K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen redigiere ich jetzt, um auf mich und eine andere Epoche der Kunst- und Weltgeschichte zurückzuschauen.
Kunst ABC AVZ 16.2.1974
R O Y L I C H T E N S T E I N
Der Amerikaner, geboren 1923, ist der 1. Künstler, der den Comic-Strip aus der Trivialliteratur in das Medium der bildenden Kunst gehoben hat. Kurt Schwitters hat schon 1947 aus Comic-Strip-Fragmenten eine kleine Collage gebastelt, und kurz vor Lichtenstein malte auch Andy Warhol sein 1. Comic-Bild. Bei zögerten, Comic-Strip-Variationen in Werkserien herzustellen; es war ein Wagnis, in einer disziplinierten Kunstszene, die den abstrakten Schulen folgte, ein so banales Bildmaterial zu verarbeiten. Aber gerade das war ein Anliegen jener Generation, die heute als die der POP ART, HAPPENING und FLUXUS bekannt ist: eine künstlerische Alltags- und Allerweltsprache zu finden, mit der möglichst viele sich ausdrücken und verständigen könnten, Inhalte anzusprechen, die vielen bekannt sind und die Aura der Kunst, die unbestritten weiter bestand, einzusetzen, um die Gefährdungen durch die Massenmedien, die „Hidden persuaders“, die sich seit den 60er Jahren beherrschend ausbreiteten, zu zeigen und zu kritisieren.
Blickt man die großen Comic-Strip-Bilder, die Lichtenstein von 1960 bis 64 malte, durch, so sieht man, dass er aus der Fülle der Bildergeschichten, die ihm als Anregung dienten, vor allem Motive aus 2 Erlebnisbereichen gewählt und verarbeitet hat: Liebe und Krieg, anziehende und abstoßende Inhalte einer bürgerlichen Gesellschaft, die Zwänge, in denen sie lebt. In der raschen Folge der Miniaturen einer Bildergeschichte werden solche Aussagen weniger deutlich als in seinen Monumentalisierungen.
Nicht selten benutzt Lichtenstein Requisiten aus alter, bekannter Kunst. Das Mädchen dieses Bildes sitzt nicht nur darum auf der Balustrade einer Gartenterrasse, weil sie als reiches Mädchen erscheinen soll, sondern weil das Bild englisch-amerikanische Porträts des 18. Jahrhunderts variiert und dadurch die junge Dame satirisch adelt. Andere seiner Comic-Strip-Verarbeitungen zeigen Stilmittel des Jugendstils um 1900 und des Art Déco der 20er Jahre.
Lichtenstein hat kunsthistorische Zitate geliebt, hat Paraphrasen zu Picasso ebenso geschaffen wie zu Monet und Léger. Die Comics haben ihn ermutigt. Aber Comic-Strip-Bilder hat er seit 1964 kaum noch gemalt.
Abb. Roy Lichtenstein I know Brad – Ich weiß Brad 1963 Aachen Neue Galerie – Sammlung Ludwig