraktion des Augenblicks von sich selbst…“ Die Glocke ertönt. Pause. Im 1. Raum dribbelt ein Mädchen einen Tennisball, im 3. ordnet ein Mann Holzklötzchen auf einem Tisch. Aus dem 2. Raum gibt die Stimme von einem Plattenspieler Anweisungen. Das Mädchen rezitiert. Diaprojektionen zeigen eine Uhr in einem Spiegel, ein Paket Cornflakes, Rauch aus einer Pfeife. in einem Spiegel. Die Glocke, In Raum 1 spielen 4 Schauspieler auf einer Spielzeug-Ukulele, einer Flöte, einer Kazoo und einer Violine. In Raum 2 setzt ein Schauspieler die Spielfigur eines trommelnden Negers in Gang, zündet Streichhölzer an und löscht sie in einer Tasse voll Wasser. Nach dem 19. malt der Schauspieler die Transparentwand schwarz. Die Farbe verdampft langsam. Die Besucher wechseln die Plätze und ihre Erfahrungen aus. In Raum 1 entsaftet das Mädchen 12 Orangenhälften und füllt 12 Gläser. Ein anderes schiebt eine Puppengruppe auf schlauchlosen Fahrrädern aus dem 3. in den 2. Raum. Aus einer Puppe erklingt eine alte Polka. Die Schauspieler rezitieren. Die Teilnehmer malen, jeder mit 1 Farbe auf 1 Tafel eine festgelegte Zahl von Linien. Hier sind Robert Rauschenberg und Jasper Johns dabei. Das Mädchen in Raum 1 trinkt Orangensaft aus allen 12 Gläsern. In Raum 2 kniet ein Schauspieler, krempelt ein Hosenbein hoch und putzt sich die Zähne. In Raum 3 zeigen Dias Bildgedichte.
Im letzten Teil bewegen sich 4 Schauspieler geometrisch zueinander, Dias zeigen in Großaufnahmen Mund und Kinn von Kaprow, ein Schauspieler zieht an einem Faden 2 Rollen, eine rot, eine purpurn von der Decke herunter, aus denen die Schauspieler lautmalerische Wortgedichte vorlesen.
HAPPENING heißt also: präzise festgelegte Vorführung, Umsetzung eines klassischen Balletts in eine Alltagswelt, surrealistische Begegnungen von Menschen und Gegenständen und Musik als verbindendes Glied von Handlungen.
Das Wort hat im Lauf seiner Geschichte viele Missbräuche erleiden müssen.
Abb. Allan Kaprow Kiosk Panels aus dem Happening 1959, ausgestellt in der Neuen Galerie Vom Pop zum Konzept. Kunst unserer Zeit in Belgischen Privatsammlungen 1975 damals Sammlung Peeters, Brügge