K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen werde ich hier wiedergeben. Ich versuche, die alten Maschinen-Manuskripte zu konvertieren.
Kunst ABC AVZ 14.8.1976
S I G M U N D F R E U D + D I E K U N S T 2 (1-3)
Die Banalisierung einer sexuellen Symbolik, an der sich Freud zögernd versucht hat, beginnt mit den Surrealisten der zwanziger Jahre und endet in der kommerziellen Werbung und alle abgeleiteten, epigonalen Künsten heute. Dabei zogen die Surrealisten aus den Erkenntnissen Freuds eine Formel bildnerischer Methode ab, die ihnen gestattete, sexuelle Symbole auszutauschen. Sie kann als kombinatorische Spielform ästhetisch begründet werden, kann aber auch Resultat eines psychopathologischen Befundes: der Austausch findet in einer Persönlichkeitsverschiebung statt, im Wahn, in einer Paranoia. Wir finden die Verschiebung häufig in surrealistischen Bildern: Magritte vertauscht Mund und Scham, Penis und Nase, Dali entwickelt daraus eine paranoid-kritische Methode. Die Fixierung auf die psychopathologische Erklärung verdunkelt aber die Geschichte des Austauschs und der Verschiebung al Teil der Kunst- und Kulturgeschichte selbst.
Wie der italienische Metaphysiker Giorgio di Chirico und der von ihm verehrte Schweizer Arnold Böcklin vor ihm „Traumbilder“ gemalt haben, so hat Stephane Mallarmé, beherrschende Figur unter den Pariser Literaten, den „Symbolisten“ um 1900, den Zufall konkret in seine Dichtungen einbezogen und ist mit dem Satz berühmt geworden: „Un Coup de dé n´abolira jamais le hasard“ – „Ein Würfelwurf wird niemals den Zufall beseitigen“ (1897). Mit ihm beginnt ein Interesse der Künstler am Glückspiel. Marcel Duchamp gibt 1924 500-Francs-Aktien heraus, die den Besitzer an seinen Gewinnen und Verlusten im Kasino von Monte Carlo beteiligen. Duchamp zeigt auch die feinste Verarbeitung der Lehren Freuds. Das berühmteste objet troue, das umgedrehte Pissoir, ist sozusagen ein augenzwinkernder Kommentar zur Sexualsymbolik, Und Harald Szeemanns Ausstellung „Junggesellenmaschinen“ hat die Hintergründe und Folgen des Hauptwerkes, des Großen Glases, hinreichend psychopathologisch erläutert.
Ist das objet trouvé als Kunstgattung ein Produkt des Zufalls? Oder leistete Duchamp mit dem Urinoir nur einen Beitrag zur Verbildlichung der freudianischen Sexualsymbolik? Die Surrealisten um André Breton leiteten aus Lehren Freuds ab, in zufällig herbeigeführten Ereignissen äußere sich das Unbewusste, das „Es“ des Beteiligten. Darum studierten sie spiritistische Techniken und versuchten, durch Nahrungs- und Schlafentzug die Kontrolle des Bewusstseins auszuschalten. Duchamp hat, ohne sich psychopathologischer Begründungen zu bedienen, in der Gattung des „objet trouvé“ den Zufall als Störung eines Wirklichkeitsverhältnisses, als Anlass einer Verfremdung als Methode begriffen. Er hat verstanden, dass wir pausenlos zwischen funktionslos gewordenen, entfremdeten Gegenständen leben – in einem Museum. Nicht die Entfremdung unserer Arbeit ist das Problem, sondern die Entfremdung der Gegenstände, mit denen wir arbeiten. Diese Entfremdung, die Störung unserer Haltung zur Wirklichkeit, kann Bilder hervorbringen, als seien sie geträumt. (wird fortgesetzt)
Abb. Marcel Duchamp DADA-Bild L.H.O.O.C.“ 1919 Paris Centre Georges Pompidou (phonetisch zu lesen „Elle a chaud au cul“ – „Sie hat einen heißen Po“)