K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.
Kunst ABC AVZ 5.4.1975
P S Y C H E D E L I S C H E K U N S T
Psychedelisch, bewusstseinserweiternd wirken LSD 25, Meskalin, Peyotl und Psilocybin. Psychedelische Kunst versucht der Künstler zu erzeugen, der sich dieser Mittel bedient, um sein Bewusstsein zu verändern oder zu erweitern. Seine Werke interessieren zuerst die Neurologen und Psychotherapeuten und treten dann in das Feld der ästhetischen Auseinandersetzungen, in die Kunst ein. Dort berufen sich die Zeitgenossen auf den englischen Schriftsteller Aldous Huxley und den belgischen Maler Henri Michaux, die seit den 40er Jahren Laborexperimente mit Halluzinogenen künstlerisch umgesetzt haben. Unter dem Einfluss dieser Drogen setzen sich alle Menschen vielfältigen Erlebnissen und optischen Erscheinungen aus – bei offenen wie geschlossenen Augen. Dabei kehren manche Prozesse immer wieder: Intensivierung von Farben und Umrissen von Formen, alternierende Vergrößerungen bis ins Riesenhafte und Verkleinerungen bis ins Unendliche, Vergitterung und Kristallisierung von Räumen, Gitterformen, bewegliche „lebende“ Arabesken, Trichter, Tunnel, sakrale Kuppelarchitekturen.
Psychedelische Künstler arbeiten mit diesen Prozesskonstanten. Um die Intensität der Erscheinungen zu erreichen, genügen ihnen Ölfarben und Leinwände nicht, sie malen mit Acrylpolymerisat auf Glas und lassen Licht von hinten durchscheinen, schaffen Räume mit alternierenden Dia- und Filmprojektionen, ergänzen den Sound von Rock-Bands, die „harte“ Drogen kennen, oder schaffen mit Oszillografen und Synthesizern elektronische Bilder auf Monitoren. In einer psychedelischen „Light-Show“ (die schnell zu Synchron-Schaltungen in Diskotheken degenerierte – heute wird sie in Kaufhäusern für den Hausgebrauch angeboten) wird der Besucher „überschwemmt“: wie im LSD-Rausch gelingt es dem Gehirn nicht, die Fülle der Informationen zu ordnen, es schaltet sich ab und lässt sie durch sich hindurchfließen.
Die psychedelische Kunst ist eine Erlebnisform der amerikanischen Hippie-Kultur. Sie formuliert den Protest einer Generation gegen erstarrte Moral- und Verhaltensvorstellungen, gegen Puritanismus und Leistungszwang. Sie öffnet sich der Fantasie als einer Dimension des Fantastischen und versteht ihre Bilder als Altäre einer neuen synkretistischen, pantheistischen Religion. Sie beruft sich laut auf die Kultur der amerikanischen Ureinwohner, der Indianer Nord- und Mittelamerikas, in deren Kultur Halluzinogene, vorzugsweise Meskalin und Peyotl-Pilze, Zugänge zu ihren Mythen schufen. Mythische Dimensionen suchen psychedelische Künstler bestenfalls. Das Alibi des naturwissenschaftlichen Experiments schützt sie vor Verfolgungen. In der Kunstszene sind wenige Namen bekannt. Der Kunstmarkt forscht nach Originalen. Bis jetzt dienen sie lediglich als Vorlagen für Drucke/ Poster in sehr großen Auflagen, die für 1 bis 2 $ in den Hippie-Kommunen angeboten werden.
Den psychedelischen Künstlern Europas fehlt die amerikanische, die Hippie-Komponente. Sie folgen den Erbschaften der Kunstgeschichte, dem Manierismus des 16. Jh. und dem Surrealismus. Selten berufen sie sich auf Halluzinogene. Der gemeinsame Nenner der Wiener Schule um Ernst Fuchs und der Kalifornier ist eben nicht der Rausch, sondern eine moderne Synthese visionärer Bilder aus vielen Kulturen in einer neuen Theologie.
Abb. Aus der Ausstellung „Summer of Love“ 1967 San Francisco Young-Museum 2017