K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen werde ich hier wiedergeben. Ich versuche, die alten Maschinen-Manuskripte zu konvertieren.
Kunst ABC AVZ 16.5. 1974
Nam June Paik 2 (1-2)
„Der Beitrag der Kunst zur Technologie war, dass man sich auf Maschinen nicht verlassen kann. Die Sache des Künstlers ist es, den positiven Werteines negativen Wertes aufzuzeigen, die Minus-Seite. In einem TV-Experiment weist sie auf, was mit dem TV nicht stimmt. Kunst weist auf die chaotische Situation in der Welt hin. Wir verlieren nämlich das Chaos aus der Hand….“ Der Fluxus-Künstler Paik wurde in den USA nicht zum Technologiegläubigen TV-Freak, im Gegenteil: „ich bediene mich der Technologie, um sie gründlicher hassen zu können.“ Paik wirft der Elektronik-Industrie ihre high-fidelity-Gläubigkeit vor. „Hohe Treue ist in der Musik seit Stockhausen und Cage tot, in der Ehe seit Dr. Kinsey und im Fernsehen seit uns.“ Sein Video-Synthesizer ist ein Low-Fidelity-Gerät, eine Aufforderung zum do-it-yourself, der jeder folgen kann. Er geht davon aus, die „High Fidelity-Medien „heiß“, d.h. einseitig beherrschend, versklavend wirken, während Low-Fidelity-Medien demokratisch sind, zur Teilnahme anregen. Das Spiel mit dem Synthesizer führt zu Gruppenerlebnissen. Die geringe Bildtreue, die er besitzt, führt zur kritischen Distanzierung von den Inhalten, zu kreativen Handlungen und freiheitlichen Handlungen. Das große Stück „Moon is the oldest TV“ von 1965 zeigt 12 alte Schwarz-Weiß-Geräte in einem dunklen Raum, deren Bildröhren Paik so behandelt hat, dass alle Phasen des Mondes auf ihnen zu sehen sind. Kinder reagieren auf neue Spielzeuge so: sie nehmen sie auseinander, um zu sehen, wie sie funktionieren und bauen sie anders wieder zusammen. Sie werden erwachsen – und autoritätsgläubig. Cage nennt Paik einen „konvertierten Kriminellen“ wie Duchamp. Mit zäher Liebenswürdigkeit hast der Koreaner seine Standpunkte durchgesetzt. Sein Band „Global Groove“ von 1973, in dem er farbige Bilder aus dem heißen, kommerziellen Fernsehen mit denen vermischt, die er mit seinem Synthesizer produziert hat, wurde von mehreren großen Sendern in USA ausgestrahlt. Er war dort erfolgreich, weil er kein bildkünstlerischer Formalist ist: „Mir gefällt schlechte Kunst. Mir gefällt Kitsch. Mir gefällt die Collage, die Zeitcollage, die musikalische Collage.“ So spricht der wichtigste intermediäre Künstler, der sich keiner künstlerischen Disziplin und keiner Orthodoxie unterwirft. Er zeigt uns die Beweglichkeit des Avantgarde-Künstlers im elektronischen Zeitalters ebenso wieder wie die Ruhe des Buddha, hinter dessen geschlossenen Lidern alle Bilder, die diese hysterische Zeit produziert, in eine globale Phantasmagorie münden. Buddha ist Teil seiner Bildsprache. Paik drückt den Finger auf unsere Wunde: „Die Malaise unserer Zeit ist die schwierige Balance von Input und Output. Laut Statistik müssen wir jährlich 40.000 Werbefilme über uns ergehen lassen, aber wir können uns nicht leisten, die in 40 .000 Spots angepriesenen Waren zu kaufen. Folglich legen wir uns eine künstliche Output-Einheit zu, d.h. wir legen uns auf das Psychiater-Sofa und REDEN —– wie ein Goldfisch“
Abb. Nam June Paik in der Neuen Galerie Sammlung Ludwig 1973 Foto Lohmann